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#97 Minuten Wut und Gänsehaut: Athena ist der einzige Netflix-Film, den ihr 2022 sehen müsst

„97 Minuten Wut und Gänsehaut: Athena ist der einzige Netflix-Film, den ihr 2022 sehen müsst“

Romain Gavras hat für Netflix ein actionreiches Meisterwerk abgeliefert, das einen Pariser Vorort zum Kriegsschauplatz macht. Doch Athena ist nicht nur visuell beeindruckend, sondern hat auch etwas zu sagen.

Es ist Vormittag bei den Filmfestspielen in Venedig. Hunderte Journalisten sitzen für ihr zweites Film-Screening des Tages in einem Kinosaal. Viele sind schon seit den frühen Morgenstunden wach. Einige gähnen. Romain Gavras‘ neuer Film Athena wird gezeigt, der ab dem 23. September bei Netflix zu sehen sein wird. Ein gesellschaftspolitisches Action-Drama, in dem sich die Bewohner:innen eines Pariser Vororts gegen die Polizei erheben.

Die ersten rund 10 Minuten zeigen, wie mehrere Menschen eine Polizeiwache überfallen und sich anschließend triumphal in ihr Fort, die grauen Plattenbauten von Athena, zurückziehen. Der Vorfall, der ohne einen einzigen Schnitt auskommt, endet in einer atemberaubenden Einstellung, die den kompletten Saal elektrisiert und begeistert aufklatschen lässt.

Bei Filmfestivals wird gerne und ausgiebig geklatscht, normalerweise aber erst am Ende eines Films. Doch Athena ist besonders. Man kann nicht anders, als körperlich auf das zu reagieren, was man hier sieht. Sei es zu klatschen, zu johlen – oder wie ich in Schockstarre und mit Ganzkörpergänsehaut im Kinosessel zu erstarren. Eine Position, aus der ich mich erst eineinhalb Stunden später lösen kann.

Zwischen der Action in Athena und The Gray Man liegen keine Welten, sondern ganze Galaxien

Karim, Mitte links, ist der Anführer des Aufstands

Allem voran ist der Film eine Tragödie. Nachdem der 13-jährige Idir von mehreren Personen in Polizeiuniformen totgeprügelt wird und das Video des Vorfalls viral geht, finden seine älteren Brüder unterschiedliche Wege, mit dem Vorfall umzugehen. Dealer Moktar (Ouassini Embarek) ist kurz davor auszusticken, muss sich aber um sein Drogen- und Waffen-Business kümmern. Berufssoldat Abdel (Dali Benssalah) will den Rest der Familie emotional auffangen und hofft auf eine lückenlose Aufklärung durch die Polizei. Die behauptet allerdings, dass Rechtsradikale verantwortlich seien, die sich als Polizisten verkleidet hätten. Karim (Sami Slimane) sieht nur eine Chance, gegen die himmelschreiende Ungerechtigkeit vorzugehen: einen Krieg im Vorort Athena anzetteln, der erst endet, wenn die Namen der Mörder seines Bruders öffentlich gemacht werden.

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Was folgt, sind 97 Minuten Momentaufnahme aus dem urbanen Schützengraben. Auf der einen Seite junge Männer mit improvisierten Waffen, die sich aufgrund der Herkunft ihrer Familien nicht länger wie Menschen zweiter Klasse behandeln lassen wollen. Auf der anderen die Hundertschaften der französischen Polizei – mit Schutzschilden, Schlagstöcken und jeder Menge Angst hinter den schwarzen Helmen. Die Auseinandersetzung weitet sich schließlich von dem Pariser Vorort ausgehend in ganz Frankreich aus.

Atemlos folgt die Kamera den verschiedenen Akteuren durch Rauchschwaden, Kugelhagel und hektische Lagebesprechungen zwischen heruntergekommenen Betonbauten, die schon vor der Eskalation aussahen wie ein Kriegsschauplatz. Allerdings nicht zwischen Polizei und Aufständigen, sondern Menschen unterhalb der Armutsgrenze und dem Rest der französischen Gesellschaft. Zwischen den Spannungsmomenten in diesem Film und The Gray Man, Netflix‘ sündteurer Action-Hoffnung des Jahres, liegen keine Welten sondern ganze Galaxien.

