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#Achtzig Musiker, die dem Krieg für ein paar Wochen entkommen sind

„Achtzig Musiker, die dem Krieg für ein paar Wochen entkommen sind“

„Es war lange nicht sicher, dass wir die Tournee machen können“, erklärt der Dirigent Luigi Gaggero dem Publikum. „Denn wir wussten nicht, ob alle Musiker das Land rechtzeitig verlassen können.“ Ein Italiener spricht in bestem Deutsch über sein Ensemble aus Kiew: Damit ist schon viel gesagt über diesen Konzertabend. Klassik ist international und kennt keine Grenzen. Um das zu zeigen, ist das Kyiv Symphony Orchestra zurzeit auf Europatournee.

Achtzig Frauen und Männer aus Kiew, die dem Krieg für ein paar Wochen entkommen sind. Ganz oben an der Schnecke der sechs Kontrabässe stecken kleine Ukraineflaggen. Auf dem Programm stehen Komponisten, die aus der Ukraine stammen oder deren Schaffen mit dem Land verbunden ist oder einfach mit dem Ringen um Frieden: Maxim Beresowski, Ernest Chausson, Myroslaw Skoryk und Borys Ljatoschynskyj.

Familien mit Kindern besuchen das Konzert

Als der Saal sich füllt, hört man überall ukrainische Sprache. Familien mit Kindern sind da, auch Kleinkinder, die sich während des Konzerts zu Wort melden werden. Das Publikum ist überhaupt jünger als sonst, viele schauen aufs Handy, einige ignorieren die Maskenpflicht, die in der Berliner Philharmonie streng verlangt wird (obwohl das in Berlin nicht mehr vorgeschrieben ist). Hier und da liegt ein Anorak über einer Lehne, hängt ein pinkfarbener Rucksack an einem Stuhl. „Glory to Heros“ steht auf dem T-Shirt einer jungen Frau, in den Nationalfarben der Ukraine.

Was man an diesem Abend hört, ist hervorragender Orchesterklang auf internationalem Niveau. Dass Orchester internationale Gebilde sind, aus Kosmopoliten zusammengesetzt, ist in der Welt der Musik gar nicht mehr anders denkbar: Der Este Paavo Järvi hat Großes mit der Bremer Kammerphilharmonie geleistet, in Leipzig sitzt der Lette Andris Nelsons im holzvertäfelten Kapellmeisterzimmer des Gewandhauses, und die Berliner Philharmoniker leitet der Russe Kirill Petrenko (der vom ersten Tag an gegen den Krieg gegen die Ukraine protestiert hat).

Ukrainische Flaggen an den Schnecken der Kontrabässe des Kyiv Symphony Orchestra in der Berliner Philharmonie


Ukrainische Flaggen an den Schnecken der Kontrabässe des Kyiv Symphony Orchestra in der Berliner Philharmonie
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Bild: AFP

Aber ob die Musik selbst politisch sein kann, ist mindestens umstritten. So beginnt das Konzert mit Beresowski geradezu brav, seine Sinfonie C-Dur könnte auch von seinem Zeitgenossen Joseph Haydn stammen. Das dann folgende Poème­ für Violine und Orchester von Chausson ist anspruchsvolle Klangmalerei, sehr schwer für die Solovioline, die lange Passagen unbegleitet spielen muss. Die auf der Krim geborene, 31-jährige Diana Tishchenko kommt erst nicht recht rein, erfasst das komplexe Werk dann aber und meistert das teuflische Tempo leicht, ein Haar ihres Bogens reißt. Die Harmonik des Werks nimmt etwas vom späten Ravel vorweg – ein hübsches Schwelgen in Sound.

Elegische Passagen lassen an Leid und Trost denken

Der Hauptteil des Konzerts ist eine Sinfonie von Borys Ljatoschynskyj, der Komponist lebte von 1894 bis 1968, lehrte in Moskau und Kiew. Seine 3. Sinfonie von 1951 musste er umschreiben, dem kommunistischen Regime war sie zu schroff, was damals mit kritisch gleichgesetzt wurde. Heute ist die Urfassung zu hören: hochdramatische Musik, die Paukistin hat viel zu tun, die Posaunen auch, die Hörner spielen mit Dämpfer, ein schnarrender, beunruhigender Klang. Manchmal hört man ein vages Gustav-Mahler-Zitat, ansonsten eine sehr freie, moderne Musik, eklektisch und kühl. Die Wechsel zwischen dramatischen und elegischen Passagen lassen natürlich an Leid und Trost denken. Das Motto „Der Friede wird den Krieg besiegen“ musste der Komponist auf Geheiß der Sowjet-Obrigkeit streichen. Schon damals war das Wort „Krieg“ verboten. Das Politische muss man trotzdem immer hineinhören in die Musik, es bleibt Interpretationssache. Nach der Pause sagt der Dirigent eine Programmergänzung an, eine Solosuite für Flöte des polnischen Komponisten Włodzimierz Kotoński kommt dazu. Und zwar ausdrücklich, weil die Polen ihr Nachbarland in diesem Krieg so sehr unterstützen. Und ganz am Schluss, als zweite Zugabe, kommt noch die ukrainische Nationalhymne. Alle springen im ausverkauften großen Saal auf, es werden blau-gelbe Flaggen ausgerollt.

Traurige Paradoxie, dass wir durch den Krieg die Kunst und Kultur der Ukraine erst kennenlernen, aber eine schöne Lehre daraus ist: Sie passt zu uns. So wird der Abend in der Berliner Philharmonie vor allem eine frohe, mutige Selbstversicherung der internationalen Orchestermusik. Luigi Gaggero dirigiert oft mit den Fäusten, wirft in starken Gesten die Arme nach vorn – aber natürlich hat das nichts Aggressives. Ljatoschynskyjs Sinfonie, die so viel Lärm und Getöse enthält, endet in einer Art Choral, in einer Stimmung voller Hoffnung. „Free Ukraine!“, schreit eine Frau aus dem Publikum am Schluss, und der Applaus wird noch mal lauter.

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