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#Hanna Mittelstädts Verlagschronik der Edition Nautilus

Aufräumen, ordnen, archivieren, ein ganzes wildgewachsenes Lebenswerk irgendwie handhabbar machen: Was kann es Schrecklicheres geben für eine gestandene Anarchistin? Die im Ver­wirren, Perforieren und Sprengen gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen zeit­lebens eine ihrer vornehmsten Aufgaben sah? Weil sich nur so der Kerker öffnen, ein Refugium finden lasse für das freie, verspielte, hierarchielose Leben.

Gemeinsam mit ihrem vor zehn Jahren gestorbenen Lebensmenschen Lutz Schulenburg und dem älteren Mitstreiter Pierre Gallissaires hat Hanna Mittelstädt im Jahr 1972 einen nonkonformistischen Verlag gegründet, der sich zunächst recht struppig MaD-Verlag („Materialien, Ana­lysen, Dokumente“) nannte, bis nach einer Klage des für die „Mad“-Hefte zuständigen Verlags daraus 1977 der schöne Name Edition Nautilus wurde. Man orientierte sich an Avantgardekünstlern der Zwanzigerjahre, noch stärker aber an den Vertretern der Situationistischen Internationale.

Zwischen Situationismus und Selbstausbeutung

Dass die anarchorevolutionären Situationisten – Künstler, Denker, Macher; die alles überstrahlende Gestalt war Guy Debord – nicht nur einen maßgeblichen Einfluss auf die Protagonisten des Pariser Mais 1968 ausübten, sondern einen viel weiter gehenden auf die linke Sub- und Gegenkultur bis hin zur Popkultur hatten, liegt in Deutschland zu einem nicht geringen Teil an ebenjenem Kopffüßler-Verlag aus Hamburg, der die Parole des Pariser Mais, „Arbeitet nie!“ („Ne travaillez jamais!“), zum Motto machte. Es hing viele Jahre über dem Schreibtisch der „Subrealistin“ Hanna Mittelstädt. Und natürlich war das zugleich beißende Ironie, denn wie unendlich viel Arbeit und Selbstausbeutung es ist, einen notorisch klammen, aber stets engagierten Kleinverlag zu führen, der in seinen besten Momenten überall aneckte – im konservativen Milieu ebenso wie bei der dogmatischen Linken –, das konnte man immer schon ahnen und kann es jetzt auch detailliert nachlesen.

Das Cover zu Hanna Mittelstädts Verlagsgeschichte


Das Cover zu Hanna Mittelstädts Verlagsgeschichte
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Bild: Verlag

Hanna Mittelstädt räumt es auf, dieses Leben, aber so, wie ein Kind leicht missmutig sein chaotisches Zimmer aufräumt und dabei ins Spielen kommt. Reihenweise stellt sie Zeitschriften, Flugschriften und Nautilus-Bücher in imaginäre Regale – von den wichtigen „Autobiographien gegen die Zeit“ bis hin zu Titeln von Raoul Vaneigem, Franz Dobler, Frank Witzel, Peter Hacks, Wiglaf Droste, Etel Adnan, Abbas Khider, Anna Rheinsberg oder David Graeber –, aber bei fast jedem Titel gerät sie ins Erzählen, schweift ab, holt immer weiter aus, lässt dabei auch ihr gegenwärtiges, immer noch trauerndes, immer noch hoffnungsvolles Ich ausgiebig zu Wort kommen. Zu den schönsten Passagen des Buches gehören die persönlichen Städtebeschreibungen etwa von Hamburg, Montauban, Thessaloniki („Ich sah viele große Autos […] Ich sah arme Leute […] Ich sah überall Lidl“), Triest, Venedig, Cadaqués oder Wolfsburg (Mittelstädt, eingeladen zu einer Diskussion über Etel Adnan und dafür von VW „fürstlich entlohnt“, ist im Ritz unter­gebracht: eine einzige Herausforderung für die eigenen Werte).

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