Athena ist nicht nur einer der mutigsten, sondern auch einer der besten Netflix-Filme bisher

Doch Romain Gavras Film ist kein grauer Misstands-Porno. Er vibriert. Jeder Aggressionsakt ist ein inszenatorisches Kunststück, eine visuell überwältigende Ikonografie der Wut. Untermalt von orchestralen Chören fliegen Molotov-Cocktails und Feuerwerk in bis an die Zähne bewaffnete Polizeitruppen, die nur mühsam von einem um sie kreisenden Motorrad in Schach gehalten werden können. Athena inszeniert die Aufständigen als junge Männer, die sich nicht nur im Recht, sondern auch cool fühlen wollen. Jede Einstellung könnte aus einem Musikvideo stammen, was passt: Gavras drehte für die Band Justice unter anderem das Skandal-Video zu Stress . Athena hat aber nicht nur Style, sondern auch Substanz. Man muss nur ein bisschen danach suchen.

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Der Netflix-Film thematisiert die Folgen von Polizeigewalt. Was passiert, wenn Menschen nicht mehr länger an Recht glauben, zumindest nicht daran, dass ihnen Recht zugesprochen wird. Aus der Ohnmacht heraus wird schließlich blinder Hass und Gewalt. Der Wunsch, ein Zeichen zu setzen, das nicht länger ignoriert werden kann. Regisseur und Drehbuchautor Romain Gavras und sein Co-Autor Ladj Ly (zuletzt mit Die Wütenden – Les Misérables oscarnominiert) beweisen hier endgültig, dass sie Meister ihres Fachs sind, Ikonen des Banlieue-Kinos. Mathieu Kassovitz legte in den 1990ern mit Hass den Maßstab und beeinflusste mit seinem Film nicht nur gesellschaftliche Diskurse, sondern auch die Popkultur. Athena könnte für die neue Generation eine ähnliche Rolle spielen.

Athena zeigt, dass sich zwischen rechter und Polizeigewalt oft kaum unterscheiden lässt

Wenn man Athena etwas vorwerfen kann, dann dass der Film etwas mehr über seine Figuren erzählen könnte. Wie Menschen an einen Punkt kommen, an dem sie keinen anderen Ausweg mehr sehen, zeigt er nicht. Die Beweggründe der Protagonisten bleiben mehr Skizze als colorierte Innenansicht. Das führt in der zweiten Hälfte des Films dazu, dass Athena etwas ins Schlingern gerät. Was kommt nach der nächsten Action-Szene? Wie kann diese Geschichte ein interessantes Ende finden, wenn doch eigentlich von vornherein klar ist, dass die Aufständigen nicht gewinnen können?

Ganz am Ende schafft Gavras trotzdem ein Bild, das sich für immer ins Gedächtnis brennt. Und eine Erkenntnis liefert, die wehtut: Eigentlich ist es egal, ob Idir wirklich von Polizisten umgebracht wurde oder von Rechtsextremen in Polizeiuniform, die eine Eskalation anzetteln wollten – wie es die Polizei immer wieder beteuert. Es reicht, dass es absolut vorstellbar ist, dass Beamte Idir getötet haben.

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Um zu wissen, dass Polizeigewalt ein Problem sind, muss man nicht in dem fiktiven Pariser Vorort Athena leben oder den „Black Lives Matter“-Diskurs in den USA verfolgen. Es reicht, hier in Deutschland Nachrichten zu lesen – zum Beispiel über rechtsextreme Netzwerke innerhalb der Polizei . Ist ein Bürgerkrieg die richtige Antwort? Sicherlich nicht. Aber es hat einen Grund, dass dieser Film sich gerade so dringlich anfühlt. Und Danger Dan im vergangenen Jahr für einen Song beklatscht wurde, in dem er Folgendes singt: „Wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst, ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz.“

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