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Handball ohne Herz

Zum Vermächtnis Dagur Sigurdssons gehört neben dem EM-Titel 2016 die Erkenntnis, dass jeder deutsche Bundesligaprofi ein potentieller Nationalspieler ist. Der Isländer zog seine Linie als Bundestrainer durch und nominierte Akteure, die keiner kannte. Hintergrund: Wer sich in der „stärksten Liga der Welt“ durchsetzt, ist gewappnet für Aufgaben im Nationaltrikot. Sigurdsson hinterließ auch den Satz, nach dem Deutschland von der „Breite an der Spitze“ profitiere, selbst wenn Verletzungen die Auswahl schmälerten.

Daran fühlte sich in einem anderen, dem aktuell dominierenden Zusammenhang Andreas Michelmann erinnert. Bezogen auf schmerzhafte Absagen der vergangenen Tage, sagte er: „Wir sind das Land mit der größten Breite in der Spitze. Das wird uns auch bei der WM helfen.“

Wenn sich der Präsident des Deutschen Handballbundes (DHB) da mal nicht täuscht. Nach Patrick Wiencek vor einer Woche übermittelten nun auch Finn Lemke (MT Melsungen) und die Kieler Hendrik Pekeler und Steffen Weinhold ihre Absicht, im Januar daheim bleiben zu wollen, statt nach Ägypten zu reisen. Mit Rücksicht auf die Familien im Lockdown. Und wohl auch auf die eigene Gesundheit. Alle vier sind schließlich schon länger dabei. Wie groß der Druck der Vereine war – Kiel und Melsungen sind aufgrund von Infektionen und Quarantäne die Klubs mit den meisten Nachholspielen –, sei dahingestellt.

Für Bundestrainer Alfred Gislason heißt das: Auf nach Gizeh – aber ohne Abwehr. Wiencek und Pekeler als menschliche Mauer wird er ebenso vermissen wie Lemke als Backup oder Partner der beiden. Weinhold ist immerhin ein versierter Verteidiger. Nimmt man die verletzten oder nicht austrainierten Rückraumspieler Franz Semper, Tim Suton und Fabian Wiede hinzu, die ebenfalls passen müssen, fehlt Gislason für die ägyptische Weltmesse fast alles, was die zarte Pflanze Handball-Aufschwung zuletzt goss. Vielleicht arbeitet sich der 60 Jahre alte Isländer also zu Hause in Wendgräben bei Magdeburg auch gerade durch die Saison-Vorschauhefte und fahndet nach Spielern. Am Montag will er den deutschen Kader bekanntgeben.

Mit Ablehnung hatte der DHB gerechnet: „Wir haben den Spielern freigestellt zu spielen, deswegen ist es nicht überraschend, dass einige absagen“, sagte Michelmann. Auffällig ist, dass gerade betagtere Profis mit Kindern einen Bogen um das Turnier machen. Dass die Jungen spielen wollen und würden, hatte der Wetzlarer Coach Kai Wandschneider schon vor Wochen prophezeit – er ist in der Liga bestens vernetzt. Dabei dürfte die Sorge der Älteren um die Lieben daheim nur ein Teil der Begründung sein. Corona plus der vollgestopfte Spielplan plus eine auf den ersten Blick nicht allzu attraktiv wirkende WM ergeben addiert mehr als genug Gründe gegen die Teilnahme.

Gislason klagt nicht. „Ich sehe das pragmatisch“, sagt er, „jeder Verlust ist auch eine Chance.“ Der komplette Umbau im deutschen Kernstück dürfte jedoch selbst ihm wegen des schmalen Vorbereitungskorridors schwerfallen. Zudem sind Kandidaten, die Abwehr und Angriff können, rar gesät, und ausgerechnet die beiden dafür bestens Geeigneten, Juri Knorr aus Minden und Marian Michalczik von den Füchsen Berlin, werden nach ihren Corona-Erkrankungen gerade erst wieder an Bundesliga-Spielfähigkeit herangeführt.

Sollte Johannes Golla trotz eben überstandenem Fußbruch und maximaler Belastung in Flensburg sein „Ja“-Wort geben, könnte er zum Abwehrchef aufsteigen – mit 22 Jahren. Anwärter auf eine Partnerschaft im Innenblock sind Sebastian Firnhaber aus Erlangen sowie Göppingens Sebastian Heymann oder Christian Dissinger aus Skopje. Im Übrigen zeichnet sich auch bei anderen Nationen ab, dass neue Formationen auflaufen werden: Lukas Nilsson von den Rhein-Neckar Löwen wird nicht für Schweden spielen.

Während der sportliche Wert des Turniers aus deutscher Sicht somit zweifelhaft ist, gibt es aus anderen Ländern weitgehend Bereitschaft, in Ägypten zu spielen. Norwegen, der WM-Zweite 2019, wird mit dem stärksten Kader antreten. So sagte Sander Sagosen, Norweger vom THW Kiel, dem Blatt „VG“: „Wenn es eine WM gibt und wir bekommen die Erlaubnis, teilzunehmen, ist es mein Job, Handball zu spielen. Ich gehe davon aus, dass der internationale und der norwegische Verband alles regeln werden.“




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Beim Titelverteidiger in Dänemark ist die Situation ähnlich; der Kampf um die Kaderplätze ist in vollem Gange. Bei den Schweden hingegen verzichtet Lukas Nilsson von den Rhein-Neckar Löwen auf die WM; der Kieler Kroate Domagoj Duvnjak hat für eine Absage des Turniers plädiert, wird aber wohl spielen, weil die WM ja stattfindet. Aus Frankreich und Spanien gibt es bislang keine Kunde von prominenten Absagen.

Die, die fahren, sollen besten Schutz genießen. Dass die Gesundheit wichtiger sei als sportlicher Erfolg, hat der DHB mehrfach versichert. Um den zu gewährleisten, hat Präsident Michelmann in Kolding bei der Frauen-EM genau hingesehen. Er sagte: „Diese EM ist eine Blaupause, wie man eine internationale Großveranstaltung organisieren kann.“ Der Spielbetrieb in Kolding und Herning verlief weitgehend reibungslos. Die Regeln in der „Bubble“ waren streng. Entscheidende Erkenntnis war, dass Mannschaften eine Woche Isolation brauchten, um „sicher in die bubble reingehen zu können“, sagte Michelmann.

Das wäre den DHB-Männern aber unmöglich, weil vor der am 13. Januar beginnenden WM noch die EM-Qualifikationsspiele gegen Österreich am 6./10. Januar anstehen. Deswegen sagte Michelmann: „Ich würde mir wünschen, dass die EHF darüber nachdenkt, ob in diesen Zeiten eine EM-Qualifikation unbedingt erforderlich ist, oder ob es mit Blick auf eine WM nicht gut wäre zu sagen, okay, wir verzichten auf die EM-Qualifikationsspiele im Interesse der Sicherheit der Spieler.“

Bislang galten die Partien gegen den Nachbarn als Gelegenheit, warmzuwerden – gerade angesichts der Absagen. Doch der Blick auf die Gegebenheiten ändert sich rasch. Nicht nur im Handball.

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