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#Frage am Freitag: Warum hören wir Musik von früher, wenn es uns schlecht geht?

Frage am Freitag: Warum hören wir Musik von früher, wenn es uns schlecht geht?

Während ich so durch meine 20er navigiere, beobachte ich ein Phänomen, das ich mir nicht so ganz erklären kann: Die Musik, die ich als Teenager gehört habe, bedeutet mir jetzt mehr als je zuvor. Ich höre zwar inzwischen lieber Frank Ocean als Maroon 5, aber wenn „She Will Be Loved“ im Radio läuft, macht mich das völlig unverhältnismäßig glücklich. Natürlich könnte ich immer noch jede Zeile mitsingen. Auf einmal ist man also Mitte 20, sitzt am Steuer irgendeines Mietwagens auf dem Weg in den Urlaub, dreht die Musik lauter und stellt fest, dass die Songs, die man mit 15 gehört hat, immer noch FANTASTISCH sind.

Man kennt es ja, das Phänomen des „Comfort Binge“: Erst vor ein paar Tagen erzählte mir meine Mitbewohnerin überglücklich, dass Friends wieder zurück auf Netflix ist. Wir schauen Serien, die wir schon gefühlte hundert Mal gesehen haben, bei denen wir jeden Handlungsstrang kennen – weil es sich wie nach Hause kommen anfühlt. Weil es sich anfühlt, als wären die Charaktere alte Freund*innen.

Der Soundtrack zum Comfort Binge

Genau so geht es mir, wenn ich Musik von früher höre, und damit meine ich nicht die Party-Hits aus den 80ern und 90ern, die im Berliner Rundfunk laufen. Nein, ich rede von den Songs, die solche Radiosender spielen, wenn sie „das Beste von heute“ sagen und damit eigentlich meinen: das Beste aus den letzten 20 Jahren. Eben die Popmusik, die wir als unschuldige zwölfjährige Kids in den Vororten deutscher Kleinstädte gehört haben, weil wir die Musikvideos bei Viva gesehen haben und es die Künstler*innen als Starschnitt in der Bravo gab.

Vor ein paar Jahren dachte ich, ich müsste mich von dieser Musik jetzt abgrenzen, weil es einfach nicht so richtig cool ist, die Jonas Brothers jetzt noch gut zu finden. Gehört habe ich sie natürlich trotzdem noch, oder wofür sonst wurde der Ausdruck „Guilty Pleasure“ erfunden? Mittlerweile gebe ich das schamlos zu und halte es lieber mit Fran Lebowitz:

Ich finde es unglaublich, dass es den Ausdruck „Guilty Pleasure“ überhaupt gibt. Es sei denn, deine Guilty Pleasure tötet Menschen. Nein, ich fühle mich nicht schuldig dafür, Freude zu empfinden. Wir leben in einer Welt, in der Menschen sich nicht dafür schuldig fühlen, dass sie andere Menschen umbringen, und ich soll mich schuldig fühlen – für was denn? Dafür, dass ich zwei Portionen Spaghetti esse?

Fran Lebowitz in „Pretend It’s a City“

Ehrlich gesagt tauche ich sogar regelmäßig ab in die frühen 2000er, und tatsächlich scheint das besonders dann zu passieren, wenn es mir nicht so gut geht. Dann fühlt es sich ein bisschen wie nach Hause kommen an, „Chicago“ von Clueso zu hören, „Daylight“ von den No Angels oder „Mr. Brightside“ von The Killers. Meine Freund*innen kennen das von mir inzwischen: Spotify hat ja diese geniale Funktion, mit der man sehen kann, was bei seinen Freund*innen gerade läuft. So passiert es regelmäßig, dass mich meine beste Freundin fragt, ob bei mir eigentlich alles okay ist, weil sie ganz genau beobachten kann, dass ich schon zum dritten Mal in Folge „Zerrissen“ von Juli höre. Upsi.

Natürlich fühlt sich ein gebrochenes Herz mit 24 anders an als mit 14 – aber irgendwie ja auch nicht

Dass ich nicht die Einzige bin, die es so sehr genießt, sich ab und zu von der Nostalgie einer guten 00er-Jahre-Playlist mitreißen zu lassen, habe ich letztes Jahr wieder festgestellt. Es waren die early days des ersten Lockdowns, und meine Mitbewohner*innen und ich haben begonnen, uns gegenseitig die Songs unserer Teenager-Zeiten zu zeigen. Natürlich gab es große Überschneidungen: Wir alle liebten „Angels“ von Robbie Williams, klar. Wir liebten Britney und waren alle schockiert, als sie sich 2007 den Kopf rasierte. Drei von vier Menschen in unserer Wohnung fanden das erste Album von Tokio Hotel gut, und wir alle hatten zwischen elf und 13 diese eine Phase, in der wir genau so ein cooles Skatergirl sein wollten wie Avril Lavigne.

