Wissenschaft

#Ein Samstagnachmittag mit Karina Reiss und Sucharit Bhakdi – Gesundheits-Check

Ein Samstagnachmittag mit Karina Reiss und Sucharit Bhakdi – Gesundheits-Check

Letzten Samstag habe ich während eines Verwandtenbesuchs das Buch „Corona Fehlalarm“ von Karina Reiss und Sucharit Bhakdi gekauft. Beide firmieren auf dem Cover mit Doktor-Titel, normalerweise ein sicheres Erkennungszeichen für Medizin-Ratgeber wie „10 Tipps um problemlos abzunehmen“.

Nachdem so viel über das Buch geredet wird, wollte ich mir aber trotzdem ein eigenes Bild machen und habe die 15 Euro investiert. Das Buch liest man problemlos an einem Nachmittag durch, Schriftgröße und Anspruchsniveau machen es möglich. Die Grundfrage des Buches, ob die Infektionsschutzmaßnahmen sinnvoll und angemessen waren, ist natürlich völlig berechtigt, die Antworten der beiden darauf lassen einem allerdings immer wieder die Haare zu Berge stehen, mir die Resthaare. Dafür, dass die Datenlage nicht mehr aktuell ist, können die Autoren nichts. Unfreiwillig werden sie dadurch aber an manchen Stellen durch die zwischenzeitliche Entwicklung widerlegt, etwa wenn sie die Epidemie für beendet erklären oder Aerosole für irrelevant. Leichtfüßige Spekulationen dieser Art sind eben riskant und sie durchziehen das Buch über die gesamten 150 Seiten. Auf S. 41 wird z.B. suggeriert, die Coronatoten seien vielleicht nur „Corona-Angst-Tote“. Belege? Weil Patienten mit Diabetes und Bluthochdruck nicht mehr „vernünftig versorgt“ worden seien. Sonst liest man immer, die Schulmedizin mache zu viele Menschen unnötig zu Diabetes- und Bluthochdruck-Patienten. Welche medizinischen Kollateralschäden die Infektionsschutzmaßnahmen hatten und noch haben werden, wird man sehen, Spekulation ist jedenfalls noch keine Evaluation.

Auch über gravierende fachliche Fehler stolpert man gelegentlich. So wird z.B. auf S. 32 die Exzessmortalität der Influenza 2017/2018 auf die laborbestätigen Meldefälle bezogen, um eine hohe Sterberate von 8 % auszuweisen. Epidemiologische Inkompetenz? Manipulation?

Manches ist schlampig recherchiert, z.B. wenn auf S. 87 Stephan Kohn als „einziger Mitarbeiter im BMI“, der die Kollateralschäden der Infektionsschutzmaßnahmen abgeschätzt habe und deswegen suspendiert worden sei, hervorgehoben wird. Darstellungen zu den immensen Kollateralschäden finden sich schon in einem frühen BMI-Szenarienpapier, das nach einigem Hin und Her im April vom BMI veröffentlicht wurde.

Richtiggehend ärgerlich ist, dass die Autoren wiederholt verfälschend und sinnentstellend zitieren. So legen sie beispielsweise auf S. 27/28 dem medizinischen Berater der italienischen Regierung, Walter Ricciardi, die Behauptung in den Mund, er hätte in einem Interview mit dem Telegraph gesagt, „dass 88 % der italienischen ‚Corona-Toten‘ nicht ursächlich an den Corona-Viren gestorben sind.“ Das habe ich mal nachgeprüft. Tatsächlich wird er dort so zitiert: „88 per cent of patients who have died have at least one pre-morbidity“. Einem Artikel von Kai Kupferschmidt in sciencemag wird auf S. 37 die Behauptung untergeschoben, die chinesische Geschäftsfrau, die die ersten bekannten Infektionen nach Deutschland gebracht hat, sei nicht symptomfrei gewesen, sondern habe unter „starken Beschwerden“ gelitten. Bei Kai Kupferschmidt findet sich diese Formulierung nicht. Auf S. 44 wird eine WHO-Empfehlung zum hochdosierten Einsatz von Hydroxychloroquin erwähnt – als mögliche Ursache der vielen Toten in den USA. Eine Quelle für die WHO-Empfehlung ist nicht angegeben, ich konnte sie auch nicht finden. Ob es sie gibt?

Zum Ende hin gibt es dann zunehmend Unterstellungen und persönliche Verunglimpfungen, etwa gegenüber Christian Drosten oder Lothar Wieler, aber eigentlich sind alle, die nicht auf der Linie der beiden Kämpfer für die wahre Wahrheit sind, unglaubwürdig: „Man sollte nicht naiv sein, die Wissenschaft ist genauso korrupt wie die Politik“, heißt es auf S. 139.

Für billige Polemik dieser Art sind 15 Euro zu viel. „Verantwortung geht anders. Kompetenz auch“ schreiben die Autoren auf S. 45. Da haben sie wirklich Recht. Ich kann verstehen, dass sich die Uni Kiel von diesem Machwerk distanziert.

Für 8 Euro habe ich mir übrigens noch ein Buch gekauft: „Ist heute schon morgen. Wie die Pandemie Europa verändert“ von Ivan Krastev. Eine lohnende Lektüre. Das Buch beleuchtet die durch Corona in Bewegung gekommenen Abgrenzungen zwischen Demokratie und Autoritarismus sowie Globalisierung und Renationalisierung. Es stellt im Wortsinn unsere Weltanschauung zur Diskussion, ganz ohne süffige Verschwörungstheorien, dafür mit Stoff zum Nachdenken für mehr als einen Samstagnachmittag.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Wissenschaft kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!