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#Matthias Thönnissen: ‚Verschwörungsanhänger denken wie Fundamentalisten‘

Matthias Thönnissen: ‚Verschwörungsanhänger denken wie Fundamentalisten‘

Bei ZDFneo ist ab Mittwoch «Schlafschafe» zu sehen. Eine Serie über die Mutter Melanie, die sich kritisch über das Tragen von Corona-Masken äußert. Über das spannende Projekt sprach Quotenmeter mit Matthias Thönnissen (Autor und Regisseur), Zarah Schrade (Autorin) und Philipp Schall (Produzent).

Erinnern Sie sich noch an Mitte März des vergangenen Jahres als wir dachten, wir machen vier Wochen Lockdown und dann ist Corona vorbei?
Matthias Thönnissen: Ich hatte immer die Bilder von «Contagion» im Kopf und diese super-professionellen Virologen, die dann den „Patient Zero“ finden und damit das Virus in schnellster Zeit knacken. Ist ja in der Realität nicht so passiert.

Zarah Schrade: Es war für mich vorher undenkbar, dass es möglich sei überall auf der Welt Länder für mehrere Wochen “herunterzufahren”. Bei all dem Schrecken weiß ich noch, dass es mir in Bezug auf die Klimakrise auch Mut machte, dass vielleicht auch diese Bedrohung durch entschlossene, internationale Zusammenarbeit irgendwann abzuschwächen ist.

Philipp Schall: Ich kann mich besonders gut daran erinnern, da gefühlt seit dem Beginn der Pandemie – mit Ausnahme der stotternd einsetzenden Impfkampagne – nicht viel mehr passiert ist. Zu Beginn gab es natürlich die klamme Hoffnung, dass die anstehenden Produktionen, die großen Festivals und natürlich auch der Sommerurlaub wie geplant stattfinden könnten.

Welche Gefühle haben Sie noch an das Frühjahr 2020? Auf meiner täglichen Laufroute liegt das Altenheim, in dem es erstmals zu mehrfach nachgewiesen Corona-Toten gab. Es war ein unheimliches Gefühl, dort seine Zeit zu verbringen.
Matthias Thönnissen: Tatsächlich sind in meinem Bekanntenkreis sehr schnell Erkrankungen aufgetreten. Das Virus war also immer viel näher als gedacht. Es war alles andere als abstrakt.

Zarah Schrade: Damals wohnten wir direkt neben einem Altenheim und meine Tochter hat auf dem Balkon zu 50er-Jahre Schlagern getanzt, da im Hof des Altenheims alle zwei Wochen Solidaritätskonzerte veranstaltet wurden. Im Winter konnten diese Konzerte dann nicht mehr stattfinden und ich denke für die Senioren wie für uns alle wurde das Durchhalten schwerer.

In Ihrer Drama-Serie «Schlafschafe» äußert sich Melanie (verkörpert durch Lisa Bitter) kritisch über das Tragen von Masken. Ist es nicht auch ein Symptom unserer Zeit, dass man aufgrund von Meinung von der Gesellschaft ausgegrenzt wird?
Matthias Thönnissen: Ich weiß nicht, ob das ein Symptom unserer Zeit ist. Ich denke eher, dass es in einer Gesellschaft oft eine Mehrheits-Meinung und eine Opposition gibt. Neu an unserer Zeit sind die sozialen Medien und die bringen die seltsamsten Effekte mit sich. Das Maskenthema und die Diskussion dazu sind ein tolles Fallbeispiel und das haben wir natürlich für unsere Erzählung genutzt.

Zarah Schrade: Ich denke, dass unsere Gesellschaft gerade freier denn je ist, was gepaart mit den Möglichkeiten des Internets dazu führt, dass heute deutlich mehr Menschen sehr viel lauter ihre Meinung kundtun als in vergangenen Zeiten. Generell halte ich das für eine positive Entwicklung, aber vielleicht müssen wir wieder mehr lernen andere Meinungen auszuhalten und in den Dialog zu treten.

In der derzeitigen Corona-Pandemie entwickelt sich die Gesellschaft weiter. Fast alle Menschen befolgen die Corona-Verordnungen, obwohl manche skurril sind. In Bayern durfte man noch im Winter nach 21 Uhr nicht die Wohnung verlassen. Auf der anderen Seite haben wir natürlich die Corona-Leugner und die, die der Politik uneingeschränkt folgen. Kann man die Gesellschaft noch in Schubladen stecken oder ist das Thema inzwischen viel zu komplex?
Matthias Thönnissen: Was alle gleich erlebt haben: ein Hin und Her der Anweisungen und Regelungen. Ein Schwanken zwischen übervorsichtig und risikofreudig. Aber: Jeder hat eine andere Schmerzgrenze, jeder geht anders mit Autorität um, jeder ist in einer völlig anderen Lebenssituation.