Ausgelacht wurde ich zunächst für meine Leidenschaft für den Revolverheld-Hit „Ich werd’ die Welt verändern“ – aber nur kurz, denn wenn man den Song erstmal 15 Mal in Folge gehört hat, fühlt man ihn eben doch! (Liebe Grüße an meine Mitbewohner*innen an dieser Stelle. Ich weiß, dass ich die Grenzen eurer Freundschaft an diesem Tag bis aufs Maximum ausgereizt habe.)

Und dann erst all die Songs, die wir mit 14 gehört haben, als wir das erste Mal Liebeskummer hatten! Natürlich fühlt sich ein gebrochenes Herz mit 24 anders an als mit 14 – aber irgendwie ja auch nicht. Deswegen möchte ich behaupten, dass „Who Knew“ von P!nk oder „I Miss You“ von Blink182 noch immer großartige Herzschmerz-Songs sind.

Es gibt genau drei Dinge, die starke Emotionen in uns auslösen: Liebe, Drogen und Musik. Kein Witz: Der Sound unserer Lieblingssongs hat eine ähnliche Wirkung auf unser Gehirn wie Kokain.

Aber wie kommt es, dass die Songs, die unser 15-jähriges Ich sich damals auf den allerersten iPod Classic geladen und auf der letzten Bank im Schulbus gehört hat, uns so emotional werden lassen? Ich stelle mal die steile These auf, dass es nicht daran liegt, dass all unsere Idole von damals musikalische Genies waren – auch wenn sie Popstars gewonnen haben. Für mich sind ihre Songs trotzdem zu zeitlosen Klassikern geworden. Wie ist das möglich?

Ich habe ein wenig recherchiert und festgestellt, dass nicht nur ich mir diese Frage schon gestellt habe, sondern auch der*die ein*e oder andere Neurowissenschaftler*in. Und so gibt es tatsächlich wissenschaftliche Studien darüber, dass die Songs, die in unseren Jugendzeiten unser Herz erobern, einen überdurchschnittlich großen Platz darin behalten. Der amerikanische Neurowissenschaftler und Musiker Daniel Levitin hat darüber ein Buch geschrieben: In „This Is Your Brain on Music: The Science of a Human Obsession“ erklärt er, dass sich die Musik, die wir als Teenager hören, in unserem Gehirn tatsächlich anders „festzusetzen“ scheint als alles, was wir als Erwachsene je hören werden.

Musiknostalgie ist nicht nur ein kulturelles Phänomen – sie ist ein neurologischer Fakt

Der Grund dafür ist schnell erklärt. Es gibt genau drei Dinge, die starke Emotionen in uns auslösen: Liebe, Drogen und Musik. Dopamin, Serotonin, Oxytocin: All diese Feel-Good-Hormone werden ausgeschüttet, wenn wir unsere Lieblingssongs hören. Kein Witz: Der Sound unserer Lieblingssongs hat eine ähnliche Wirkung auf unser Gehirn wie Kokain.

Das passiert in jedem Gehirn, in jedem Alter – aber in den Gehirnen junger Menschen explodieren diese Hormone wie ein Feuerwerk. Im Alter zwischen 12 und 20 ist in unserer Hirnchemie schließlich ganz schön viel los, und es fühlt sich so an, als wäre einfach ALLES unfassbar groß und wichtig – also natürlich auch die Musik, die wir lieben. Diese Songs sind der Soundtrack zu den Jahren, in denen wir alle großen Gefühle zum ersten Mal hatten. Egal, wie erwachsen wir werden, diese Songs bleiben eine Art Wurmloch, das unser Gehirn zurückführt in die Zeit, in der wir diese Songs einfach gehört und gefühlt haben. Ohne ironische Metaebene, ohne unseren „guten Geschmack“ darüber zu definieren.

Musiknostalgie ist also nicht nur ein kulturelles Phänomen, sondern tatsächlich ein neurologischer Fakt. Und auch wenn sich unser Musikgeschmack mit dem Alter natürlich weiterentwickelt, wird unser Gehirn manche Songs einfach für immer mit den dramatischen, großen Gefühlen verknüpfen, die wir als Teenager mit ihnen verbunden haben.

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