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#Mein letzter Fußabdruck – Nachhaltigkeit bis in den Tod

Mein letzter Fußabdruck – Nachhaltigkeit bis in den Tod

Ich stehe im Badezimmer und starre im Spiegel den Körper an, den ich verschwinden lassen soll. Als gesunder, junger Mensch habe ich mich bisher noch nicht damit auseinandergesetzt, wie ich bestattet werden möchte. Dabei hat ja auch mein Körper einen allerletzten Fußabdruck. Einen Organspendeausweis habe ich seit Jahren, aber was ist mit den Teilen meines Körpers, die niemand will?

Nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Bestatter sterben jedes Jahr in Deutschland etwa 940.000 Menschen. Spannend: Fast 70 Prozent der Verstorbenen haben sich 2018 für eine Feuerbestattung entschieden – auch, weil diese in der Regel günstiger ist, als seinen Körper begraben zu lassen. Allgemein sind Beerdigungen nämlich eine kostspielige Angelegenheit, je nach Größe sollten 5.000 bis 7.000 Euro eingeplant werden. Nicht billig für eine Party, bei der ich selbst nicht dabei sein werde. Doch was für mich noch interessanter ist: Was ist eigentlich nachhaltiger, eine Feuer- oder eine Erdbestattung?

Wohin mit den Implantaten?

Für den Überblick: Bei einer Einäscherung muss der Ofen eines Krematoriums für 45 bis 75 Minuten bei bis zu 1150 Grad betrieben werden. Ziemlich gruselige Vorstellung, weiß ich, aber hilft ja nichts. Nachdem also mein Körper wie ein Brotlaib in den heißen Backofen geschoben wird, sollte nichts als Asche übrig bleiben. Theoretisch. Aber erstes Ökoproblem: Bei jedem dritten Verstorbenen finden Mitarbeiter des Krematoriums heute zwischen der Asche orthopädische Implantate. Wohin damit? Einige wenige Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, das Metall nach der Einäscherung zu sortieren und Omas Kniegelenk aus Titan oder Opas Hüftpfanne aus Kobalt-Chrom zu recyceln. Nicht verkehrt, denke ich mir, bei einer Erdbestattung würden die Fremdkörper schließlich mit ins Grab genommen und dort je nach Metall noch 700 Jahre herumliegen! 700! Die Medizinbranche forscht zwar nach Alternativen aus Zucker und Milchsäure, aber bislang setzt sich noch nichts flächendeckend durch.

Einige wenige Unternehmen haben sich darauf spezialisiert, das Metall nach der Einäscherung zu sortieren und Omas Kniegelenk aus Titan oder Opas Hüftpfanne aus Kobalt-Chrom zu recyceln. Nicht verkehrt, denke ich mir, bei einer Erdbestattung würden die Fremdkörper schließlich mit ins Grab genommen und dort je nach Metall noch 700 Jahre herumliegen!

Da in meinem Körper (zumindest noch) keine Schrauben oder Platten stecken, möchte ich den hohen Energieaufwand der Feuerbestattung umgehen: Durch den Betrieb der etwa 160 Krematorien in Deutschland wird die Atmosphäre nämlich jährlich mit fast 38 Millionen Kilogramm CO2 belastet. Im Vergleich mit anderen Branchen (zum Beispiel Verkehr mit 163,5 Millionen Tonnen CO2 im Jahr) ist das zwar sehr überschaubar, aber da ja bekanntlich jeder Schritt zählt …

Doch dann werde ich überrascht: „Es gibt keine Pauschalantwort darauf, welche Beerdigung am nachhaltigsten ist“, sagt Bestatter Werner Kentrup aus Bonn, der zusammen mit seiner Frau die Initiative „Grüne Linie“ gegründet und sich auf ökologische Beerdigungen spezialisiert hat. Eine Feuerbestattung sei zwar günstiger, ergebe aber nachhaltig wenig Sinn, wenn das Krematorium vier Stunden entfernt sei. Das gelte auch für Begräbnisse, wenn die Trauergemeinde in einer Autokolonne zu einem fernen Waldfriedhof touren müsse. Die Anfahrt vieler Gäste könne heutzutage aber mithilfe eines Livestreams vermieden werden, wie die Bestattungen im Lockdown gezeigt haben. Bitte was?, könnte man jetzt denken, in Trauerkluft die Anteilnahme vor dem Laptop bekunden? Schon klar: umarmen, an die Hand nehmen, gemeinsam trauern, das hilft. Mir aber gefällt die digitale Idee: Ich wäre eh dafür, dass nur ein kleiner Kreis zu meinem Grab kommt und sich andere eben dazuschalten.

