#Syphilis-Erreger stammt doch aus Amerika

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Bei einer Epidemie in Europa starben im Jahr 1495 viele Menschen an einer für damalige Zeit neuartigen Krankheit: Syphilis. Die Infektionskrankheit hatte ihren Ursprung aber nicht in Europa, sondern in Amerika, wie neue DNA-Analysen von Skelettresten aus der Zeit vor Kolumbus belegen. Darin fanden sich ausgestorbene Verwandte des heutigen Syphilis-Erregers. Ende des 15. Jahrhunderts wurde die Krankheit demnach aus der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt und verbreitete sich durch den europäischen Kolonialismus in folgenden Jahrzehnten weltweit, berichten die Forschenden in „Nature“. Damit ist eine lange umstrittene Frage in der Medizingeschichte geklärt.
Syphilis ist eine sexuell übertagbare Infektionskrankheit, die unbehandelt oft tödlich ist. Die Überlebenden behalten bleibende körperliche und geistige Schäden, beispielsweise Veränderungen an Knochen oder Zähnen. Die erste Syphilis-Epidemie, die dokumentiert und historisch belegt ist, begann im Jahr 1495 in Europa. Zu der Zeit war die Krankheit noch unbekannt. Da die Seuche kurz nach der Rückkehr Kolumbus aus Amerika auftrat, vermuteten Experten lange, sie könnte durch Kontakt mit Menschen der Neuen Welt eingeschleppt worden sein. Die Vermutung lag nahe, da damals in umgekehrter Richtung tatsächlich viele übertragbare Krankheiten von Europa nach Amerika eingeschleppt wurden.
Doch Knochenfunde aus dem europäischen Mittelalter weckten in den vergangenen Jahren Zweifel an dieser Theorie. Die Skelettreste stammen aus der Zeit vor 1492 und weisen Läsionen auf, die typisch für Syphilis-Kranke sind. Das legt nahe, dass die Syphilis in Europa schon vor Kolumbus Rückkehr auftrat und dass die Epidemie Ende des 15. Jahrhunderts unabhängig von der Kolonialisierung Amerikas ausbrach. Allerdings konnte weder der Ursprung in Amerika noch der in Europa bisher eindeutig bestätigt werden. „Allein anhand der Läsionen können wir die Krankheit und ihre Herkunft nicht eindeutig identifizieren“, sagt Co-Autorin Casey Kirkpatrick vom Max-Planck-Institut (MPI) für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Wo und wann die Krankheit zuerst ausbrach, ist daher weiterhin unklar.

Syphilis und ihre Verwandten stammen doch aus Amerika
Ein Team um Rodrigo Barquera vom MPI für evolutionäre Anthropologie hat diese Frage nun geklärt. Die Archäologen und Paläontologen untersuchten dafür in Nord- und Südamerika gefundene Knochen und Zähne mit Syphilis-ähnlichen Spuren aus der Zeit vor Kolumbus. Die seltenen Skelettreste stammen aus Mexiko, Chile, Peru und Argentinien, aus der Zeit um und vor 1492. Aus den Überresten isolierten die Forschenden die DNA der Krankheitserreger und verglichen das Erbgut mit heute kursierenden Erregern. Das Team rekonstruierte und identifizierte so fünf alte Genome von Erregern. „Obwohl die Untersuchung aufgrund des schlechten Erhaltungszustands einige analytische Herausforderungen mit sich brachte, konnten wir die Beziehungen zwischen diesen ausgestorbenen Formen und den Stämmen, die heute weltweit die Gesundheit beeinflussen, sicher bestimmen“, sagt Barqueras Kollege Lesley Sitter.
Es zeigte sich, dass die isolierte Knochen-DNA von ausgestorbenen Verwandten des heutigen Syphilis-Erregers und anderen Erregern aus derselben Krankheitsfamilie stammt, Frambösie und Bejel. Alle drei Krankheiten werden von Subspezies des Bakteriums Treponema pallidum ausgelöst. „Wir fanden ausgestorbene Schwesterlinien für alle bekannten Formen dieser Krankheitsfamilie. Syphilis, Frambösie und Bejel sind also moderne Überbleibsel von Erregern, die einst in Amerika kursierten“, erklärt Barquera. Die Genomdaten belegen demnach, dass diese Infektionskrankheiten tatsächlich schon vor der Ankunft Kolumbus in Amerika kursierten. „Die Daten zeigen eindeutig, dass die Syphilis und ihre bekannten Verwandten ihren Ursprung in Amerika haben“, sagt Seniorautorin Kirsten Bos vom MPI für evolutionäre Anthropologie.
Die DNA-Daten aus Amerika zeigen auch, dass die Syphilis- und Frambösiefälle dort um das Jahr 1500 explosionsartig anstiegen. Dabei haben sich offenbar auch die europäischen Eroberer mit den Syphiliserregern angesteckt. „Ihre Einschleppung nach Europa ab dem späten 15. Jahrhundert stimmt mit diesen Daten überein“, sagt Bos. Somit legen die Ergebnisse auch nahe, dass die Syphilis mit der Rückkehr Kolumbus aus der Neuen Welt nach Europa eingeschleppt wurde.
Globale Expansion der Syphilis durch Kolonialisten
Die weltweite Ausbreitung der Seuchen in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten ist demnach ebenfalls erst der Kolonialzeit zuzuschreiben. Der Sklavenhandel und die Ausbreitung der Europäer nach Amerika und Afrika dürften dies begünstigt haben, so das Team. „Während die indigenen Bevölkerungsgruppen Amerikas an den frühesten Formen dieser Krankheiten litten, spielten die Europäer eine entscheidende Rolle bei ihrer weltweiten Verbreitung“, sagt Bos. Wie das Syphilisbakterium Treponema pallidum nach Amerika kam, ist indes weiter unklar. Es könnte zuvor von einem Tier auf Menschen in Amerika übergesprungen sein oder von Menschen aus Asien eingeschleppt worden sein, während der ersten Besiedlung des Kontinents.
Doch wenn die Syphilis zuerst in Amerika auftrat, warum wurden dann Knochen mit Syphilis-ähnlichen Spuren in Europa gefunden, die älter als 1492 sind? Das Team vermutet, dass diese Knochenläsionen von anderen Infektionskrankheiten oder anderen Syphilis-Verwandten stammen, die noch nicht identifiziert wurden. „Die Suche nach diesen früheren Formen geht weiter, und alte DNA wird dabei sicher eine wertvolle Ressource sein“, sagt Seniorautor Johannes Krause vom MPI für evolutionäre Anthropologie. „Wer weiß, welche älteren verwandten Krankheiten mit Menschen und anderen Tieren um die Welt gereist sind, bevor die Syphilis-Erregerfamilie auftauchte.“
Quelle: Rodrigo Barquera (Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie) et al.; Nature, doi: 10.1038/s41586-024-08515-5
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