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#„Antisemitismus bekämpft man am besten mit Wahrheit“

„Antisemitismus bekämpft man am besten mit Wahrheit“

Herr Sobotka, Herr Deutsch, das österreichische Parlament hat anlässlich des 600. Jahrestags der Gesera, des Pogroms an den Wiener Juden 1420/1421, eine Studie zum heutigen Antisemitismus im Land veröffentlicht. Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?

Stephan Löwenstein

Sobotka: Wir sehen, dass junge Menschen, die gut ausgebildet sind, wesentlich weniger anfällig für antisemitische Vorurteile sind. Ebenso solche Menschen, die klassischen Medien in Print, Fernsehen oder Radio vertrauen. In den sozialen Medien findet sich wesentlich mehr Antisemitismus.

In der Studie heißt es, dass Aussagen, die sich einem „affektiven Antisemitismus“ zuordnen lassen (zum Beispiel „Von einem Juden kann man nicht erwarten, dass er anständig ist“), von sechs bis 13 Prozent als sehr oder eher zutreffend angesehen werden. Aussagen mit einem „pseudorationalen Antisemitismus“ („Juden versuchen heute Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazizeit Opfer gewesen sind“) werden sogar von elf bis 31 Prozent bejaht.

Sobotka: Solche Aussagen treten insgesamt in einem geringeren Maß auf als in einer Vorgängerstudie 2018. Das ist erfreulich. Ob das jetzt wirklich nachhaltig ist oder manche, die anders denken, solche Antworten gegeben haben, die ihnen sozial erwünscht erscheinen, wird man erst durch weitere Untersuchungen wissen.

Deutsch: Die Studie ist positiver als die von 2018. Auf der anderen Seite gibt es auch die harte Wirklichkeit der Fälle, die durch die Kultusgemeinde festgestellt oder ihr berichtet werden. Da zeigt sich, dass die Zahlen nicht zurückgehen, im Gegenteil: Es gibt zwischen 40 und 50 Fälle pro Monat.

Sobotka: Wenn es als Bodensatz bleibt, ist es schlimm genug. Es erfüllt nicht die ganze Gesellschaft. Auf der anderen Seite sehen wir, dass Antisemitismus lauter geworden ist. Er schafft sich Raum im Internet. Es gibt auch einzelne Situationen wie jetzt bei den Corona-Demonstrationen, wo man mit Symbolen wie dem „Judenstern“ oder dem Tor von Auschwitz ungeniert den Holocaust verharmlost hat.

Demonstration in Frankfurt: Auch in Deutschland wird der „Judenstern“ verharmlost.


Demonstration in Frankfurt: Auch in Deutschland wird der „Judenstern“ verharmlost.
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Bild: dpa

Deutsch: Unter dem Stichwort „Corona“ mischen sich dort deklarierte Nazis und Antisemiten unter die Leute, mit dem sogenannten Judenstern und Parolen, die furchtbar sind. Der Einpeitscher der Nation ist Herr Kickl von der FPÖ. Er hat bewusst bei dieser Gelegenheit antisemitische Ressentiments von sich gegeben. Speziell hat er sich auf Israel bezogen, als er vom Land der „Unfreiheit“ gesprochen hat, einem „Massenexperiment der Pharmaindustrie“ oder einem „System der Gesundheitsapartheid“. Dass ein Klubobmann einer Partei so weit geht, gab es, soweit ich zurückdenken kann, nie.

Die FPÖ hat scharf zurückgewiesen, dass es sich dabei um antisemitische Äußerungen handle. Das seien nur Beschreibungen, wie es in Israel wirklich aussehe, hat der FPÖ-Generalsekretär gesagt.

Deutsch: Ich bin in der Kultusgemeinde seit 1989 tätig, seit 2012 als Präsident. Das ist mir noch nie untergekommen. Das ist gefährlich. Wenn die FPÖ diesen Weg weitergeht, mache ich mir ernsthafte Sorgen, denn sie legitimiert Extremismus.

Welche Quellen von Antisemitismus sehen Sie?

Deutsch: Es gibt autochthonen Antisemitismus, Antisemitismus seitens eingewanderter Muslime und den Antisemitismus von Linken, der sich speziell in Hinsicht auf Israel äußert. Und es gibt den Einfluss des türkischen Präsidenten. Während sich ehemals türkische Gastarbeiter meist sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert haben, werden in der zweiten oder dritten Generation nicht wenige durch Erdogan in diese Richtung beeinflusst. Die Juden sind vielleicht die ersten Leidtragenden. Aber leidtragend ist beim Antisemitismus die gesamte Gesellschaft. Das Engagement der Regierung und des Nationalrats ist löblich, aber wir brauchen die gesamte Zivilgesellschaft. Künstler, Wissenschaftler, Studenten, Arbeitnehmer, Arbeitgeber, wir brauchen alle, die sagen, heute hat in Europa Antisemitismus keinen Platz mehr.

„Einpeitscher der Nation“: Herbert Kickl von der FPÖ


„Einpeitscher der Nation“: Herbert Kickl von der FPÖ
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Bild: dpa

Sobotka: Im Jahr 1421 sind hier 200 Juden verbrannt worden, danach war für 100 Jahre kein jüdisches Leben in Wien zu sehen. Judenhass hat eine jahrhundertealte Tradition. Antisemitismus ist deshalb nicht ein Vorurteil unter anderen. Er ist ein soziales, religiöses und wirtschaftliches Phänomen, das es so kein zweites Mal gibt. Er kommt aus der Mitte der Gesellschaft, ist kein Phänomen der Ränder, auch nicht nur der Personen, die Migrationshintergrund haben.

Was ist zu tun?

Sobotka: Das Parlament hat den Simon-Wiesenthal-Preis ausgelobt, der dieses Jahr erstmals vergeben wird. Er richtet sich nicht an Vereine oder Organisationen, die das schon tun, sondern an Projekte etwa aus den Bereichen Bildung, Kultur oder Wirtschaft, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen. Oder er wird für ein mutiges Auftreten vergeben oder für Strategien, wie man dem begegnet.

Deutsch: Es ist bezeichnend, dass alle Parteien bis auf eine im Nationalrat beschlossen haben, dass es diesen Preis gibt. Ich will nicht immer auf die FPÖ gehen, aber sie ist immer wieder auffällig.

Warum haben Sie den Preis nach Wiesenthal benannt?

Sobotka: Wie bekämpft man Antisemitismus? Am besten mit der Wahrheit. Da war Wiesenthal ein Pionier, und das in einer Zeit, in der das nicht leicht gewesen ist. Er hat nie aufgegeben, den Opfern Recht widerfahren zu lassen, indem man die Täter entlarvt und vor Gericht bringt. Er hat ein ungeheuer breites Archiv aufgebaut, das dazu dient, dass nichts unter den Teppich gekehrt wird. Alles aus eigenem Antrieb. Das ist ein beispielhaftes zivilgesellschaftliches Engagement.

Deutsch: Es war an der Zeit, das zu tun. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es in diesem Land gewesen ist. Erst unter Franz Vranitzky hat sich das geändert, ist Österreich abgegangen von der Opfertheorie und hat sich sowohl als Opfer als auch als Täter gesehen.

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