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#Ökosystem im Ölschiefer

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Die Fossilienfundstätte Grube Messel bei Darmstadt gewährt einzigartige Einblicke in eine Warmzeit vor 48 Millionen Jahren. Heute suchen Paläontologen nicht nur neue Arten, sondern versuchen, das ausgestorbene Ökosystem umfassend zu beschreiben – von der Biodiversität über Nährstoffkreisläufe bis hin zum Klima.

von KARIN HOLLRICHER

Bei Darmstadt liegt eine Fossilienfundstätte von Weltrang: die Grube Messel. Berühmt wurde sie durch die Entdeckung von Urpferdchen und des frühen Primaten Darwinius massillae, genannt Ida. Kleine Säugetiere, Fledermäuse, terrestrische Krokodile, Schlangen und Frösche sowie die Überreste unzähliger Arten von Insekten, Gliederfüßern, Vögeln, Fischen und Pflanzen komplettieren die sehr lange Liste der Funde. Entdeckt wurden sie im Ölschiefer, der sich am Grund eines Sees gebildet hatte. Der See war vor rund 48 Millionen Jahren, im Zeitalter des Eozäns, durch einen Vulkanausbruch entstanden. Fast 100 Jahre lang wurde in Messel nach Braunkohle und Ölschiefer gegraben.

Heute ist der Ort als UNESCO-Weltnaturerbe streng geschützt – und man fördert keine Kohle, sondern nur noch Fossilien zutage. Seit mehreren Jahrzehnten graben sich die Mitarbeiter der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und des Hessischen Landesmuseums durch das Schiefergestein. „Rund 600 Fundstücke waren das Ergebnis der neunwöchigen Grabung im Jahr 2023, eine nicht ungewöhnlich hohe Menge”, berichtet Torsten Wappler vom Hessischen Landesmuseum in Darmstadt. Den Löwenanteil der ausgegrabenen Objekte, etwa 80 Prozent, sind Insekten- und Pflanzenreste. Auch Fische kommen reichlich vor, allerdings mit nur wenigen Arten. Immerhin sind auch alljährlich zehn bis zwanzig Wirbeltiere dabei, die keine Fische sind. 2023 war sogar ein weiteres Urpferdchen unter den Funden.

Die neuesten wissenschaftlichen Beschreibungen der Fossilien handeln von Süßwassergarnelen, bisher unbekannten Spinnen- und Vogelarten sowie Pythons. „Von Süßwassergarnelen sind weltweit nur ganz wenige Fossilien bekannt”, berichtet Sonja Wedmann von der Abteilung Messelforschung der Senckenberg Gesellschaft. An dem Exemplar, das sie unter der Lupe hatte, kann man nicht nur die äußere Form und die Gliedmaßen erkennen, sondern auch Organe wie Eierstöcke und den Kaumagen des Tieres.

Der Schlangenspezialist bei Senckenberg, Krister Smith, schwärmt von einem jungen Python, der 2023 im Schiefer gefunden wurde. „Dieses Tier ist so gut erhalten, dass man sogar die Knorpel der langen Luftröhre sehen kann”, sagt er. Schon 2020 hatten Forscher in Messel ein Pythonfossil entdeckt, ursprüngliche Boas bereits zuvor. Im Eozän teilten sich diese – übrigens gar nicht so eng miteinander verwandten – Familien den europäischen Lebensraum. „Das ist schon erstaunlich”, wundert sich Smith. Denn heute kommen diese Schlangen nirgends gemeinsam vor. Daher galt die These, beide Schlangenfamilien würden miteinander so stark konkurrieren, dass sie nicht nebeneinander existieren können. Doch die Fossilien widersprechen dem. Aus Europa verschwanden die Riesenschlangen bereits vor etwa 15 Millionen Jahren aufgrund der klimatischen Abkühlung im Miozän. Wie sie in ihre heutigen Verbreitungsgebiete gelangten, ist unbekannt.

