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#Am meisten nervt natürlich Yoko Ono

„Am meisten nervt natürlich Yoko Ono“

Da ist zum Beispiel Mark Lewisohn. Seit Ende der 1970er-Jahre schreibt er Bücher über die Beatles, 2013 hat er den ersten Teil seines Opus Magnum „The Beatles: All These Years“ vorgelegt, einer auf drei Bände angelegten essentiellen Geschichte der Gruppe. Der erste Band umfasst im englischen Original 944 Seiten, die erweiterte Spezialausgabe 1728 Seiten – und mit beiden Büchern ist Lewisohn bislang gerade einmal im Jahr 1962, kurz vorm großen Durchbruch der Beatles, angelangt. Der zweite Teil wird frühestens 2023 erscheinen, zehn Jahre nach dem ersten.

Jörg Thomann

Redakteur im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Unter den Beatles-Biographen dürfte Lewisohn den größten Schatten werfen, er ist aber nur einer von sehr, sehr vielen. Am Ende seines Buchs „One Two Three Four“ listet Craig Brown auf sechs Seiten eine Auswahl an Werken auf, die er für die Arbeit an seiner eigenen Abhandlung zurate gezogen hat – es sind mehr als zweihundert, gut die Hälfte davon direkt den Beatles gewidmet. Und als wäre die schiere Masse an Konkurrenz nicht einschüchternd genug, sind da ja auch noch die Abermillionen Beatles-Fans, von denen es viele an Fachwissen locker mit den professionellen Geschichtsschreibern aufnehmen können. Bei der Schilderung einer geführten Beatles-Tour durch Liverpool gesteht Craig Brown sich und seinen Lesern ein: „Ich lese seit einem Jahr nichts anderes als Bücher und Artikel über die Beatles und habe im Vergleich zu den meisten Fans hier kaum mittleres Wissensniveau erreicht.“

Er erholte sich nie von der kurzzeitigen Nähe zum Weltruhm

Trotz alledem hat Brown ein eigenes Beatles-Buch geschrieben und ist dafür im Jahr 2020 sogar mit dem Baillie-Gifford-Preis für Sachbücher ausgezeichnet worden. Wie hat er das gemacht? Wenn Neues kaum noch zutage gefördert werden kann, muss eine Biographie auf anderes setzen: eine steile These, einen besonderen Tonfall oder eine spezielle Form. Den eigenen Tonfall bringt Brown als Satiriker schon mal mit, eine Form hat er sich ebenfalls überlegt: Statt einer chronologischen Erzählung liefert er eine Collage aus hundertfünfzig Anekdoten unterschiedlicher Länge, die mal die Beatles selbst, mal ausgewählte Weggefährten und mal Menschen in den Mittelpunkt stellen, die den Beatles selbst nie begegneten, doch von ihnen beeinflusst wurden.

Craig Brown: „One Two Three Four“. Die fabelhaften Jahre der Beatles.


Craig Brown: „One Two Three Four“. Die fabelhaften Jahre der Beatles.
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Bild: C.H. Beck Verlag

Für diese Miniaturen hat Brown erstaunliche Geschichten zusammengetragen. Etwa die von Melanie Coe, die mit vierzehn Jahren von Paul McCartney zur Siegerin eines Playback-Wettbewerbs gekürt wurde, mit siebzehn von zu Hause ausriss und ebenjenen McCartney, der einen Artikel darüber las, zum Lied „She’s Leaving Home“ inspirierte; dass er das Mädchen kannte, wusste er nicht. Oder die des Postboten Eric Clague, der täglich einen Sack Fanpost bei McCartneys Elternhaus ablieferte – und wenige Jahre zuvor noch der junge Polizist gewesen war, durch dessen Fahrzeug die Mutter von McCartneys Bandkollegen John Lennon ums Leben kam.

Es geht um den Schlagzeuger Jimmie Nicol, der 1964 auf einer Tournee bei acht Konzerten den erkrankten Ringo Starr vertreten durfte und sich von dieser kurzzeitigen Nähe zum Weltruhm nie wirklich erholte. Es geht um eine singende Nonne, einen Beatles-besessenen Drogenfahnder und um die vielen Scharlatane, welche die Band umschwirrten. All dies fügt sich zum Kaleidoskop eines aufregenden, bunten und irren Jahrzehnts.

Details über Tatablauf und Verletzungen

Und die Beatles selbst? Aufgrund seiner Vorliebe für das Abseitige und Exzentrische gilt Craig Browns besonderes Augenmerk John Lennon, und das Bild, das entsteht, ist wenig schmeichelhaft. Das gilt aber auch für die Nebenfiguren George Harrison, stur und meist missgelaunt, und Ringo Starr, ein liebenswerter, doch schlichter Kerl; am besten kommt bei Brown noch McCartney weg. Am allerschlechtesten hingegen Yoko Ono, und zwar gar nicht wegen ihres mutmaßlichen Beitrags zum Ende der Band (um ihr das übelzunehmen, müsste Brown ein größerer Fan sein), sondern weil er sie als Mensch und als Künstlerin offenkundig entsetzlich findet.

Eine Art Metakritik des Metiers, in dem er selbst sich übt, liefert Brown im Kapitel über Lennons brutale Attacke auf seinen Kumpel Bob Wooler, welcher ihm eine homosexuelle Eskapade mit dem Bandmanager Brian Epstein unterstellt hatte. Um zu zeigen, „wie willkürlich und subjektiv Geschichtsschreibung sein kann“, listet Brown in einer Tabelle die verlässlich voneinander abweichenden Details über Tatablauf und Verletzungen auf, welche die verschiedenen Biographen und Zeitzeugen schilderten; kein ungeschickter Schachzug, um sich selbst gegen die strenge Exegese aller „Beatles-Archäologen“ (Brown) zu wappnen, die sich unweigerlich auch auf sein Werk stürzen. Andere Einfälle wirken weniger überzeugend. Bei der ausführlichen Gegenüberstellung der alljährlichen Weihnachtsbotschaften der Beatles (ausgelassen und albern) und der Queen (ernst und feierlich) geht der Erkenntnisgewinn gegen null.

Craig Browns Buch ist souverän erzählt und unterhaltsam, auch wenn das Jury-Lob beim Baillie-Gifford-Preis, er habe die Biographie neu erfunden, überzogen scheint. Dazu hätte es dann doch der Ambition bedurft, profunde Charakterstudien der Beatles zu liefern statt flott skizzierter Porträts mehr oder weniger skurriler Typen. Auch die Magie ihrer Musik, ihrer Alben und Songs kann Browns Buch nicht einfangen.

Dabei beweist der Autor im letzten Kapitel durch einen einfachen, doch effektiven Kniff, wie es auch anders gehen kann: Die kurze Lebensgeschichte des unglücklichen Brian Ep­stein erzählt er rückwärts – von den Reaktionen der erschütterten Beatles auf seinen frühen Tod bis hin zum jungen Konzertbesucher, der das Potential der Gruppe erkannte und ihr den Weg ebnete. Das ist würdevoll und bewegend, weil Brown Epstein so präsentiert, wie es den meisten anderen seiner Protagonisten verwehrt bleibt: als Menschen.

Craig Brown: „One Two Three Four“. Die fabelhaften Jahre der Beatles. Aus dem Englischen von Conny Lösch. C.H. Beck Verlag, München 2022. 670 S., Abb., geb., 29,95 €.

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