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#Die Männer von Isjum

„Die Männer von Isjum“

Solche Fotos kreisten im Netz, als die kleine ukrainische Stadt mit dem süßlichen Namen, Isjum („Rosine“), befreit wurde. Bald wurde ein Massengrab entdeckt. Ein viel größeres als in Butscha. Ein Exhumierungsteam steht im Wald, Schaufeln reimen sich auf Kiefer, Männer in Blau gehüllt, eine Pause.

Vor dem Krieg kannte ich keinen Menschen aus Isjum, im Juni habe ich eine Frau von dort im Flugzeug von Tiflis nach Düsseldorf kennengelernt, als Isjum schon lange besetzt war. Sie saß neben mir und redete unaufhörlich, als wolle sie sich selbst davon überzeugen, dass sie noch lebt. Alles war wirr an ihr, ihre Leoparden-Jacke mit großen Knöpfen, ihre rote Hipster-Sonnenbrille – Geschenke einer Helferin –, ihre aufgeregte Gestik und dass sie versuchte, den Mitreisenden Essen abzugeben, wie früher in den sowjetischen Zugabteilen.

Keine Ausnahme, denn es hat Methode

Sie erzählte, wie Isjum unter Beschuss geriet, wie überall Bomben fielen und ihr Nachbar sie ins Auto zwang, und so fuhren sie in irgendeine Richtung, nur weg. In der Nähe von Donezk wurde sie gezwungen, in einen Bus einzusteigen – und plötzlich war sie in Russland in einem Fil­trationslager. Dort wurde sie von Freiwilligen herausgekauft, kam nach Tiflis, wo sie in einem „Hospiz“ lebte, sie meinte natürlich „Hostel“, für ukrainische Flüchtlinge. Sie schrie mehrmals „Hospiz“, „Hospiz“, als habe sie von dem gewusst, was in ihrem Isjum geschah. Jetzt flog sie nach Düsseldorf, da dort ihre Verwandten leben. Eines von Millionen Kriegsschicksalen. Vielleicht ein glücklicheres angesichts dieses Massengrabes. Sie sprach über ihr Haus, ihren Garten und das Gemüsebeet und dann noch über ihre Blumen, als würden die nun für immer blühen. Sie hat nichts mehr davon, das Haus ist eine Ruine, der Garten zerbombt. Und sie saß zum ersten Mal in ihrem Leben in einem Flugzeug.

Erst vor wenigen Tagen wurde die Exhumierung in Isjum beendet: 447 Menschen, fast die Hälfte Frauen, viele gefoltert, mit gebundenen Händen. Einiges aus diesem Folterkatalog möchte ich hier nicht einmal benennen. Nur 22 der Opfer waren Soldaten, alle anderen Zivilisten. Auch fünf Kinder fanden sich in diesem Grab. Einige Familien wurden identifiziert, einige Körperteile konnte man nicht einmal „zusammensetzen“.

Diese Männer hier verrichten eine schwierige Arbeit und machen sie freiwillig. Ich dachte an meine einzige „Bekannte“ und an ihr „Hospiz“, als ich dieses Bild aus Isjum sah. Für die russische Armee ist dies keine Ausnahme mehr; es hat Methode. Auch Berichte aus den besetzten Gebieten wie Cherson zeigen, dass dort ganz normale Menschen verschwinden, nicht nur Aktivisten. Die Zwangsreferenden unter Gewehren bedeuten nicht nur Unterdrückung – sie fordern auch weitere Opfer.

Eine Armee von Engeln mit Lanzen

Wir sehen gerade viele Fotos von Menschenmengen, die Gewalt ausüben oder vor Gewalt fliehen. Und meistens sind es Frauen, die gegen Gewalt protestieren, sei es in Iran oder in Dagestan. Ich denke an die Männer, die in Russland gerade mobilisiert werden, ich denke an die, die fliehen und in riesigen Schlangen an der Grenze stehen, die fliehen, aber nicht protestieren, abgesehen von Einzelnen, die dann geschlagen werden, und wieder denke ich an die Toten in der Ukraine und an diese Männer hier, die eine unmögliche Arbeit leisten.

Es gibt Hunderte von Fotos von Exhumierungen. Instagram ist voll von Bildern, die kaum eine Zeitung zu publizieren wagt. Diese Bilder zeigen, was russische Eroberung bedeutet: Es gibt kein anderes Ziel als Vernichtung. In Isjum sind 80 Prozent der Infrastruktur ruiniert, es gibt kein Wasser und keinen Strom. Die Menschen auf dem Foto ermöglichen eine letzte Ehre – die Beerdigung. Ohne ihre Arbeit wären eine Identifizierung und weitere medizinische und forensische Untersuchungen nicht möglich.

Eine Freundin von mir postete im Netz ein Bild derselben Helfer und direkt daneben ein Fresko aus dem Michailowski-Kloster in Kiew: eine Armee von Engeln mit Lanzen, eine erstaunliche kompositorische Ähnlichkeit, eine falsche Metapher. Vielleicht jedoch die richtige, um diese Menschen zu ehren.

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