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#Mit den Augen eines Esels

„Mit den Augen eines Esels“

Sie heißen Hola, Tako, Marietta, Ettore, Rocco und Mela. Sechs Esel, die im Film einen einzigen spielen: „EO“. Wie der Laut, den er von sich gibt. Im Deutschen: I-ah. Jerzy Skolimowskis Film erzählt die Passions­geschichte dieses Esels. Neben ihm verblasst auch Isabelle Huppert, die eine kleine Rolle spielt. Skolimowski, der das Drehbuch für Polanskis „Das Messer im Wasser“ (1962) geschrieben und 1967 für „Der Start“ einen goldenen Bären auf der Berlinale bekommen hat, will mit 84 Jahren noch einmal etwas wirklich Neues ausprobieren.

Peter Körte

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

„EO“ ist nicht denkbar ohne Robert Bressons „Au hasard Balthazar“ („Zum Beispiel Balthasar“, 1966). Seit diesem Film habe er im Kino nie wieder eine Träne vergossen, hat Skolimowski ge­sagt. Anders als Bresson versucht er viel intensiver, das Geschehen durch die Augen des Tiers zu betrachten, eines hübschen grauen sardischen Esels.

Das ist natürlich nicht wörtlich zu nehmen, weil niemand weiß, wie einem Esel Welt und Menschen erscheinen. Aber der anthropozentrische Blick lässt sich vermeiden. Wie das zum Beispiel auch schon Janis Rafa vor zwei Jahren in ihrem Film „Kala azar“ gelungen ist, der von griechischen Tierbestattern handelt und das Geschehen schon mal aus der Sicht eines streunenden Hundes zeigt.

Aber träumt nun ein Zirkusesel von dem Mädchen, mit dem er Kunststücke aufführt? Schaut er neidvoll auf einen Schimmel in der Nachbarbox, auf den ein Filmteam wartet, während der Esel einen Wagen mit Requisiten ziehen muss? Natürlich will Skolimowski keine Antworten geben; er führt jedoch Mo­mente herbei, in denen man gewohnheitsmäßig Regungen wie Sympathie oder Neid auf das Tier projiziert und sich durch die Art, wie die Situation gezeigt wird, zugleich dieser Projektion bewusst wird.

Möhrenmuffin zum Geburtstag

EO trabt durch die Natur. Ein Bach, ein Fuchs, ein Dachs, ein Frosch in Nahaufnahme, ein Wolf heult. Die Ka­mera schwebt. Dann ein fast psychedelisches Rotlicht. Die Irritation, die Bedeutungsverschiebung, entsteht dadurch, dass man sich ständig fragt: Aus wessen Perspektive wird erzählt, wessen Blick repräsentiert, was wir sehen?

Schnell kommt dann auch das Mitleid mit dem Zirkustier, weil es nicht nur die freundliche Kasandra gibt, sondern auch einen Bärtigen mit Peitsche; weil es EO nicht besser geht, als Tierschützer kommen, der Zirkus schließen muss und die Tiere gepfändet werden. Als Arbeitstier darf EO bei der Eröffnung eines landwirtschaftlichen Betriebs mit Möhrenkranz posieren.

Neugierig auf die Welt - der Esel EO.


Neugierig auf die Welt – der Esel EO.
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Bild: Rapid Eye Movies

Er hat keine Lust, sich zu den anderen Eseln zu gesellen auf einem Hof, wo Kinder mit Downsyndrom lernen, mit Tieren umzugehen. Lieber steht er allein am Zaun, lässt sich trösten, als seine Kasandra ihm einen Möhrenmuffin zum Geburtstag bringt. Und er haut ab. Das wird eine seltsame Reise durchs ländliche Polen. Er steht neben einem Windrad, sieht einen Vogel abstürzen. Verfolgt ein Fußballspiel, nach dem erst die Sieger ihn mitnehmen in die Kneipe und dann das unterlegene Team ihn mit Baseballschlägern beinahe totschlägt – „mit drei Hufen im Jenseits“ heißt es in der Tierklinik.

Immer wieder will man das Gesehene, die Blicke aus dem Lastwagen oder auf die Peiniger, verbinden mit Mutmaßungen über innere Befindlichkeiten. Warum ruft er in dem einen Moment, warum schweigt er in dem anderen? Ahnt er, wenn er im Lastwagen nach Italien transportiert wird, dass man ihn verwursten will? Warum folgt er dem jungen Mann, der ihn an der Autobahnraststätte aufliest? Weil der freundlich mit ihm spricht, sich entschuldigt für all die Eselsalami, die er in seinem Leben gegessen hat?

Wie bei Bresson geht es auch in „EO“ nicht gut aus. Doch es wäre falsch zu sagen, EO ertrage sein Schicksal stoisch; so wie das Alltagsgerede, Esel seien dumm, stur, eigensinnig oder störrisch nichts besagt; oder das Gleichnis von Buridans Esel, das suggeriert, ein Esel müsse verhungern, wenn er zwischen zwei gleich aussehenden Heuhaufen stehe, weil er sich nicht entscheiden könne.

Skolimowskis Film eröffnet vor allem eine Möglichkeit: einem nicht-mensch­lichen Protagonisten durch eine Handlung zu folgen, ohne an seiner Mimik und Gestik ablesen zu können, wie er sie erlebt. Er erfährt Gewalt, Freundlichkeit, Zuwendung, Gleichgültigkeit. Wä­re er ein Mensch, ordnete man ihm Mo­tive, Gefühle, eine Haltung zur Welt zu. Welchen Reim sich EO auf die Welt macht, bleibt ein Rätsel. Skolimowski be­lässt es bei der Spekulation, dass auch ein Esel sich nach der Person sehnt, die gut zu ihm war. EO ist einer der geheimnisvollsten Helden der Kinogeschichte.

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