Rekonstruktion eines Ökosystems

Die rein systematische Forschung der Urwelttiere tritt nun zunehmend in den Hintergrund zugunsten der Beschreibung der damaligen Biodiversität, der Beziehungen der Organismen zueinander und des Paläoklimas. Im tropisch warmem Messel wimmelte es von Tieren und Pflanzen. „Wegen seines außergewöhnlichen Artenreichtums ist Messel eine für die Erforschung von Ökosystemen der neueren Erdgeschichte weltweit einmalige Fundstätte”, sagt der Geologe Philipe Havlik, Geschäftsführer der Welterbestätte. Eine große Gruppe von Messel-Forschern trägt derzeit alle Daten über die Häufigkeiten der Arten aus allen Sammlungen zusammen. Basierend auf neueren theoretischen Ansätzen zur Berechnung der Biodiversität wollen sie abschätzen, wie viele Spezies in Messel gelebt und wie viele sie noch nicht entdeckt haben. Bei den bisher untersuchten Gruppen gebe es statistisch klare Ergebnisse, dass man bisher maximal zwei Drittel der Arten kenne, die damals in der Region gelebt haben sollen, sagt Smith. Neue Fischspezies erwarten die Forscher eher nicht, dafür viele Insekten- und Pflanzenarten.

Am artenreichsten war die Gruppe pflanzenfressender Gliederfüßer (Arthropoden) – und sie ist es bis heute. Für die Entstehung der enormen Vielfalt werden zwei Ursachen diskutiert: Entweder stellte eine große Artenvielfalt an Wirtspflanzen viele unterschiedliche Nischen für die wirbellosen Pflanzenfresser zur Verfügung. Oder jede einzelne Pflanzenart bot für sich viele verschiedene Lebensräume. Thorsten Wappler und seine Kollegen gingen dieser Frage nach und untersuchten Fraßspuren an über 10.500 fossilen Blättern aus Messel und anderen Fundstätten. Je nach Ernährungs- und Lebensweise hinterließen die hungrigen Pflanzenfresser unterschiedliche Spuren, aus denen sich bestimmen lässt, wer woran knabberte. Die Daten legen nahe, dass dieser Tierstamm so artenreich werden konnte, weil die diversen unterschiedlichen Pflanzenarten ihnen viele verschiedene ökologische Nischen zur Verfügung stellten. „Wir können also Fossilien nutzen, um grundlegende Theorien zur Entstehung der Biodiversität zu testen und daraus Schlüsse für moderne Ökosysteme zu ziehen”, stellt Wappler fest.

Die Grube Messel erzählt nicht nur die Geschichte der Tiere und Pflanzen sowie ihre Beziehungen zueinander, sondern sie zeugt auch vom Klima, das vor 48 Millionen Jahren dort herrschte. Das Gelände lag auf dem Globus in etwa dort, wo sich heute Süditalien befindet, also in mittleren Breitengraden. Globale Daten weisen auf ein tropisches Klima in der Region hin. Wie das lokale Klima und das Wetter im Ökosystem Messel waren, analysieren Forscher aktuell im Rahmen des Projekts VeWA (Vergangene Warmzeiten als natürliche Analoge unserer ‚hoch-CO2’-Klimazukunft), indem sie Gesteinsproben auf bestimmte Markermoleküle hin untersuchen. Auf diese Weise können sie sowohl den Wechsel von Trocken- und Regenzeiten als auch Temperaturschwankungen mit jahresgenauer Auflösung dokumentieren. Das Resultat: In Messel war es im Mittel 20 Grad Celsius warm und somit 12 Grad wärmer als heute.

Doch warum will man überhaupt wissen, wie Wetter und Klimaveränderungen im Eozän-Messel waren und wie sie die Lebensgemeinschaft beeinflussten? Havlik ist überzeugt: „Wenn wir nicht verstehen, wie es in der Vergangenheit war, werden wir uns schwer tun zu verstehen, was in der Zukunft hinsichtlich des Klimawandels und der damit verbundenen Änderungen der Biodiversität auf uns zukommt.” 

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