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#Am Puls der rastlosen Metropole

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„Am Puls der rastlosen Metropole“

Vor einem damals wohl noch prächtiger erscheinenden Pariser Haussmann-Bau mit seinen sechs Etagen aus hellen Steinquadern, verziert mit Säulen, Balkongittern und den klassischen Fensterläden, steht eine alte Dame. Ihr müder Blick lässt ihr Alter nur erahnen, genau wie der herrschaftliche Hut ihren wohlsituierten gesellschaftlichen Status andeutet. Zwei hagere Gestalten haken sich unter die Arme der Frau, weniger um ihr eine echte Unterstützung zu sein, als vielmehr dem niederen Interesse nachzugehen, sich das Erbe der alten Tante anzueignen.

Zu sehen ist die „Die Erbtante und ihr Haus“, gezeichnet mit Rohrfeder von Karl Hubbuch, Grafiker und langjähriger Kunstprofessor in Karlsruhe, wo er 1891 auch geboren wurde. In der ehemaligen Munitionsfabrik der Stadt, die heute das Zentrum für Kunst und Medien beherbergt, zeigt die Städtische Galerie in einer Ausstellung etwa zweihundert Handzeichnungen und Druckgrafiken Hubbuchs, dazu ebenso viele Werke des niederländischen Künstlers Marcel van Eeden, der Hubbuch im Jahr 2014 an der Akademie nachfolgte und sie seit 2021 auch leitet.

Nicht nur die Lehre in der Stadt mit fächerförmigem Grundriss verbindet die beiden Künstler, ihre Gemeinsamkeit liegt in der Faszination für die zeichnerische Unmittelbarkeit. Die „Drawing Rooms“ unterstreichen diese Direktheit der Zeichenkunst und heben zudem das erzählerische Potential des Mediums hervor. In sechzehn Zeichnungen illustriert Hubbuch Goethes Faust mit exaktem Strich und einprägsamen Motiven Mephistos und des Doktor Faustus selbst. Sein moderner, leichter Umgang mit verschiedensten Techniken der Zeichenkunst bildet die Welt auf eine realistische Art und Weise ab. Neben Otto Dix, George Grosz und August Wilhelm Dressler wird Hubbuch damit zu einem Vertreter der Neuen Sachlichkeit und des Verismus, der während der NS-Zeit als entartet eingestuft, beschlagnahmt oder zerstört wurde.

Marcel van Eeden: „The Radio Station“ 2018, Blatt 23 von 28



Bilderstrecke



Hubbuch und van Eeden
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Faszination für die zeichnerische Unmittelbarkeit

Vor dieser Zeit zwischen 1912 und 1922 widmete er sich insbesondere den pulsierenden Metropolen, die er später zu den Berlin-Blättern zusammenfügt. Zu sehen sind der Französische Dom, die Friedrichstraße und andere einschlägige Plätze der Hauptstadt, die trotz scheinbar schlichter Schwarz-Weiß-Ästhetik durch die präzisen Architekturschilderungen zu leuchten beginnen.

In späteren Phasen beginnt Hubbuch sich in seinen Zeichnungen verstärkt für die Bevölkerung der Städte zu interessieren, die unter anderem in der Zeitschrift „Zapko“ erschienen, deren Mitherausgeber Hubbuch 1930 wurde. Szenisch zeichnet er Arbeiter wie Bürgerliche in allen erdenklichen Situationen, hält erste Eindrücke fest wie pausierende Filmszenen. In seinen Formen Picasso ähnelnd, binden sich seine Zeichnungen des Alltags eines modernen Stadtlebens an einen sozialkritischen und damit allgemein politischen Kontext. Arbeiter, die von der Hand in den Mund leben, wandeln wie Roboter durch enge Gassen der Großstädte und zwängen ihre Körper durch die anonymen Straßen.

Immer wieder sieht man gespenstische Gesichter der Massen, die im Eiltempo vorwärtshasten. In „Die Hauptstadt“, einem Band mit 55 Zeichnungen, der Menschen flanierend im Pariser Jardin du Luxembourg zeigt, sie im Louvre die das Volk anführende Freiheit bestaunen oder am Rande der Seine zur nächsten alltäglichen Erledigung hetzen lässt, verewigt Hubbuch 1970 seine Begeisterung für die Kultur des Nachbarlandes. Dabei halten viele seiner gezeichneten Räume mit ihren beweglichen Figuren nur für einen kurzen Augenblick still, scheinen die Menschen im nächsten Moment der Routine weiter nachgehen zu müssen, um in der rastlosen Metropole nichts zu verpassen.

Der Überschneidung zu van Eeden, 1965 in Den Haag geboren, ist klein, wenn auch von historischer Natur. In Archiven, Sammlungen und Zeitschriften findet er den Stoff, aus dem seine Werke gemacht sind. So diente etwa eine Fotografie Hubbuchs als Vorlage für eine menschengroße Postkarte, die die Karlsruher Kriegsstraße abbildet. Seine Abbildungen reichen von großen zeichnerischen Gemälden bis hin zu kleinen comicartigen Bleistiftzeichnungen, die sich allesamt aus historischen Quellen speisen. Indem er diese neu zusammenfügt, schreibt der Kunstprofessor eine fiktive Vergangenheit, konstruiert Geschichte. Hierbei markieren seine Schriftzüge auch Zeichnungen und erzeugen die Erwartung, eine zusammenhängende Geschichte aus ihnen ablesen zu können. Doch vergeblich. Weil Stilsprünge der Textausschnitte zu groß sind, ergibt sich keine logische Lesart, kein roter Faden wird erkennbar.

Durch das Fehlen der Farbe rücken Hubbuch wie auch van Eeden die Stärke der Formen und Perspektiven in den Vordergrund, erleichtern es dem Auge, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. So fesseln die gezeichneten Räume der beiden hundert Jahre auseinanderliegenden Charaktere den Betrachter, während er in den Sujets der verschiedenen Grafiken und Handzeichnungen die Geschichten der Menschen weiterspinnen kann, wie etwa die einer Pariser Erbtante, die es wohl auch heute noch geben dürfte.

Drawing Rooms: Marcel van Eeden | Karl Hubbuch. Städtische Galerie Karlsruhe; bis 16. April. Kein Katalog.

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