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#Eine Partie Schach mit dem Tod

„Eine Partie Schach mit dem Tod“

Zu behaupten, dass Woody Allen einen langen Abschied vom Kino nimmt, wäre stark untertrieben. Er verabschiedet sich überhaupt nicht. Noch immer dreht er fast jedes Jahr einen Film, und noch immer kommt dabei alle paar Jahre ein Hauptwerk wie „Match Point“ oder „Blue Jasmine“ heraus. Nur dass die Abstände zwischen den Match Points zuletzt deutlich größer geworden sind. In der Zwischenzeit dürfen wir Woody Allen auf seiner kinematographischen Rundreise durch Europa und Amerika begleiten: London, Barcelona, Paris, Rom, die Côte d’Azur, San Francisco, Coney Island. Zuletzt, hört man, soll er sein Regiezelt wieder in der Nähe des Louvre aufgeschlagen haben.

Im Sommer 2019 aber drehte Allen in San Sebastián im nordspanischen Baskenland. Der Film, der dabei entstand, eröffnete im folgenden Jahr das dortige Filmfestival, was insofern unvermeidlich war, als er auf ebendiesem Festival spielt. Wenn man jetzt noch weiß, dass die Hauptfigur der Geschichte ein Filmdozent aus New York ist, bekommt man eine Ahnung von den Freiheiten, die sich Woody Allen mittlerweile im Kino erlaubt. Woody-Allen-Filme haben immer auf Woody-Allen-Territorium gespielt, aber zugleich mit der Ausdehnung ih­res geographischen Aktionsraums scheinen sich seine Fiktionen immer enger um ihren Schöpfer zu­sam­men­zu­zie­hen. Ein Filmgelehrter auf ei­nem Filmfestival: Fast könnte man meinen, die Ge­schichte erzähle sich von selbst.

Die Eintagsfliegen des Kinobetriebs

Aber nur fast. Denn als Mort Rifkin (Wallace Shawn) mit seiner Frau in San Sebastián ankommt, hat er eigentlich schon verloren. Sue (Gina Gershon) be­treut hier als Presseagentin den neuen Film des französischen Regietalents Philippe (Louis Garrel), noch mehr aber betreut sie den Re­gisseur selbst. Ihr Gatte, der den Betrug riecht, aber nicht sieht, flüchtet sich in Sottisen, Stadtspaziergänge und Brustschmerzen. Seine Beschwerden führen ihn zu der Ärztin Joanna (Elena Anaya), die nicht nur schön, sondern auch unglücklich ist, denn ihr Mann, ein bildender Künstler (Sergi López), quält sie mit seiner Eifersucht und seinen Affären. Der Be­tro­gene und die Be­tro­gene tun sich zusammen, ge­hen auf den Wochenmarkt, fahren mit dem Fischerboot und reden über die Dinge des Lebens, aber ein Rest von erzählerischem Instinkt be­wahrt ihren Regisseur davon, aus dem Seelenflirt eine Romanze zu stricken. Vielleicht ist es auch nur die Vorstellung, Wallace Shawn und Elena Anaya in einer Liebesszene zeigen zu müssen.

Denn in „Rifkin’s Festival“ ist jede Rolle streng nach Typ gecastet, der knittrige Mort ebenso wie der arrogante Schönling Philippe, die üppige und leicht verblühte Sue ebenso wie die warmherzig leidende Joanna, und so bleibt auch jede Figur in ihrem Stereotyp gefangen. Auch ihr Innenleben erhebt sich keine Handbreit über das, was man über die Beteiligten einer zerbrechenden Mittelstandsehe oder die Eintagsfliegen des Kinobetriebs wissen muss. Es ist, als wollte uns der Regisseur sagen, dass es diesmal auf die Geschichte nicht wirklich ankommt. Worauf aber dann?

Vergiss nicht die Krebsvorsorgeuntersuchung!

Auf die Filmgeschichte. Wenn Mort Rifkin die Augen schließt, um an seine Ärztin zu denken oder einem langweiligen Festivaldinner für kurze Mo­mente zu entkommen, träumt er in Bildern aus Kinoklassikern. Dann sieht er seine Ehefrau und die schöne Joanna im Nachthemd durch das Hotelschlafzimmer schweben, um sich in einer aus Ingmar Bergmans „Persona“ stammenden Einstellung zu umarmen. Oder Morts Kindheit ersteht im Schwarz-Weiß-Schimmer von „Citizen Kane“ vor ihm auf, nur dass auf dem berühmten Schlitten der Name seiner ersten Liebe prangt: „Rose Budnick“.

In der schwächsten dieser Drei-Minuten-Hommagen lässt der Film die Gäste beim Abendessen des Festivaldirektors gegen die unsichtbare Wand aus Buñuels „Würgeengel“ laufen. In der besten, weil respektlosesten zitiert er noch einmal Bergman, diesmal das „Siebte Siegel“. Am Strand begegnet Rifkin dem Tod, der wie stets sein Schachspiel dabei hat und von Christoph Waltz mit fröhlichem Sarkasmus verkörpert wird. Als der Mann in Schwarz sich nach der Partie verabschieden will, fragt Rifkin, wann er ihn wiedersehen werde. Das komme darauf an, sagt Waltz, ob er genug Obst und Gemüse esse und sich vor schädlichen Fettsäuren hüte. Auch solle er die jährliche Krebsvorsorgeuntersuchung nicht vergessen.

Von solcher Art ist der Humor dieses Films, und in diesem Galgenhumor lag im­mer ein Reiz des Kinos von Woody Allen. Nur dass die Lässigkeit, mit der er ein weiteres Mal von Liebelei, Betrug und den Leiden alternder Männer erzählt, etwas zu­nehmend Weltloses und Verzweifeltes hat. „These fragments I have shored against my ruins“, heißt es am Ende von T. S. Eliots „Wüstem Land“. Vielleicht ist die Tatsache, dass Woody Allen seine Kinogötter bemühen muss, um einen mittelmäßigen Plot vor pittoresker Kulisse über die Bühne zu bringen, ja ein Zeichen dafür, dass der Abschied näher rückt.

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