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#Tenorschlager für Mann und Frau

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Tenorschlager für Mann und Frau

Wehmut liegt über diesen Pfingstfestspielen in Salzburg. Wehmut über die Menschen, die wir verloren haben durch die Pandemie. Maxim Vengerov setzt seine Geige an und spielt, als Zugabe nach dem Violinkonzert von Felix Mendelssohn Bartholdy, die Sarabande aus der d-Moll-Partita von Johann Sebastian Bach, „für alle Musiker, die an Covid-19 gestorben sind“.

Wehmut auch, weil es vielleicht doch nie mehr so wird, wie es einmal war: Die Bläser des Orchestra del Maggio Musicale Fiorentino spielen bei diesem Konzert in einem scheußlichen Verhau aus Plexiglaswänden, um den Flug infektiöser Tröpfchen und Aerosole einzufangen.

Wehmut wohl auch, weil man ahnt, Liebgewordenes nicht mehr lange halten zu können. Zubin Mehta, der das Konzert leitet, ist Ende April 85 Jahre alt geworden. Eine lebensbedrohliche Krankheit hatte er vor drei Jahren überstanden. In Salzburg dirigiert er im Sitzen, umgeben von einer Aura freundlicher Weisheit. Im Trio des Scherzos aus Mendelssohns „Italienischer Symphonie“ lassen sich Hörner und Fagotte ganz leise und zierlich vernehmen: ein Klang, als würde bei einem Spuk von äußerster Liebenswürdigkeit ein Held alter Zeit mit behutsamster Noblesse aus seinem Bild in der Ahnengalerie treten.

Kesseltreiben gegen „Hochkultur“

Wie wird die Zukunft aussehen, nachdem die klassische Musik in der Pandemie an Wichtigkeit den Friseuren nachgeordnet worden ist? In einer Zeit, da in Rundfunkredaktionen und Staatskanzleien zum Kesseltreiben gegen die exklusive, barrierereiche „Hochkultur“ geblasen wird und man den Kanon unter Diskriminierungsverdacht stellt? Wehmut liegt in der Luft, dass nun auch den Salzburger Festspielen der Prozess gemacht wird, an dessen Ende die Marginalisierung steht. Ganz im Augenblick sein, nicht ständig fortwollen, davon erzählt der Ton von Vengerov, wenn er Mendelssohn spielt. Der Ton braucht Zeit zum Blühen, und er bekommt sie. Und so eröffnet sein Spiel die tragische Dimension musikalischer Schönheit: Sie muss vergehen, um sich zu entfalten. Das Auskostenwollen streitet mit dem Weitermüssen.

Man hat bei diesen Pfingstfestspielen erleben können, was für ein entschiedener, energiegeladener Dirigent aus dem Countertenor Philippe Jaroussky geworden ist. Er verfügt, als er die Aufführung von Alessandro Scarlattis Oratorium „Cain overo il primo omicidio“ leitet, über Umsicht und ein reiches gestisches Vokabular. Sein Ensemble Artaserse federt im Spiel und enthält sich geräuschvoller Vulgarisierungen des Klangs. Die Sänger sind samt und sonders zu loben: kraftvoll, doch verwundbar der Tenor Krešimir Špicer als Adam, von dramatischer Wucht und inniger Wärme Inga Kalna als Eva, mit feurigem Männeralt Filippo Mineccia als Kain und wirklich sensationell mit leichtem, hellem, körperreichem, täuschend femininem Männersopran Bruno de Sá als Abel. Mit strahlend-majestätischem Alt stellt sich dazu Paul-Antoine Bénos-Dijan als Stimme Gottes dem Duell mit dem stahlblanken, stoßkräftigen Bassbariton von Yannis François als Stimme Luzifers.

Nur anderthalb Stunden nach dem Oratorium beginnt schon Giacomo Puccinis „Tosca“ in einer konzertanten Aufführung unter Mehtas Leitung. Luca Salsi als Scarpia versteht sich auf die Bösartigkeit des Feinen. Sein Schuft ist ein vokaler Kavalier, seine Perfidie heißt Contenance. Jonas Kaufmann wirkt im ersten Akt als Cavaradossi noch ungenügend eingesungen. Sein Gesang mit halber Stimme ist brüchig, die Höhe spricht beim leisen Singen noch nicht klar an; aber er geht engagiert in der Rolle auf. Und der Weltabschied im dritten Akt gelingt ihm, mit kupferdunklem Timbre, ergreifend, dazu ganz ohne Sentimentalität.

Anna Netrebko singt eine Tosca von beneidenswertem Ebenmaß in allen Registern. Diese Stimme klingt schön, egal, wo sie sich aufhält, wo sie herkommt oder hinwill. Sie kann in die Höhe springen und sicher landen, auch wenn es ganz leise sein muss. Sie kann Posaunen übertönen mit Spitzen im Fortissimo, ohne dass es schrill wird. Und sie hat genügend Spannkraft, dann auf der Spitze leise zu werden. Man hört die Biographie ihrer Stimme mit, ihre Herkunft aus den Belcanto-Partien von Donizetti und Bellini. Aber man spürt, in all der sinnlichen Fülle ihres Soprans, immer die technische Kontrolle. Die Mischung aus Koketterie und Narzissmus im ersten Akt liegt ihr mehr als die Entäußerung von Verzweiflung. Nicht einmal im Scheitern ihrer Figur wird die Distanz zur Sängerin aufgehoben. Netrebko wahrt ihren vokalen Selbstschutz bis zum letzten Ton.

Es ist rührend, dass Cecilia Bartoli, die hier große Partien von Händel und Mozart sang und ein eigenes Konzert gab, auch noch die Rolle des Hirtenknaben in „Tosca“ übernimmt, worin sie als Zehnjährige in Rom ihr Operndebüt erlebt hatte. Die Kraft und das Charisma, die Intelligenz und die Herzlichkeit dieser Sängerin sind einzigartig. Auch Zubin Mehta ist hingerissen von ihr. Am Ende seines Konzerts unterbricht er von der Bühne aus den Schlussapplaus, streckt die Hände gen Publikum aus und ruft: „Cecilia, è per te“ – Cecilia, ist für dich! Sie selbst hatte, in einem Plädoyer für Kunst als Verwandlung, ihr Solokonzert mit einem Tenorschlager von Ernesto De Curtis geschlossen: „Non ti scordar di me“ – Vergiss mich nicht. Selbst wenn man sich künftig an „Hochkultur“ nicht mehr ungestraft erinnern dürfen sollte, wird man ihre Intendanz bei den Pfingstfestspielen als goldene Zeit im Gedächtnis behalten.

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