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#Die „Großstadt-Dokumente“ erzählen von Berlin vor mehr als 100 Jahren

Die „Großstadt-Dokumente“ erzählen von Berlin vor mehr als 100 Jahren

Die „Großstadt-Dokumente“ erzählen wie Berlin zu dem wurde, was es heute ist: Thomas Böhm hat eine Auswahl der Texte aus Hans Ostwalds gewaltigem Projekt aus den Jahren 1904 bis 1908 herausgegeben. Wir haben mit dem Literaturvermittler und Moderator (radioeins) über das Berlin von einst gesprochen, über die Dinge, die sich verändert haben, und über die Frage, worüber Ostwald heute schreiben würde.

Der Autor und Moderator Thomas Böhm hat Hast Ostwalds "Großstadt Dokumente" wiederentdeckt.
Der Autor und Moderator Thomas Böhm hat Hast Ostwalds „Großstadt Dokumente“ wiederentdeckt. Foto: Michele Piazza

tipBerlin Herr Böhm, Sie haben gerade einen Band mit Berlin-Reportagen aus den Jahren 1904 bis 1908 des Journalisten Hans Ostwald herausgegeben. Sie stammen aus dem 50 Bände umfassenden Projekt mit dem Projekt „Großstadt-Dokumente“. Wie kamen Sie dazu, sich mit dem Thema zu beschäftigen?

Thomas Böhm Das war ein Zufallsfund. Bei der Recherche für ein anderes Projekt stieß ich auf die Schriftenreihe die „Großstadt-Dokumente“. Sah die Themen der einzelnen Bände: „Die Berliner Bohème“, „Berliner Tanzlokale“ usw., 50 Bände insgesamt, die sowohl die dunklen Seiten zeigen, wie auch den Glanz der Stadt.

tipBerlin Was hat Sie an diesen mehr als 100 Jahre alten Texten am meisten fasziniert?

Thomas Böhm Dass man in ihnen lesen kann, wie Berlin zu dem wird, was es heute ist. Es gibt Texte, die beschreiben, dass die Wiesen da, wo heute der S-Bahnhof Tiergarten ist, noch 1850 im Winter voller Grundwasser waren und es sich dort herrlich Schlittschuhlaufen ließ. Oder dass sich 1870 noch niemand vorstellen konnte, jenseits des Lützowplatzes zu ­wohnen.

Schon vor 100 Jahren war das großstädtische Wohnungselend ein Thema

tipBerlin Gab es Momente, in denen Sie dachten, dass Berlin damals so tickte wie heute?

Thomas Böhm Ja, leider. Ein Problem, das Ostwald, der eine Zeit lang als Vagabund gelebt hat, besonders am Herzen lag, war die Obdachlosigkeit. Er hat Ideen und Konzepte dagegen entwickelt. Da scheint sich aber wenig bewegt zu haben. Er hat auch das „Großstädtische Wohnungselend“ thematisiert, der Stadt empfohlen, einen Immobilienfonds anzulegen und diesen so wichtigen Bereich nicht Menschen zu überlassen, die auf Gewinn aus sind.

tipBerlin Und was hat Sie irritiert oder ist heute komplett anders?

Thomas Böhm Manche Orte sind vollkommen verschwunden. Die Radrennbahn in Friedenau. Es gibt einen packenden Text, wie dort 1904 ein Bahnrad-Weltrekord gebrochen wurde. Vor 8.000 Zuschauern. Oder das Seebad Wilmersdorf. Da gab es den „Tanzpalast Schramm am See“. Eines der beliebtesten Ausflugslokale der Berliner. Andere Orte wurden umgewidmet. Das heutige Vivantes Krankenhaus in der Fröbelstraße war damals Berlins größtes Obdachlosenasyl. Darüber hat Ostwald gleich im ersten Band einen Text geschrieben. So fängt man an, die Stadt mit anderen Augen zu sehen.

"Großstadt-Dokumente“ - Berlin Alexanderplatz um 1910. Foto: Imago/Gerhard Leber
Berlin Alexanderplatz um 1910. Foto: Imago/Gerhard Leber

tipBerlin Hat Ostwald mit dem Projekt „Großstadt-Dokumente“ den Aufstieg der Stadt zur Weltmetropole antizipiert, die Groß-Berlin ab dem 1. Oktober 1920 de facto wurde?

Thomas Böhm Absolut. Vom Vorwort des ersten Bandes an. Gerade weil Berlin eine Metropole ist, kann das Wesen der Stadt nicht mehr in einem Buch, von einem einzigen Autor, erfasst werden. Weshalb die 50 Bände von insgesamt 38 Beitragenden geschrieben wurden, die sich in den Milieus, die sie beschreiben, bestens auskannten und „die Wissbegierigen an die Hand“ nehmen.

tipBerlin Lassen Sie uns einmal spekulieren. Wo­rüber würde Ostwald heute schreiben?

Thomas Böhm Über das Gleiche. Nur die Namen haben sich geändert. Aus den Kaffeebuden wurden die Spätis. Aus der Bohème die Hipster. Die Orte des Berliner Spielertums sind heute nicht mehr Cafés, sondern Spielhallen und Wettbüros. Ich fände es ein grandioses Projekt, sich Band für Band vorzunehmen und zu schauen, wie es um das Thema heute steht.

Die „Großstadt Dokumente“ waren ein publizistischer Geniestreich

tipBerlin Sehen Sie gegenwärtig jemanden, der (oder die) mit ähnlicher Intensität Berlin beobachtet und beschreibt, so dass die Texte noch in 100 Jahren Relevanz hätten?

Thomas Böhm Es gibt sicher viele Autor*innen, die mit großem Engagement über die Stadt schreiben. Es fehlt eher der Rahmen. Das war der publizistische Geniestreich von Ostwald: 50 Bände über alle Facetten der Großstadt. Das hat es nie wiedergegeben. Auch zu keiner anderen Stadt der Welt.

Hans Ostwald – Berlin: Anfänge einer Großstadt. Szenen und Reportagen 1904-1908 Herausgegeben von Thomas Böhm, Galiani, 416 S., 28 €


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