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#Ein Jahr Brandenburg in der Corona-Pandemie – Wie gut ist das wirklich?

Ein Jahr Brandenburg in der Corona-Pandemie – Wie gut ist das wirklich?

Ich schwitze in den Kniekehlen. Keine Ahnung, ob das etwas ist, was jede*r hat, aber ich kenne diese kribbelig-komischen Momente an meinen Beinen mittlerweile richtig gut. Es fängt immer dann an, wenn ich den Berg kurz vor dem Bahnhof hochgestrampelt bin mit meinem Rad. Wenn ich schwitze, dann geht’s mir gut, denn ich weiß, dass ich es gleich geschafft habe und im schön gekühlten Zug sitzen werde. Ich bin quasi Schweiß-konditioniert.

So sehr ich mir das auch wünschen würde, aber im Brandenburg ohne Auto zu überleben, ist so gut wie unmöglich. Trotzdem radele ich mir derzeit die Seele aus dem Leib. Als ich während Corona aus Berlin rauszog, stellte ich mir das Landleben rundum perfekt vor. Trotz Ausgangssperren, Begrenzung der Menschen, die man überhaupt treffen darf, und der vielen anderen Einschränkungen schätzte ich meine Chancen auf gute Stimmung in Brandenburg relativ hoch ein. Endlose freie Fläche, der Geruch von frisch gemähtem Gras, Ruhe zum Lesen, Schreiben, Kreativwerden, you name it.

So sehr ich mir das auch wünschen würde, aber im Brandenburg ohne Auto zu überleben, ist so gut wie unmöglich.

Nette Nachbar*innen, viel Zeit für Sport und ein Blick ins Grüne: Ich lebe den Traum eines*r Ü-30-Jährigen

Eine ganze Weile funktionierte das Leben auf Social-Life-Sparflamme auch unheimlich gut. Zoom Calls gingen absolut klar und ich fing an, in meiner Freizeit ein Buch zu schreiben (das habe ich aus Filmen gelernt – wer irgendwo länger alleine rumhockt, hackt einen halbwegs verstrahlt-blumigen Roman in seinen Laptop). Und trotz Homeoffice schaffte ich es, mich mehr als je zuvor unter der Woche zu bewegen. In meiner Pause machte ich nun eben nicht mehr den kurzen Abstecher zum Supermarkt, um mir was zum Hinterstopfen zum Mittag zu holen – jetzt konnte ich eine Runde „ins Grüne“ gehen. Am Morgen war problemlos eine Runde joggen drin (ihr wisst schon, die paar Meter, die man fürs Instagram-Selfie macht) und nach der Arbeit aufs Fahrrad schwingen und ein paar Einkäufe im nächsten Ort tätigen, stellte auch kein Problem dar.

Ich lebte den Traum einer jeden Ü-30-Jährigen. Oder eben nur meinen. Was weiß ich. Ich fand’s jedenfalls einfach nur irre. Überlegte sogar eine Weile, ob ich mit dem Anpflanzen von Zucchini starten sollte.

Ich lebte den Traum einer jeden Ü-30-Jährigen. Oder eben nur meinen. Was weiß ich. Ich fand’s jedenfalls einfach nur irre. Überlegte sogar eine Weile, ob ich mit dem Anpflanzen von Zucchini starten sollte. Hier ein kleiner Spoiler: Muss man gar nicht, denn es gibt genügend Nachbar*innen mit Zucchini, die in der Saison scheinbar davon derart viele haben, dass sie regelmäßig welche verschenken. Das Gleiche gilt übrigens für Tomaten und manchmal auch Paprika, Kirschen und Pflaumen. Was will ich also mehr?

Ich will Essen gehen können. Ganz klar Restaurants besuchen und den Scheiß nicht selbst zubereiten müssen. Weil ich so was nicht kann und nur durch einmal „Julie & Julia“ gucken auch nicht wie durch Zauberhand zur Köchin wurde. Oder durch Zähne-Zusammenbeißen-und-halt-mehr-üben-Bla. Vergesst es. Ich habe wirklich einiges versucht und eine Menge meiner Freund*innen haben es schon mit dem Zuschicken von Rezepten probiert, die „wirklich ganz einfach“ sind, aber ich bin absolut lernresistent.

Instagram ist mein Feind, denn da sehe ich ja, was alles wieder geht

Dass vieles auf dem Land nicht so easy going bleiben würde, hätte ich mir denken können. In Filmen ist so ein Start ja auch nur die Einleitung für das Folgende. Meist etwas mit Konflikten. Und ich bin jetzt voller innerer Konflikte, zu denen mir die Regieanweisungen zur Bewältigung fehlen. Mittlerweile ist dank Impfe und Tests viel mehr möglich – aber ich stecke halt in Brandenburg fest.

