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#Die Dunkelkammer als Wunderkammer

„Die Dunkelkammer als Wunderkammer“

Der Eindruck ist verblüffend: Auf den ansonsten bei Sonderausstellungen bis auf den letzten Quadratzentimeter aus­genutzten Wänden des Pariser Museums für Kunst und Geschichte des Judentums herrscht diesmal elegante Großzügigkeit, die von einer betörenden, blassgrauen Farbgebung noch unterstrichen wird. Mag sein, dass die berühmteste Arbeit des diesmal ausgestellten Künstlers dafür die Anregung geboten hat: jenes Um­schlagfoto für eine Ausgabe des amerikanischen Modemagazins „Vogue“ aus dem Jahr 1950, das nur Mund und ein Auge des weiblichen Models zeigt, beides stark geschminkt. Dieses höchst aufgeräumte Porträt machte Epoche – bis hin zu Madonna, die den Look in einem ihrer Musikvideos nachstellte.

Aber sein Schöpfer wird hier nur am Rande als Modefotograf ausgestellt. „Les Tribulations d’Erwin Blumental“ zeigen titelgemäß die Beschwernisse des 1897 in Berlin geborenen jüdischen Bürgersohns, der sich nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er als Soldat knapp einem Standgerichtsverfahren wegen Desertion entgangen war, in Amsterdam als Dada-Künstler und später als Lederwarenhändler versuchte – erfolglos.

Bei einem Umzug seines Geschäfts hatte er jedoch 1932 eine Dunkelkammer samt zurückgelassener Plattenkamera entdeckt und die aus der Berliner Kindheit stammende Liebe zur Fotografie neu belebt und zum Nebenberuf gemacht. Als Hitler Reichskanzler wurde, war Blumenfeld zwar in Sicherheit, kommentierte das Ereignis aber mit einer Fotomontage, die er „Grauenfresse“ betitelte: die Züge des „Führers“ über einem Totenkopf. Da zeigten sich zum ersten Mal Blumenfelds Vergnügen und Können beim experimentellen Entwickeln. Die Dunkelkammer wurde seine Wunderkammer und Solarisation zu einem bevorzugten Kunstgriff seiner Porträtaufnahmen.

Das Interesse des Heimatvertriebenen an den Heimatlosen ist bewegend

Mit ihnen etablierte er sich 1937 in Paris, und die folgenden drei Jahre brachten ikonische Bilder von Henri Matisse, Georges Rouault oder Cecil Beaton hervor. Dann holte ihn der Nationalsozialismus doch noch ein, und die Familie (Blumenfeld selbst, immer noch deutscher Staatsbürger, seine Frau und drei Kinder) trat eine Odyssee durch französische Internierungslager und Hafenstädte sowie nordafrikanische Quarantänen an, ehe sie im August 1941 in New York ankam, wo Blumenfeld aufgrund seiner Reputation sofort eine Anstellung bei der Zeitschrift „Harper’s Bazaar“ fand, bald eingebürgert wurde und eine neue, farbige Bilderkunstsprache in der Modefotografie entwickelte.

Blumenfelds Foto der Freiheitsstatue, 1946



Bilderstrecke



Fotografisches Selbstzeugnis
:


Werke von Erwin Blumenfeld

Doch wie gesagt: Dieser Aspekt spielt in der Pariser Ausstellung die kleinere Rolle gegenüber dem Dokumentaristen Blumenfeld, der während aller persön­lichen Irrwege immer die Kamera auch auf sich und die Seinen richtete. Noch in den verzweifeltsten Lagen fotografierte er, und so bietet die Schau ein eindrucksvolles Selbstzeugnis von Flucht, Inhaftierung und Emigration, meist lediglich kommentiert durch Zitate aus Blumenfelds postum erschienenen Memoiren „Einbildungsroman“, die ein weiteres Wunder sind: an Witz und Scharfsicht.

Und es gibt gänzlich unbekannte Bilderserien zu sehen, die neues Licht auf Blumenfelds fotografisches und ethnographisches Interesse werfen: Aufnahmen von Roma in Südfrankreich, die dort bereits 1928 entstanden und noch Jahre später im Amsterdamer Atelier als Studiositzungen fortgeführt wurden, und Fotos von Tanzzeremonien in den Indianerreservaten von New Mexico, wohin er 1947 gereist war. Das Interesse des Heimatvertriebenen an den Heimatlosen und Heimatreduzierten ist bewegend.

Mehr als zweihundert Arbeiten sind am Ende dann doch zu sehen, eine ausdrucksstärker als die andere, doch die Menge und ihr schweres Thema bewältigt die Ausstellung federleicht. Das verdankt sie der Persönlichkeit von Erwin Blumenfeld, die in seinen Bildern und Büchern Ausdruck fand: als ständig auf der Suche befindlicher Fotokünstler, stets verzaubert durch Schönheit noch in den hässlichsten Momenten.

Les Tribulations d’Erwin Blumenfeld 1930–1950. Im Musée d’art et d’histoire du Judaïsme, Paris; bis zum 5. März. Der ausgezeichnete französische Katalog kostet 42 Euro.

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