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#Zeitenwende trifft Kommunalpolitik: Der Fall Troisdorf

Auch um der Ukraine zu helfen, will ein auf Zündmittel spezialisiertes Unternehmen seine Produktion in Troisdorf ausbauen. Doch der Bürgermeister und eine Ratsmehrheit haben andere Pläne – nicht nur zum Entsetzen von Verteidigungsminister Pistorius.

Behutsam legt Erich Muskat ein Dutzend winziger Hülsen und Zylinder vor sich auf den Tisch. Die kleinsten ähneln abgebrochenen Bleistiftminen, die größte hat die Form eines Pillendöschens. „Faszinierend“, sagt der Geschäftsführer von Dynitec in Troisdorf, „ohne diese unscheinbaren Komponenten funktioniert die größte Munition nicht.“ Das Unternehmen mit derzeit 120 Mitarbeitern ist der wichtigste Entwickler und Hersteller für Detonatoren und Zündmittel in Deutschland. Neben seinen Eigentümern Rheinmetall in Düsseldorf und Diehl Defence in Überlingen beliefert Dynitec auch zahlreiche europäische Rüstungsfirmen. Die Detonatoren sind ein zentrales Bauteil von Zündern – ob für Artilleriemunition, Mörsergranaten oder auch Luftabwehrraketen wie Iris-T. Dynitec ging aus dem vor gut 20 Jahren zerschlagenen Chemie- und Rüstungskonzern Dynamit Nobel (DN) hervor. Einst prägte DN die zwischen Köln und Bonn gelegene Kommune bis in den Stadtkern.

Reiner Burger

Politischer Korrespondent in Nordrhein-Westfalen.

Das am nordöstlichen Rand von Troisdorf versteckt in einem Wald angesiedelte Dynitec dagegen war bis vor einigen Tagen nur ausgewiesenen Rüstungsfachleuten ein Begriff, selbst die meisten Troisdorfer kannten das Unternehmen nicht. Erst seit sich Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) in einer Fragestunde des Bundestags sorgenvoll über einen „Vorgang“ in Troisdorf äußerte, ist Dynitec mit einem Schlag in den Fokus der breiten Öffentlichkeit geraten. Und mit ihm Troisdorf, das nun als die Kommune gilt, in der Bürgermeister und Rat mit einer schildbürgerhaften Provinzposse die Zeitenwende hintertreiben.

Damit die deutsche Rüstungsindustrie ihre Lieferverpflichtungen gegenüber der Bundeswehr und der Ukraine wenigstens einigermaßen einhalten kann, ist sie auf die Zulieferung von Zünd- und Anzündmitteln aus allen verfügbaren Quellen angewiesen. Besonders wichtig jedoch ist nach Einschätzung von Fachleuten Dynitec. Die Produktion in Troisdorf unverzüglich auszuweiten liegt auf der Hand. Denn Dynitec ist auf dem nordöstlichen Teil des ehemaligen Dynamit-Nobel-Geländes untergebracht, für das sämtliche Sondergenehmigungen für den strengsten regulierten Umgang mit Sprengstoffen vorliegen – und zwar unbefristet.

Will das Gebiet für die zivile Nutzung entwickeln: Bürgermeister Biber


Will das Gebiet für die zivile Nutzung entwickeln: Bürgermeister Biber
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Bild: Michael Braunschädel

Dynitec-Geschäftsführer Muskat projiziert in der Unternehmensbibliothek einen Plan an die Wand. Mit einem Laserpointer fährt er zuerst den mit einer roten Linie markierten Schutzradius ab, der das Gelände weiträumig umgibt. Dann deutet er auf eine von zwei grün markierten Flächen innerhalb des Radius. Vor wenigen Monaten hat Dynitec sie von einem Dynamit-Nobel-Nachfolgeunternehmen erworben und das dringende Interesse bekundet, noch eine dritte zu kaufen. „Alles wird sich innerhalb des Schutzradius in schon bestehenden Schutzgebäuden aus der Dynamit-Nobel-Zeit abspielen“, sagt der promovierte Ingenieur. Im laufenden Betrieb könne man die Produktion hochfahren, ohne dass man in Troisdorf etwas davon mitbekomme.

Das Zeitenwende-Vorhaben schien auf einem guten Weg. Doch dann grätschte die Stadt Troisdorf dazwischen. Bürgermeister Alexander Biber (CDU) kündigte an, das gut 50 Fußballfelder große Areal für die Ansiedlung neuer Industriebetriebe und für den Wohnungsbau erwerben zu wollen. Kaufe man jetzt nicht, gehe die Fläche für die Stadt auf immer verloren. Die Erweiterungspläne von Dynitec lehnte Biber ab. Die Rüstungsindustrie passe nicht mehr zu Troisdorf. Mit Zweidrittelmehrheit folgte der Rat dem Bürgermeister und beschloss Ende November mit den Stimmen von CDU, Grünen und Linken einen Bebauungsplan und eine Vorkaufsrechtssatzung für das Gelände.

Tags darauf war Verteidigungsminister Pistorius im Bundestag auf Nachfrage von Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, höchst alarmiert. Das Erweiterungsinteresse von Dynitec sei seit Langem bekannt. „Und der Druck, es dort zu realisieren, ist groß angesichts der Situation, die wir alle kennen, nämlich dass Munition und die Produktion von Explosivstoffen in Deutschland genau wie in Europa ein echter Engpass ist, ein echtes Lieferkettenproblem.“ Es sei wichtig, dass auch Länder und Kommunen an einem Strang zögen und den Prozess nicht behinderten, sondern beschleunigten, mahnte Pistorius.

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