Zarah Schrade: Die Situation einer weltweiten Pandemie hat ja noch keiner von uns erlebt, daher konnte es zunächst tatsächlich keine Schubladen geben. Um so erstaunlicher finde ich es, wie schnell und starr sich die unterschiedlichen Lager formiert haben, obwohl wir immer noch täglich dazu lernen, mit was für einem Virus wir es zu tun haben.

Corona-Leugner erkennt man sehr oft an der Sprache. Einige Menschen wie bei Demos nutzen einen Jargon aus der Zeit der Nationalsozialisten (wie schon die AfD). Können Sie sich vorstellen, wieso?
Matthias Thönnissen: Da hab ich mir ehrlich gesagt noch keine Gedanken dazu gemacht. Ich sehe Menschen, die sich als Minderheit fühlen und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollen. Vielleicht ist da der Grund zu finden.

Zarah Schrade: Mich macht es vor allem stutzig, wie sehr unter Corona-Leugnern die Grenzen zwischen rechts und links verschwimmen. Der Zweifel und die Kritik am System eint diese heterogene Gruppe anscheinend mehr als ihre Weltanschauung. Sorge macht es mir, wenn die Verunsicherung in der Gesellschaft für politische Zwecke instrumentalisiert werden.

Die sechsteilige Drama-Serie «Schlafschafe» zeigt den Kampf zwischen „normalen“ Menschen und den Verschwörungstheoretikern. Können Sie noch ein bisschen mehr auf die Story eingehen?
Matthias Thönnissen: Anhänger von Verschwörungserzählungen denken in gewisser Weise wie Fundamentalisten. Da gibt es irgendwann keinerlei Diskussions-Möglichkeiten mehr. Entweder du bist dabei oder du bist der Gegner. Was passiert dann mit einer Partnerschaft? Das hat uns interessiert. Was kann man aushalten und was nicht? Wieviel Verständnis kann man aufbringen, für die Emotionen, die hinter so einer Verschwörungserzählung stecken? Ist es nicht oft Sorge und Angst? Und was kann man gegen Sorge haben? Dabei kommt man irgendwann zu diesem Gedanken: Verschwörungstheorien fallen nicht vom Himmel. Sie werden von Menschen gemacht. Und dann von Menschen verbreitet und geglaubt.

Zarah Schrade: Uns war es wichtig Melanie eben nicht als “unnormalen” Mensch darzustellen, sondern als liebende Mutter in der Zweifel gesät wurden, die aufgrund anderer Unzufriedenheiten auf fruchtbaren Boden fielen. Ich sehe die beiden Ehepartner weniger gegeneinander, als vielmehr um einander kämpfen. Beide haben eine klare Vorstellung, wie sie ihre Ehe und vor allem ihren Sohn retten können, doch genau das zerstört letztendlich ihre Familie.

In der Vergangenheit haben Unterhaltungsformate mit Corona-Bezug nicht funktioniert. Ist das eher dann ein Projekt für den öffentlich-rechtlichen Auftrag und die Mediathek oder glauben Sie, dass damit Quote gemacht wird?
Matthias Thönnissen: In unserer Serie geht es nur am Rande um Corona. Die Pandemie erhöht nur den Druck auf die Familie, lässt neue Angst entstehen und neue Sorgen. In Wirklichkeit geht es um die seltsame Art von Orientierung, die Verschwörungserzählungen für viele Menschen bieten. Diese Geschichten sind ja für viele Menschen tatsächlich der reine Trost. “Ich habe das durchschaut und damit gehöre ich zu den Besonderen.” Diesen Aspekt nachvollziehbar zu machen, das ist ein Ziel unserer Serie.

Zarah Schrade: Seit je her verarbeiten Menschen Erlebtes indem sie Geschichten darüber erzählen. Und wir alle leben seit über einem Jahr in einer Extremsituation, da wäre es doch fatal, dies nicht auch in Unterhaltungsformaten zu thematisieren, aus Angst, damit keine Quote zu machen.

