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#Der Erdogan-Kater

„Der Erdogan-Kater“

Frieden im Krieg Russlands gegen die Ukraine hat er nicht vermittelt. Aber sein Bemühen um den Export von Mais, Weizen und anderen Feldfrüchten aus Schwarzmeerhäfen hat Recep Tayyip Erdogan den Dank der Weltgemeinschaft eingetragen. Den Zuspruch des UN-Generalsekretärs kann der türkische Staatspräsident gut gebrauchen. Denn zu Hause finden wegen der schlechten Wirtschaftslage immer weniger Wähler Lobenswertes an ihrem Präsidenten. Auch anderswo wird die Stirn gerunzelt: Washington warnte ihn, Sanktionen gegen Russland zu umgehen.

Andreas Mihm

Wirtschaftskorrespondent für Österreich, Ostmittel-, Südosteuropa und die Türkei mit Sitz in Wien.

Es wäre nicht zum ersten Mal, dass Erdogan ein doppeltes Spiel spielt: Standbein in der NATO, Spielbein irgendwo zwischen Moskau, Peking und Afrika. Als regionaler Hegemon ist die Türkei trotz militärischen Muskelaufbaus noch zu schwach, aber gegen sie geht in der Region nichts: in Kurden-Gebieten, in Syrien, auf Zypern oder der Gasexploration um die Insel. Der Autokrat, zu dem sich Erdogan entwickelt hat, sieht sich auf Augenhöhe mit Russlands Wladimir Putin oder Chinas Xi Jinping. Herablassend schaut er auf den größten Handelspartner, die EU.

Viele Bürger wissen nicht weiter

Doch die zur Schau gestellte Größe steht auf brüchigem Grund. Die Wirtschaftslage ist schwierig. Die Inflationsrate liegt bei 80 Prozent. Kritiker beziffern sie auf das Doppelte. Viele Bürger wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Zweimal hat die Regierung in diesem Jahr Renten und Mindestlohn erhöht, um die Verarmung zu begrenzen.

Für Erdogan ist das bedrohlich, weil es seinen Markenkern schädigt. Unter ihm ist die Türkei lange Zeit solide gewachsen. Er hat vor 20 Jahren die damals noch höhere Inflation reduziert, das Versprechen von mehr (obschon ungleich verteilten) Wohlstand eingelöst. Industriezentren entstanden, die Infrastruktur wurde modernisiert. Erdogan hat die Türkei für Touristen und Investoren attraktiv gemacht. So repressiv die Innenpolitik mit einer willfährigen Justiz gegen Kritiker vorgeht, so liberal gab sich die Wirtschaftspolitik.

Das ist vorbei. Der „Palast“ greift häufiger direkt in die Wirtschaft ein, nicht nur mit fallweisen Preissenkungen für Lebensmittel, Gebrauchtwagen oder Vorschriften an Betriebe, Devisen für Lira herzugeben. Aber was ist das im Vergleich zur Gleichschaltung einer Notenbank?

Niedrigzinsen trotz Rieseninflation

Das Vertrauen in eine ökonomischen Kalkülen folgende Geldpolitik ist dahin, seit drei Gouverneure gehen mussten, die nicht taten, was Erdogan wollte: Zinsen senken, um die Exportwirtschaft anzukurbeln, um mehr Devisen zu erwirtschaften. So senkte die Notenbank vorige Woche den Leitzins von 14 auf 13 Prozent, obwohl die Inflation 80 Prozent beträgt. Tags darauf wurden die Bankzinsen auf Firmenkredite indirekt auf 30 Prozent gedeckelt. So viel zum Vertrauen der Regierung in den Markt oder ihre Fähigkeit, den nötigen Rahmen zu organisieren.

Die Folgen lassen sich am Lira-Kurs besichtigen. Kostete der Dollar vor einem Jahr 8,50 Lira, waren Montag 18,12 Lira fällig. Ein beispielloser Absturz, auch im Kontext anderer Schwellenländer. Die Türken flüchten in Devisen, Gold und Sachwerte.

Druck auf die Lira

Erdogans Wirtschaftsrezept taugt nichts. Auch der Anstieg der Exporte um 20 Prozent im ersten Halbjahr deckt nicht die Kosten des Imports. Die Dollarlücke der Leistungsbilanz wächst. Der Druck auf die Lira steigt. Je weniger sie wert ist, desto mehr Lira müssen erwirtschaftet werden, um Dollarschulden zu bezahlen.

Die Devisennot war vor dem Krieg groß, die seither gestiegenen Preise haben sie vergrößert. Umso mehr sucht Erdogan einen Ausgleich. Die Annäherung an Länder, mit denen die Türkei über Kreuz lag (Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Israel, Ägypten), folgt dem Wunsch nach Export-, Energie- oder Devisengeschäften. So wundert nicht, dass die Türkei, die Sanktionen gegen Russland nicht mitträgt, „Lager und Brücke“ für Lieferungen dorthin wird. Irgendwie muss das russische Gas, Getreide und Öl ja bezahlt werden. Der, wenn auch von niedriger Basis kommende, rapide Anstieg türkischer Lieferungen spricht eine klare Sprache, selbst wenn nicht jede gegen Sanktionen verstößt. Angebliche Vorabzahlungen Russlands über Milliarden Dollar für ein Atomkraftwerk passen ins Bild. Erdogan wird seinen Vorteil zu nutzen wissen.

Unternehmen, die vom Ausbau türkischer anstelle asiatischer Standorte reden, sollten sich der Risiken bewusst sein, zumal Handelsverbesserungen wie die Reform der Zollunion mit der EU auf sich warten lassen. Die Stimmung der Investoren vor Ort war schon besser. Der Erdogan-Kater wird wohl noch anhalten – mindestens bis zur Wahl Mitte 2023.

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