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#Interview: Chef der Krankenhausgesellschaft: Ohne neue Hilfen droht Kliniken wegen Corona Insolvenz

„Interview: Chef der Krankenhausgesellschaft: Ohne neue Hilfen droht Kliniken wegen Corona Insolvenz“


Exklusiv

Krankenhausgesellschaftschef Gerald Gaß berichtet, wie dramatisch Corona die Klinken trifft, und fordert Reformen für die Pflege und einen längeren Rettungsschirm.

Seit Beginn der Pandemie herrscht Dauerausnahmezustand in den Kliniken. Wie weit sind die Krankenhäuser derzeit von der Normalität entfernt?

Gerald Gaß: Wir sind nach wie vor noch weit entfernt von einer normalen Situation. Dabei geht es nicht nur um die tausende Patientinnen und Patienten, die wegen Covid auf Intensivstationen und normalen Station behandelt werden müssen. Auch der Alltag im Krankenhaus hat sich massiv durch den Infektionsschutz verändert. Das fängt an bei den eingeschränkten Besuchsregelungen, die sehr viel Aufwand in der Kommunikation bedeuten und geht über in alle Klinikbereiche. Wir verzeichnen aber vor allem sehr hohe Personalausfälle, wenn sich Beschäftigte im privaten Umfeld anstecken oder auch um ihre Kinder in Quarantäne kümmern müssen. Zu all dem kommt eine wirklich dramatische Erfahrung: Unsere Mitarbeiter haben noch nie so viele Menschen im Krankenhaus sterben sehen, wie in den vergangenen zwei Jahren. Diese Erfahrung hat unsere Beschäftigten belastet und belastet sie noch heute.


 

Einen Großteil dieser Last trägt das Pflegepersonal. Es gab Berichte über Kündigungen und Arbeitszeit-Reduzierungen. Wie sehr verschärft sich der Pflegemangel?

Gaß: Die Pandemie hat uns zurückgeworfen. Bis Anfang 2020, als Corona über uns hereinbrach, war es uns gelungen, bei der Pflege wieder auf einen positiven Weg zu kommen, auch wenn die Situation schwierig war. Wir konnten Jahr für Jahr mehr Pflegekräfte für die Krankenhäuser gewinnen und ebenso mehr Auszubildende für diesen wichtigen Beruf. Dann kam Corona. Die Pandemie hat tiefe Spuren bei unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinterlassen. Kliniken waren oft nicht mehr in der Lage, die sogenannten Pflegepersonal-Untergrenzen einzuhalten. Das heißt, die Arbeitsbelastung stieg für die einzelnen und das vielfach den ganzen Tag in Schutzkleidung mit Maske. Viele mussten Stationen oder Klinken wechseln, wenn es akuten Bedarf gab. Und ein Wechsel von der Normal- auf die Intensivstation bringt auch eine emotionale Belastung mit sich. Es gab Sonderschichten und viele Überstunden. All das hat die Menschen in der Pflege mitgenommen. Und obendrein haben diese Probleme der Pandemie auch noch das Image der Pflege in der Öffentlichkeit leiden lassen. Hier müssen wir unbedingt gegensteuern.

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Wie soll das gelingen?

Gaß: Pflege ist ein toller, hochqualifizierter Beruf. Es ist ein Beruf, bei dem man unter günstigen Bedingungen jeden Tag anderen Menschen erfolgreich helfen kann. Insofern kriegt man viel zurück. Aber deshalb müssen wir unbedingt wieder in normale Zustände kommen.

Der Politik scheint es auszureichen, solange es keine absolute Überlastung des Gesundheitswesens gibt. Doch wie lang halten die Kliniken eine chronische Dauerbelastung durch Corona aus, mit monatelang täglich 2000 Corona-Intensivpatienten?

