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#Einfach, einfacher und einfach falsch – ein paar Gedanken beim Sonntagsfrühstückskaffee – Gesundheits-Check

Einfach, einfacher und einfach falsch – ein paar Gedanken beim Sonntagsfrühstückskaffee – Gesundheits-Check

Einfache Erklärungen komplizierter Sachverhalte sind eine schöne Sache. Deswegen finden viele Menschen z.B. die Videos von Mai Thi Nguyen-Kim oder Martin Moder so gut. Aber wie schon Einstein in diversen Variationen zitiert wird: „Mache die Dinge so einfach wie möglich. Aber nicht einfacher“. Denn dann sind sie oft einfach nur falsch. Auch dazu gibt es ein Bonmot, von Henry Louis Mencken und ebenfalls in mehreren Versionen überliefert: „Für jedes Problem gibt es eine Lösung, die einfach, klar und falsch ist.“

Damit sind wir bei meinem Frühstücksthema. Gestern hatte ich in einer Diskussion nebenan bei Christian Meesters einen tollen Einfall, wie man den Unterschied zwischen absoluter und relativer Risikoreduktion durch das Impfen ganz einfach erklären könnte:

Die Grundidee ist nicht verkehrt: Die absolute Risikoreduktion hängt von der Wahrscheinlichkeit ab, mit der Nichtinfizierte auf Infizierte treffen. Wenn ich das so hinschreibe, sieht man sofort des Gedankens Fäule in meinem gestrigen Kommentar. Trotzdem hat mich die Einfachheit dieser Überlegung mit sich fortgerissen – zur Bestätigung von Menckens Satz und zur Erweiterung meiner Fehlererfahrung.

Erst ärgert man sich natürlich, wenn man so was schreibt. Auch ich habe lieber Recht als Unrecht. Aber es ist auch interessant. Warum fasziniert uns Einfachheit, selbst um den Preis, dass wir damit manchmal grobem Unfug aufsitzen? Dazu ein paar Assoziationen, bei denen natürlich ebenfalls Einsteins Warnung zu beachten ist. Auch nach der Frühstückszeit.

• Einfachheit hilft beim Überleben. Wenn unmittelbare Gefahr droht, kann man oft nicht lange genug nachdenken. Da hat die Natur selbst vorgesorgt, indem sie dann anstelle des Nachdenkens den Reflex gesetzt hat. Wer auf eine heiße Herdplatte fasst, überlegt nicht lange, ob er die Hand zurückziehen sollte oder nicht.
• Schon die Gestaltpsychologie Anfang des 20. Jahrhunderts hatte gezeigt, dass wir Wahrnehmungen filtern und ordnen, um nicht in der Flut der einzelnen Eindrücke unterzugehen. Wir nehmen die Welt in Bildern und Gestalten wahr.
Niklas Luhmann hat sich immer wieder mit Mechanismen der Komplexitätsreduktion beschäftigt. Er sah z.B. „Sinn“ als Ziel und Ergebnis einer gelungenen Komplexitätsreduktion.
• In den Naturwissenschaften werden gesetzesförmige Zusammenhänge gesucht, um die beobachteten Phänomene zu erklären. Naturgesetze vereinfachen unser Verständnis dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Manche wünschen sich sogar die Weltformel, manchen reicht die „42“. Und jeder kennt hier Beispiele mit unnötig komplizierten Erklärungen von Phänomenen einerseits und unzulässigen Vereinfachungen andererseits.
• In der Wissenschaft hat man mit „Ockhams Rasiermesser“ sogar eine wissenschaftstheoretische Regel, die Dinge einfach zu halten und zur Erklärung von Sachverhalten nicht mehr Wesenheiten einzuführen, als nötig. Einstein kannte seinen Ockham. Dabei nimmt man manchmal sogar Präzisionsverluste in Kauf, wie die Ablösung des ptolomäischen Weltbilds durch das einfachere, elegantere, aber zunächst rechnerisch nicht bessere kopernikanische Weltbild zeigt.
• Im Alltagsleben geben einfache Erklärungen Orientierung und Kontrolle in komplizierten Angelegenheiten und unübersichtlichen Situationen. Dazu gehört auch das Erzählen von Geschichten, weil sie Vertrautheit mit Bekanntem schaffen. Leider lassen Geschichten aber manchmal die Dinge auch einfacher erscheinen, als sie sind. Über Heuristiken, die uns helfen oder irreführen, hat Daniel Kahneman in seinem tollen Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ viel Material zusammengetragen, ebenso, mit etwas mehr Vertrauen in Heuristiken, Gerd Gigerenzer in seinem Buch „Risiko“. Populisten nutzen diese Orientierungsmechanismen gerne aus und liefern bevorzugt einfache, oft zu einfache, Erklärungen für komplizierte Sachverhalte. Ihnen reicht die Zustimmung durch eine Kontrollillusion.
• Im sozialen Miteinander vereinfachen wir unseren Alltag auch, indem wir Regeln schaffen und ihre Einhaltung einfordern. Damit hat sich unter anderem die Rollentheorie beschäftigt. Nachzulesen z.B. bei dem schon erwähnten Niklas Luhmann, der darin eine Stabilisierung von wechselseitigen Erwartungen sah. Ein lesenswerter Autor, auch wenn er nicht gerade einfach und verständlich schreibt.
• Manche Menschen erhoffen sich auch ganz grundsätzlich viel von einem „einfachen Leben“, sei es als Rückzug aus der Verantwortung, sei es, Stichwort Klimawandel, als Annahme von Verantwortung. Und manche lieben einfach Abwechslungen und Überraschungen.

Mit Bonmots habe ich angefangen, mit einem höre ich auch auf. Wie man sieht, ist es vielleicht mit der Einfachheit doch nicht ganz so einfach. Die einfache Antwort darauf geben Kindern ihren Eltern, wenn die sie wegen eines unaufgeräumten Zimmers rügen: „Einfache Geister brauchen Ordnung, das Genie beherrscht das Chaos“. In diesem Sinne wünsche ich einfach einen schönen Sonntag.

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