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#Hat die EU im Juli 2022 die Sanktionen gegen Russland aufgeweicht? – Quo Vadis

„Hat die EU im Juli 2022 die Sanktionen gegen Russland aufgeweicht? – Quo Vadis“

Ich bin zwar etwas spät dran, aber vor ein paar Wochen gab es einen kleinen Sturm im Wasserglas bezüglich einer befürchteten Aufweichung der EU-Sanktionen gegen Russland, zu dem namhafte Personen des öffentlichen Lebens wie Carlo Masala Stellung bezogen haben und den ich nicht unkommentiert lassen möchte. Ich glaube, Hr. Masala et al. unterliegen einem Missverständnis. Ich bin in der Tat der Meinung, dass diese Geschichte ein schönes Beispiel dafür ist, wie EU-Beschlüsse und -Verordnungen in Bezug auf Drittländer funktionieren und warum diese spezielle Anpassung kein Aufweichen der Sanktionen bedeutet.

Vorgeschichte

In 2014 wurde Russland nach der Annexion der Krim von der EU mit Wirtschaftssanktionen belegt. Grundlage der Sanktionen ist der Beschluss 2014/512. Nach dem Angriff auf die Ukraine 2022 wurden die Sanktionen massiv ausgeweitet. Sie betreffen praktisch die gesamte Industrie, ausgenommen die Bereiche Medizin, Ernährung und (zeitlich begrenzt bis etwa Ende nächsten Jahres) Rohstoffe. Sanktioniert sind Import und Export sowohl physikalischer Produkte als auch Dienstleistungen. Das ist ein wichtiger Punkt und Quelle des Missverständnisses, zu dem wir gleich kommen.

Sachverhalt

Ende Juli 2022 wurde vom Rat der Europäischen Union – in diesem Gremium sitzen aus den Mitgliedsstaaten entsendete Minister – mit dem Beschluss 2022/1271 entschieden, die Sanktionen dergestalt anzupassen, dass bestimmte Daten aus der Luftfahrtindustrie nicht mehr darunter fallen sollen. Angepasst wurde der Artikel 4 der die Sanktionen grundlegend beschreibenden Verordnung 833/2014, der im Wesentlichen die Sanktionen auf Dual-Use-Güter[1] regelt. Folgender Absatz wurde in Artikel 4, §1 (d) eingefügt:

The prohibition in paragraph 4 point (a) shall not apply to the exchange of information aimed at establishing technical standards in the framework of the International Civil Aviation Organisation in relation to goods and technology referred to in paragraph 1

Das klingt als ob Luftfahrttechnologie jetzt von den Sanktionen ausgenommen sei. Damit wäre die Geschlossenheit des Westens untergraben, die Fronten aufgeweicht, Russlands Drohungen hätten gewirkt, Europa hätte an Glaubwürdigkeit verloren.

Dem ist aber nicht so.

Um dieses Missverständnis aufzulösen, muss man sich vor Augen führen, dass diese ganzen EU-Beschlüsse und Verordnungen juristische Fachtexte sind. Juristische Fachtexte zeichnen sich, wenn sorgefältig verfasst, durch sehr präzise Verwendung von Fachwörtern für bestimmte Begriffe aus. Es gibt z.B. einen Unterschied zwischen Eignung und Geeignetheit, der sich in vielen deutschen Gesetzen findet. Juristerei hat viel mit Logik zu tun und Logik nichts mit dem viel zitierten gesunden Menschenverstand.

In der Anpassung des Artikels 4, § 1(d) wird von information und technical standards in relation to goods, also Technischen Standards die sich auf Waren beziehen gesprochen, nicht von Waren selbst. Services, also Dienstleistungen, bleiben komplett außen vor.

Es geht hier also um reine Information. Noch genauer: Es geht um Information der Hersteller an die Betreiber von Luftfahrttechnologie. Noch noch genauer: Es geht darum, dass Airbus Aeroflot darüber informieren darf, dass ein Problem mit Teil #4711 erkannt wurde und Wartungsanweisung #0815 jetzt verpflichtend ist. Und das war’s.

Airbus darf weiterhin keine Teile liefern, die sanktioniert sind. Anweisung #0815 macht vielleicht den Austausch des Teils #4711 gegen #4712 nötig. Das ist das dann Pech für Aeroflot. Airbus darf auch weiterhin keine Dienstleistungen an Russland exportieren. Das heißt, Airbus darf Aeroflot eine E-Mail schreiben in der sinngemäß steht: “Wir haben festgestellt, dass Teil #4711 ausfallen kann, wenn es nicht nach Anweisung #0815 gegen #4712 getauscht wird. Mit dieser Information geht die Verantwortung über die Durchführung auf den Betreiber über. Kann die Wartung nach #0815 nicht durchgeführt werden, sind alle Flugzeuge sofort zu grounden.”, aber falls jemand von Aeroflot zum Telefon greift und bei Airbus anruft dürfen die europäischen Techniker den russischen keine weiteren Informationen geben, denn das wäre der Export einer Dienstleistung und fällt unter die Sanktionen.

Aeroflot findet sich also in der Situation wieder, dass Airbus ihr zwar das Handbuch für Technische Wartungsarbeiten schicken, aber sonst keine Hilfestellung geben und keine Teile liefern darf. Wenn die Anweisung #0815 bestimmte Teile oder Technologien erfordert, die unter die Sanktionen fallen oder sie gar nur von Airbustechnikern durchgeführt werden darf, steht Aeroflot mit dieser Information hilfloser da als vorher. Denn jetzt wissen sie, dass es ein Problem gibt; wissen, dass sie es beheben müssen; wissen, dass sie es nur eingeschränkt können – und müssen es doch irgendwie tun.

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