Gaß: Diese Dauerbelastung ist eine Gefahr: Auch wenn es keinen fixen Punkt gibt, ab dem es nicht mehr weitergeht, belastet die Situation die Krankenhäuser immer weiter in eine negative Richtung. Selbst wenn nur jedes zehnte Intensivbett mit einem Covid-Patienten belegt ist, bedeutet das einen enormen Personalaufwand, der an anderer Stelle fehlt. Wir müssen ein allergrößtes Interesse daran haben, dass wir diese Pandemie überwinden. Und damit meine ich nicht die Krankenhäuser, sondern die Gesellschaft. Wir alle sind darauf angewiesen, dass Pflege wieder den Ruf erhält, den sie verdient: Interessante Arbeitsplätze, die es lohnt anzustreben, die für Menschen attraktiv sind. Wenn wir aus der gegenwärtigen Krise nicht bald rauskommen, mache ich mir allergrößte Sorgen um zukünftige Entwicklungen. Wir werden immer mehr alte Menschen haben, deren Pflege wir nicht managen können, ohne das junge Menschen nachkommen. Das ist die zentrale Botschaft: Wir dürfen die jungen Menschen nicht für die Pflege verlieren, wenn sie sich nach der Schule entscheiden, welchen Beruf sie ergreifen.

Seit Jahrzehnten versprechen Regierungen die Situation der Pflege zu verbessern. Welche konkreten Schritte wären jetzt am wichtigsten?

Gaß: Aus unserer Sicht müssen zwei zentrale Maßnahmen jetzt unbedingt vorankommen, um die Situation der Pflege zu verbessern. Das eine ist ein verbindlicher Standard, um den tatsächlichen Personalbedarf zu messen und festzulegen. Dieses von der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Pflegerat und ver.di gemeinsam entwickelte Instrument könnte schon längst gesetzliche Wirklichkeit sein. Die Politik muss die angekündigte sogenannte Personalbemessung im Krankenhaus rasch durchsetzen, damit wir ein Standard-Messinstrument erhalten, wie viel Pflege Klinken tatsächlich brauchen und finanziert bekommen, um die Patientinnen und Patienten in einem Krankenhaus sind, gut behandeln zu können. Das gibt auch jungen Menschen eine klare Perspektive, wenn sie sich heute für eine Ausbildung in der Pflege entscheiden. Die andere drängende Aufgabe für die Politik ist es, endlich die ambulanten Potenziale der Krankenhäuser besser auszuschöpfen, um die Anzahl der vollstationären Patienten zu reduzieren. Das würde Pflegekräfte deutlich entlasten.

Wo liegt das Grundproblem, dass dies nicht längst geschieht?

Gaß: In unserem Gesundheitssystem sind die Krankenhäuser in der Konkurrenz zu anderen Bereichen sehr auf die stationäre Versorgung ausgerichtet und werden in diese Richtung finanziert. Von den Patienten, die heute voll stationär behandelt werden und um die sich auch die Pflegekräfte an den Betten kümmern müssen, könnte man laut Experten heute zwischen 15 bis 20 Prozent sehr gut auch klinisch ambulant behandeln, ohne dass sie im Krankenhaus übernachten und betreut werden müssen. In vielen Fällen dürfen die Krankenhäuser derzeit diese ambulanten Behandlungsmöglichkeiten nicht anbieten, obwohl dies im Interesse der Patientinnen und Patienten wäre und auch die Pflegekräfte spürbar entlasten würde. Im Moment werden Krankenhäuser aber durch die Fallpauschalen in der Regel für voll-stationäre Versorgung bezahlt, etwas anderes steht ihnen nicht offen. Die neue Koalition hat hier Reformen angekündigt und wir hoffen, dass sie es ernst meint.


 

Die Kliniken mussten wegen Corona sehr viele planbare stationäre Operationen verschieben. Wie vielen Menschen hat das in den jüngsten Pandemiewellen betroffen?

Gaß: Seit Beginn der Pandemie haben wir pro Jahr einen Rückgang von ungefähr 15 Prozent der Fälle verzeichnet, die normalerweise in den Krankenhäusern behandelt werden. In Summe bedeutet das, dass vergangenes Jahr drei Millionen Menschen weniger in Krankenhäusern behandelt wurden als 2019. Da geht es nicht nur um Operationen, sondern auch um andere Therapien, etwa internistische, neurologische oder auch psychiatrische Behandlungen oder auch Untersuchungen von Verdachtsfällen. Wir können allenfalls einen Teil dieser Behandlungen nachholen. Wenn Menschen bei Verdacht auf Schlaganfall oder Herzinfarkt nicht oder zu spät in die Notaufnahmen gekommen sind, hatte das mitunter schwerwiegende Folgen. Andere Menschen, die beispielsweise auf ein Hüftgelenk warten, müssen länger mit Schmerzen leben. Die meisten solcher aufgeschobenen Operationen werden tatsächlich nachgeholt Aber wir werden noch eine Zeit mit Wartelisten leben müssen.