Dem Brandenburg, von dem ich all meinen Freund*innen immer begeistert berichtete, dass es nur eine kurze Zugfahrt von Berlin entfernt sei. Ja gut, ich bin ehrlich: Das ist natürlich eine fette Untertreibung. Denn bis zum nächsten Bahnhof muss halt noch ordentlich in die Pedale getreten werden. Ohne Rad geht’s nicht. Und so ganz lässt sich der Wunsch nach dem Auto auch nicht aus dem Hinterkopf verdrängen. Verdammt. Und Instagram ist mein Feind. Denn da sehe ich ja, was alles geht.

Spontaneität ist super, aber ich muss sie schon vorher einplanen können

Freund*innen treffen sich spontan in Cafés, Biergärten, Restaurants oder einfach nur so im Park. Aber ich bin die, die nicht so schnell von A nach B kommt. Ich muss erst meine Kniekehlen zum Schwitzen bringen, dann die 45 Minuten im Zug runterkühlen und mich danach wieder mit U-, S-Bahn und Tram zurechtfinden, bis ich bei euch am Paul-Lincke-Ufer sein kann. Und wenn ihr dann mit mir mit einem Aperol anstoßen wollt, muss ich erst googeln, wie lange es dauert, bis der Alkohol vom Körper abgebaut wird, bis ich wieder später aufs Fahrrad steigen kann (denn die Polizei kontrolliert das schon sehr gerne). Und wenn die Rechnung geschafft ist, muss ich als nächstes gucken, wie viel Zeit ich mit euch verbringen kann, denn die Anbindung nach Brandenburg läuft nicht 24/7. Ich muss also von vornherein wissen: Wird das heute ein kurzer Abend oder machen wir bis zum nächsten Morgen? Ein Dazwischen gibt es nicht für mich, denn da fahren Regio und S-Bahn nicht. Ganz schön viel Orga für ein lockeres Miteinander, oder?

Ich muss also von vornherein wissen: Wird das heute ein kurzer Abend oder machen wir bis zum nächsten Morgen? Ein Dazwischen gibt es nicht für mich, denn da fahren Regio und S-Bahn nicht.

Aber ich will mich nicht beschweren. Alles ist möglich – so habe ich mir das zumindest fest vorgenommen. Ich will Sachen mitmachen, immer wieder Leute treffen können und das Beste von beiden Welten genießen, auch wenn es vielleicht ein bisschen mehr Pendelei und Planung mit sich bringt. Denn darum geht es doch, oder? Sich nicht den Kopf über Nebensächlichkeiten zerbrechen, wenn mit einem Mal nicht nur das Ruhige und Entspannte im Landleben möglich ist, sondern auch mal wieder das Zusammensein mit Freund*innen, das Sozial- und sogar etwas mehr Kulturleben.

Wer gerne pendelt, packt auch die Berlin-Brandenburg-Balance?

In der Isolation finde ich jedenfalls nicht mein Glück. Denn selbst wenn auf dem Land nicht die Nachbar*innen oder einfach nur der Stadtverkehr nerven – in Brandenburg schocken die mittlerweile fast minütlich tief über einen hinwegziehenden Flugzeuge mindestens genauso wie der Presslufthammer an einer Baustelle neben der Arbeit in der City. Und von dem beständigen Rasenmäher-, Traktor- oder Feuerwehrübungsgeräuschkulissenirrsinn fange ich gar nicht erst an.

Aber neulich war dann tatsächlich so ein Abend „wie früher“ – also vor Pandemie und Umzug – drin. Mit meinen Freund*innen saß ich lange draußen im warmen Kreuzberg. Wir redeten so lange, dass irgendwann egal war, ob die Sätze Sinn ergeben, denn dieses gegenseitige Updaten war längst geschafft. Wir waren einfach nur zusammen. Für Ewigkeiten. Ohne Zeitstress bei irgendwem. Einfach nur Sommer in Berlin. Und als ich mich gemächlich auf den Heimweg machte, störte mich die Fahrzeit nicht, ich tippte noch Nachrichten mit ihnen hin und her. Grinste mir selbst in der Spiegelung des Zugfensters im Dunkel zu. Denn je mehr man aus Berlin rausfährt, desto weniger Lichter leuchten einem entgegen. Kein Wohnblock, in dem in einem Fenster noch die Deckenlampe bis auf die Straße hinaus leuchtet und auch immer weniger Straßenlaternen. Alles ist schwarz. Erst wenn man sich richtig lange konzentriert, breitet sich vor einem ein enormer Sternenhimmel aus.

Und dann rollte ich nach Hause. Denn das Beste an der Fahrstrecke ist, dass ich beim Rückweg immer erst mal den Berg hinunter rasen kann. Ohne ein einziges Mal zu strampeln. Alles ganz ohne Schwitze in den Kniekehlen.

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