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#Covid19-Inzidenzen und die Periodizität der Lotka-Volterra-Gleichungen – Mathlog

Covid19-Inzidenzen und die Periodizität der Lotka-Volterra-Gleichungen – Mathlog

Wenn man die Entwicklung der Inzidenzen in unterschiedlichen Teilen Deutschlands betrachtet, dann fällt eine gewisse Periodizität auf: Gegenden, in denen die Inzidenz besonders hoch war, haben dann auch mal wieder besonders niedrige Inzidenzen und umgekehrt. Aktuell hat etwa Bremen, wo aus plausiblen Gründen die Inzidenz lange niedrig war, hohe Inzidenzen. Umgekehrt hat Thüringen mit seinen vielen Impfverweigerern aktuell gerade besonders niedrige Inzidenzen, nachdem es lange mit an der Spitze der Inzidenzzahlen gelegen hatte.

In der Mathematik kennt man solche Phänomene auch aus anderen Bereichen, und sie lassen sich oft mit der Periodizität der Lotka-Volterra-Gleichungen erklären. Eine solche Erklärung der Entwicklung der Covid19-Pandemie mit den Lotka-Volterra-Gleichungen versucht die Arbeit “An analytical study of the dynamic behavior of Lotka-Volterra based models of COVID-19” von Wael W. Mohammed, E.S. Aly, A.E. Matouk, S. Albosaily und E.M. Elabbasye (Link).

Alfred Lotka, 1880 in Lemberg geboren, Chemie-Student in Leipzig und seit 1902 in den USA lebend, galt mit seinen Arbeiten über Altersverteilung und Geburts- und Sterbedaten als Begründer der mathematischen Demografie, seit 1924 arbeitete er bei der Metropolitan Life Insurance Company in New York. Die “Elements of Physical Biology” sollten sein Hauptwerk werden, mit ihm wollte er physikalische Prinzipien auf biologische Systeme übertragen, die gesamte belebte wie unbelebte Natur als ein Energieumwandlungssystem verstehen. Bekannt wurde vor allem seine mathematische Formulierung von Gesetzen der Populationsdynamik. Unabhängig von ihm stieß auch Vito Volterra auf dieselben populationsdynamischen Gesetze und dasselbe System von Differentialgleichungen. (Volterra, damals bereits 66 Jahre alt, hatte zuvor wesentliche Beiträge zur Theorie der Integralgleichungen und zahlreichen anderen Gebieten der Mathematik geleistet. Fünf Jahre später würde er in Rom entlassen werden, weil er den Eid auf die faschistische Regierung verweigerte.)

In ihrem Modell ging es um die Dynamik eines ökologischen Systems, in dem eine Raubtiergattung und seine Beute leben. Das emblematische Beispiel sind Luchse und Schneehasen, die Hudson’s Bay Society hatte zu diesen beiden Arten genaue Zählungen seit dem vergangenen Jahrhundert vorliegen. (Volterra war durch den Biologen D’Ancona zu seiner Arbeit angeregt worden, der die Entwicklung von Raub- und Beutefischpopulationen in der Adria untersucht hatte.) Das Modell besteht aus zwei Differentialgleichungen, die die Entwicklung der Populationen jedes Tieres widerspiegeln:
x^\prime =x(a-by), y^\prime=y(-c+dx),
wobei x und y die Anzahl der Räuber- und Beutetiere sind und die anderen (positiven) Parameter von den Rahmenbedingungen abhängen. Diese Differentialgleichungen modellierten die drei von beiden postulierten (und von Volterra mathematisch rigoros aus den Gleichungen hergeleiteten) Entwicklungsgesetze:
– Die Populationsgrößen von Räuber und Beute schwanken periodisch. Dabei folgen die Schwankungen der Räuberpopulation phasenverzögert denen der Beutepopulation. Die Länge der Perioden hängt von den Anfangsbedingungen und von den Wachstumsraten der Populationen ab.
– Die über genügend lange Zeiträume gemittelten Größen (Mittelwert) der Räuber- bzw. Beutepopulation sind konstant. Die Größe der Mittelwerte hängt nur von den Wachstums- und Rückgangsraten der Populationen, nicht aber von den Anfangsbedingungen ab.
– Werden Räuber- und Beutepopulation gleichermaßen proportional zu ihrer Größe dezimiert, so vergrößert sich kurzfristig der Mittelwert der Beutepopulation, während der Mittelwert der Räuberpopulation kurzfristig sinkt.
Alle drei Regeln gelten nur unter der Voraussetzung, dass lediglich zwischen den betrachteten beiden Arten eine Räuber-Beute-Beziehung besteht und die sonstigen biotischen und abiotischen Umweltfaktoren konstant oder zu vernachlässigen sind. Trotzdem waren sie in der praktischen Ökologie von großer Bedeutung.


Mathematisch am interessantesten ist der Beweis der Periodizität, also dass sich die Lösungen wie im Bild in periodischen Bahnen um das Gleichgewicht (c/d,a/b) bewegen. Das sieht man am einfachsten mit der Hamilton-Funktion c\ln(x)-dx+a\ln(y)-by , die eine Erhaltungsgrösse ist und deren Niveaumengen eben den Bahnen im Bild entsprechen. Man zeigt leicht, dass ihre Niveaumengen jede im Gleichgewicht startende Halbgerade in genau einem Punkt schneidet. Wenn man Polarkoordinaten (r, φ) mit dem Gleichgewicht (c/d,a/b) als Ursprung betrachtet, kann man aus der Positivität der Parameter a,b,c,d die Ungleichung r2 φ‘>0 herleiten, womit die Bahn dann tatsächlich die gesamte geschlossene Kurve immer wieder durchlaufen muss – das beweist die Periodizität, die man bei Luchsen und Schneehasen auch in der Natur beobachten kann. Die Rechnung ist so einfach, dass wir sie hier vorführen können. Zunächst verschiebt man den Ursprung des Koordinatensystems in das Gleichgewicht (c/d,a/b), betrachtet also Koordinaten X=x-c/d, Y=y-a/b. Die Lotka-Volterra-Gleichungen transformieren sich dann in die Gleichungen X’=-b(X+c/d)Y, Y’=dX(Y+a/b). In Polarkoordinaten X=r.cos φ, Y=r.sin φ kann man dann auch X’ und Y’ in Polarkoordinaten ausdrücken und bekommt r2 φ‘=XY’-YX’=d>X2Y+ad/b.X2+b.XY2+bc/d.Y2, was positiv ist. Also ist φ streng monoton wachsend. Bliebe φ beschränkt, dann müßte die Lösung gegen ein Gleichgewicht von φ konvergieren, das es aber wegen φ‘>0 nicht gibt. Also muß φ immer wieder zu einem gegebenen Wert zurückkehren.

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