Was bedeutet der Wegfall vieler Behandlungen aber auch der Infektionsschutz finanziell für die Kliniken?

Gaß: Die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser hat sich durch die Pandemie deutlich verschlechtert. Die Zahl der Behandlungen ist entscheidend für den Erlös eines Krankenhauses. Denn es gibt kein Grundbudget dafür, dass eine Klinik für Notfälle bereitsteht. Drei Millionen Patienten weniger, bedeutet in unserem Finanzierungssystem also dramatische Ausfälle. Auf der anderen Seite steigen die Kosten nicht nur durch den Infektionsschutz und beim Personal, auch klinischer Bedarf ist in der Pandemie deutlich teurer geworden. Es gab zwar von der Regierung den sogenannten Corona-Rettungsschirm, aber der konnte nicht alle Defizite ausgleichen. Es gibt Klinken, die schon seit über einem Jahr überhaupt kein Geld mehr aus dem Rettungsschirm erhalten, wie zum Beispiel psychiatrische Kliniken oder auch Kliniken ohne Notaufnahmen. Der Rettungsschirm ist über die zwei Jahre hinweg immer stärker reduziert worden. Immer mehr Krankenhäuser schreiben rote Zahlen und deutlich mehr Häuser fühlen sich von einer Insolvenz bedroht. Wir brauchen hier mehr Hilfen.

Was fordern Sie?

Gaß: Beim Rettungsschirm wurde am Anfang ein sogenannter Selbstbehalt eingeführt, das heißt einen Teil des Verlusts müssen die Kliniken selbst tragen. Krankenhäuser können aber nicht wie normale Unternehmen ihre Erlöse beeinflussen oder Personal abbauen um Kosten zu sparen. Der Selbstbehalt wird deshalb zum immer größeren Problem und muss gestrichen werden. Die Krankenhäuser brauchen akut eine Verlängerung der Liquiditätshilfen, die bis zum 18. April befristet wurden. Es ist überhaupt nicht absehbar, wann sich die Kinken wieder von dem Einbruch der Fallzahlen erholen und wieder ihre Personalkosten refinanzieren können. Ohne eine Verlängerung der Liquiditätshilfen sind viele Klinken gezwungen, Kredite bei Banken oder ihren Trägern aufnehmen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach muss die Liquiditätshilfen so schnell wie möglich zum 18.April rückwirkend verlängern, sonst wächst die Gefahr, dass einzelne Krankenhäusersogar Insolvenz anmelden müssen. Die Klinken fordern das bereits seit vielen Wochen, leider haben wir dazu bis heute keine überzeugende Antwort vom Minister erhalten.

 

Welche Erwartungen haben die Kliniken an die Gesundheitspolitik, wenn die Pandemie tatsächlich einmal vorbei sein sollte?

Gaß: Zunächst einmal hoffentlich keine weitere Ausnahmesituation für das Gesundheitswesen in Deutschland, sondern mehr Routine und Normalität, um die Herausforderungen der Zukunft anzugehen. In einem permanenten Ausnahmezustand fallen Veränderungsprozesse noch schwerer. Das Wichtigste ist, dass die Kliniken attraktive Arbeitsplätze bieten können, besonders auch in Pflege und hier nötige Reformen für die Rahmenbedingungen umgesetzt werden. Das Finanzierungssystem muss stärker auf ambulante Behandlungsmöglichkeiten ausgerichtet werden. Und es muss mehr die Vorhaltekosten der Krankenhäuser für eine wohnortnahe Versorgung berücksichtigen. Dann nehmen wir auch viel Konfliktstoff aus dem Streit um die Fallpauschalen, den wir seit Jahren führen. Und die Bundesländer sollten ihren Investitionspflichten nachkommen. Eine moderne Infrastruktur, was Gebäude, Medizintechnik oder IT anbelangt, lässt die Krankenhäuser viel besser und effizienter arbeiten, als dies in veralteten Strukturen möglich ist.

Zur Person: Gerald Gaß ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), dem gemeinnützigen Dachverband der Krankenhausträger.

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