Philipp Schall: ich bin davon überzeugt, dass diese Produktion unabhängig von konventionellen Quotenerwartungen eine große Relevanz hat. Wir werden sehr bald sehen, wie die «Schlafschafe» vom Publikum angenommen werden; sowohl bei den Abrufzahlen als auch in den nachlaufenden Diskussionen.

Das Projekt ist ziemlich ehrgeizig. Im Februar 2021 starteten die Dreharbeiten, die noch im selben Monat abgeschlossen wurden. Die Ausstrahlung erfolgt nun im Mai. Wie konnte man diesen ehrgeizigen Plan umsetzen?
Matthias Thönnissen: Ich staune auch immer noch, ehrlich gesagt. Wir hatten sehr viel Glück mit einem super-motivierten und leidensfähigen Team und unglaublich motivierten und verlässlichen Darstellern. Anders wäre es nicht gegangen.

Philipp Schall: Die einzigartigen Konventionen des sogenannten „Instant Fiction“-Format erlauben es, in einer fiktionalen Handlung möglichst zeitnah auf aktuelle Geschehnisse einzugehen. Das bringt zwar zum üblichen Budgetdruck zusätzlich einen noch schärferen Termindruck mit sich, eröffnet aber durch die Aktualität auch ganz neue Möglichkeiten für Serial Storytelling – insbesondere für das Mediathek-Publikum.

Auf welche Projekte freuen Sie sich, wenn die Corona-Pandemie weitestgehend gebändigt ist?
Matthias Thönnissen: Mein Herz schlägt für die schräge Art von Komödie, die es in Deutschland eher schwer hat. Also freu ich mich gerade wahnsinnig auf mein nächstes Projekt namens «Normaloland», wo ich genau sowas mit dem ZDF machen darf.

Zarah Schrade: Ich arbeite gerade an dem Kinofilm «Eindringling», den ich im nächsten Jahr dann hoffentlich ohne Corona-Auflagen als mein Regie-Debut drehen werde.

Philipp Schall: Beim Produzenten liegen naturgemäß viele Projekte auf dem Tisch. Am meisten freue ich mich aber darauf, hoffentlich dann viele der großartigen Kolleginnen und Kollegen wieder persönlich zur gemeinsamen Arbeit an diesen Projekten treffen zu können.

In der Branche versuchen die Drehbuchautoren mit ihrem Aktionsplan „Kontrakt 18“ Einfluss auf die Produktion zu bekommen. Wer hat bei Ihnen die Entscheidungen getroffen?
Matthias Thönnissen: Ich hatte das große Vergnügen schreiben und inszenieren zu dürfen. Das bedeutet die maximale Kontrolle. Birgt aber auch die Gefahr von einer Art egomanem Tunnelblick auf das Projekt. Zum Glück hatte ich mit Zarah Schrade eine wunderbare Co-Autorin und mit Petra Tilger und Karina Ulitzsch zwei sehr aufmerksame und behutsame Redakteurinnen. Der Blick von außen ist sehr wichtig.

Zarah Schrade: Als Autorin wurde ich bei dieser Produktion in alle Prozesse von Anfang bis Ende mit einbezogen, was ich als sehr angenehm und auch sinnvoll empfunden hab. Gerade deshalb halte ich den Aktionsplan “Kontrakt 18” für wichtig und vor allem für beide Seiten von Vorteil.

Philipp Schall: Ganz unabhängig von “Kontrakt 18” setzen wir bei uns in der Firma während der gesamten inhaltlichen Arbeit auf “kreativen Konsens”. Beim Casting kann Input von der Autorenseite sehr hilfreich sein, um beispielsweise Besonderheiten eines Charakters einem Schauspieler näherzubringen. Gleichzeitig kann das Feedback aus dem Casting-Prozess wertvoll für die weitere Arbeit an den Büchern sein. Der moderne Produktionsprozess von Filmen und insbesondere Serien ist sehr kollaborativ geworden und die verschiedenen Entscheidungspositionen (Drehbuch, Regie, Produktion und Redaktion) gehen trotz ihrer unterschiedlichen Verantwortsbereiche stets direkt und respektvoll miteinander um. Durch die Drehbuch-/Regie-Doppelfunktion von Matthias war es in diesem Fall natürlich besonders einfach, die ursprünglich Vision durch alle Schritte der Filmherstellung aufrechtzuerhalten.

Herzlichen Dank für das Interview!

«Schlafschafe» ist in der Nacht auf Donnerstag ab 00.45 Uhr bei ZDFneo zu sehen. Natürlich ist die Serie auch in der ZDFmediathek.

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