Blühender Leichenacker

Also plane ich meine Bestattung auf dem örtlichen Friedhof mit Kameras für alle zu Hause. Und sonst so? Ach ja, der Grabstein. Der kommt ja oft aus Asien, die Dinger sind dann je nach Design Tausende Euro günstiger als ein regionales Produkt, was aber auch daran liegt, dass sie zu zwei Dritteln von Kinderhänden bearbeitet werden. Von dem Transportweg nach Hamburg mal ganz abgesehen. Nein, ich lasse meinen Namen lieber in eine Holzplatte schnitzen, einem nachwachsenden Rohstoff aus der Region.

Ähnlich halte ich es übrigens auch unter der Erde – bei der Wahl des Sargs: In der Vergangenheit wurde häufig ein behandelter Edelholzsarg aus Eiche oder Mahagoni gewählt. Diese massiven Holzarten sind nicht nur teurer, sondern auch weniger vergänglich. Aber ganz ehrlich: Die Zeiten der 90s, als polierte Mafiosi-Särge doller glänzten als die fetteste Haarpomade des Leichnams, sind vorbei. Der Trend geht auch hier zu mehr Natürlichkeit, und ein unperfektes Holz ist häufig sogar kostengünstiger.

Ich wünsche mir also einen Sarg aus Linde, Erle oder Kiefer aus nachhaltiger Forstwirtschaft. Besonders die Kiefer ist häufig von Trockenschäden betroffen und kann zum Beispiel für die Möbelindustrie nicht mehr verwendet werden – für meinen Sarg ist sie dagegen perfekt. Dort kann mein Körper dann in seine Grundstoffe zerfallen, der Lauf der Natur eben – und zwar buchstäblich: denn wenn sich mein Körper in Kohlenstoff, Wasser, Magnesium, Eisen und andere Spurenelemente zersetzt, ist sogar eine Veränderung der natürlichen Vegetation drum herum sichtbar: Pflanzen wachsen auf Leichenackern super!

Fun Fact: Friedhöfe bilden gerade in Großstädten ein wichtiges Ökosystem. Dort wachsen oft große Altbäume, und Tiere nutzen die Ruhe als Nistplätze und Winterquartiere. Warum gibt es nicht mehr Friedhöfe in den Städten?, frage ich mich, und kann mir die Antwort schon denken: Während Umweltschützer*innen die grünen Flächen bewahren wollen, wittern Bauinvestoren schon geldbringendes Bauland. Diese Aasgeier.

Der Lack muss ab

Um dieses gute Ökosystem nicht unnötig zu belasten, sollte Mikroplastik natürlich vermieden werden. Logisch, denke ich, wer will das schon in seinem Grab? Nur ist das tatsächlich ein Problem: Nagellack, falsche Wimpern, ein Sakko aus Polyestermischgewebe oder Schuhe aus schwarzem Lack gehören eben oft zum Sarginhalt. Verbieten könne man das aber auch nicht, erklärt Werner Kentrup: „Wenn Frauen ihr Leben lang Nylonstrümpfe getragen haben, wäre es nicht richtig, ihnen das bei der Bestattung zu verwehren.“

Gleiches gilt für Silikon: Schätzungen zufolge werden hierzulande pro Jahr bis zu 25.000 Brustimplantate eingesetzt. Dabei gehören Silikone zu den biologisch schwer abbaubaren Kunststoffverbindungen. Was damit unter der Erde passiert, wie die Risiken für Insekten und Vegetation sind, ist noch nicht abzusehen. Auf der anderen Seite: Frauen entscheiden sich dafür, um sich wohler zu fühlen – das gilt auch, wenn der Körper nur noch eine Hülle ist. Vielleicht sollte man da die Kirche im Dorf lassen.

Meine letzten Worte nun: Da auch meine Hülle sich mit dem Alter vielleicht hier und da mit künstlichen Accessoires füllen wird (no judgement!), werde ich mich in den nächsten Jahren immer wieder fragen müssen: Ist meine geplante Erdbestattung wirklich noch nachhaltig – oder trage ich mittlerweile längst zu viel in mir, was lieber nicht unter die Erde gehört? „War stets bemüht“, wird dann wohl auf meiner Grabholzplatte stehen. Damit kann ich gut leben. Also noch.

Dieser Artikel erschien in der Brigitte BE GREEN Ausgabe 02/2020, die ihr seit dem 11.11. beim Kiosk eures Vertrauens oder online kaufen könnt. Das Magazin beschäftigt sich mit gesellschaftlichen, zeitgeistigen und vor allem umweltpolitischen Themen und ist die richtige Lektüre für alle, die ihr Leben nachhaltiger gestalten wollen.

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