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#Sind wir nicht alle Vulkane?

Die Schmuckstadt München, genauer: die staatliche Neue Sammlung – bereitet einer Künstlerin die Bühne, die seit mehr als fünf Jahrzehnten in der Stadt lebt. Therese Hilbert, 1948 in Zürich geboren, kam 1972 als ausgebildete Goldschmiedin mit ihrem Mann Otto Künzli an die Isar, beide studierten bei Hermann Jünger an der Akademie der Bildenden Künste. Künzli übernahm 1991 den Lehrstuhl von Jünger, wurde eine prägende Figur der Akademie. Dass sich seine Frau ihre künst­lerische Eigenständigkeit nie nehmen ließ, auch das zeigt die von Petra Hölscher kuratierte monographische Schau.

Begonnen hatte Hilbert 1964 an der Kunstgewerbeschule Zürich, wo sie einen Vorkurs, wie es ihn am Bauhaus gegeben hatte, belegte. Ihr ursprüngliches Ziel Grafik gab sie auf, entschied sich für die Metallklasse. Dabei ist bis heute geblieben: Hilberts bevorzugtes Material ist Silber. Die Ausstellung bietet rund zweihundertfünfzig Arbeiten aus mehr als fünf Jahrzehnten. Die Anfänge atmen noch den Geist calvinistischer Strenge, einer der seltenen Ringe und ein Armreif (1971/72) setzen ganz auf geometrische Perfektion des polierten Silbers. Als Kind der Sechzigerjahre sucht Hilbert Wege zu einer Demokratisierung des Schmucks. Dreieckige Wimpel, aus Plastiktüten des Zürcher Warenhauses Globus geschnitten, kosteten damals zwölf Mark – und waren doch mehr als Modeschmuck.

Duftende Broschen

In den Siebzigern versucht sich Hilbert erfolgreich mit Kunststoff, sie formt Kirschen zu Ohrringen, einfach zum Hängen über die Ohrmuschel. Ein halber Apfel ist 1973 an der Akademie preiswürdig: eingelassen in rote Folie, erzeugt das nun ebenfalls rot glimmende Fruchtfleisch ei­nen beinahe psychedelischen Effekt. Hilbert experimentiert mit quadratischen Fo­lienkissen, die sie mit Pelz, farbiger Watte oder kurzen Baumwollfäden füllt, die einen starken grafischen Effekt be­wirken. Pelz und Watte quellen aus Lö­chern und Schlitzen, sie können mit Parfum besprenkelt werden und so eine duftende Brosche erzeugen. Denn tragbar, das ist der Künstlerin wichtig, sind alle Exponate.

Stachelig: Therese Hilberts Brosche aus der Serie „Sterne“ (1984) aus verchromtem Messing


Stachelig: Therese Hilberts Brosche aus der Serie „Sterne“ (1984) aus verchromtem Messing
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Bild: O. Künzli

Auch jene gestisch groß aufspielenden Ohrgehänge, die, bewusst als Einzelstücke konzipiert, bis zur Brust der Trägerin reichen. Oder die von goldenen Spangen gehaltenen diskusförmigen Behälter, die sich öffnen lassen. Damals ein Tabubruch, denn Gold und Silber kombinierte man tunlichst nicht. 1978 fertigt Hilbert mit einem in seiner archaischen Einfachheit bezwingenden Halsband – eine hauchdünne kreisrunde Goldplatte wird mittig zum Halbkreis gefaltet – ihr letztes Stück aus Gold. Es sei einfach nicht ihr Ma­terial, sagt sie. Und ähnlich verhielte es sich mit Ringen: „Ich kann Ringe nicht so gut wie andere, warum sollte ich sie dann machen?“. Sie habe immer „für ihr Seelenheil“ gearbeitet, aber nie ausschließlich für sich selbst entworfen.

Die Ehe mit dem berühmten Otto Künzli bringt es mit sich, dass Therese Hilbert im Gattinnenprogramm landet. Das liegt nicht an ihrem Mann, sondern an den Gepflogenheiten des von Männern dominierten Kunstmarkts. Sie är­gert sich über die Mechanismen des Galeriebetriebs, besonders ärgert sie sich über Galeristinnen, die Frauen schlechter behandeln als Männer. Ihre Reaktion: Sie schafft stachelige Artefakte, darunter ei­ne an der Schulter zu tragende spitzkegelige Brosche, die deutlich sagt: Komm mir nicht zu nahe.

Nicht fürs Dirndl geeignet

Der Minirock sei ihr ausgetrieben worden in München, sagt Hilbert. Dafür hat sie im Bayerischen Nationalmuseum ein Ge­­gengift gegen die Beharrungskräfte der Stadt gefunden: mittelalterliche Piken, Hel­lebarden und Lanzen. Die Formensprache dieser Hieb- und Stichwaffen habe sie fasziniert. So sind die Variationen von Sternen, die Hilbert in dieser Zeit vielfach durchspielt, auch Ausdruck ihrer Wi­der­ständigkeit. Ihr Schmuck habe einfach nicht zum Dirndl gepasst, als Frau ha­be man damals „doppelt strampeln“ müssen. Da habe sie wohl buchstäblich die Kral­len ausgefahren. Diese Haltung drückt sich am deutlichsten in einer Dornenkette aus, der eine Rose beigegeben ist – ohne sich zu verletzten ist die Kette nicht tragbar.

Die Werkgruppen haben nur luftige Zu­schreibungen wie „Körper“, „Gefäße“ oder „Geheimnisträger“. So auch ein silberner Trichter, der an einer langen Kordel schief irgendwo zwischen Brustbein und Magen der Trägerin hängt. Er dienst als Empfänger für Signale, die Richtung Seele geleitet werden; umgekehrt soll er selbst Signale an die Umwelt aussenden.

Edelmetall vegetabil: Brosche von 1993 aus Silber, Durchmesser 4,4 Zentimeter


Edelmetall vegetabil: Brosche von 1993 aus Silber, Durchmesser 4,4 Zentimeter
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Bild: O. Künzli

1996 beginnt eine bis heute andauernde Beschäftigung mit Vulkanen, ausgelöst durch eine Wanderung auf der Kykladeninsel Nea Kameni. Hilbert sammelt Obsidian und Bims, kehrt ohne Skizzen oder Fotografien ins Atelier zurück und arbeitet aus der Erinnerung. Die Stücke variieren das Thema feuerspeiender Berg, sie heißen „Glut“ oder der „Aus der Tiefe“. Kraterseen sind zu sehen, deren milchiges Wasser mit buntem Lack gefasst ist, rauchende Asche mit gelben Schwefelfahnen. Geschnitzte Berggipfel aus geschwärzten MDF-Holzfaserplatten. Das Rot, das der Ausstellung den Titel und dem aufwendig gestalteten Katalog die Einbandfarbe liefert, ist Ausdruck dieser Leidenschaft – und paraphrasiert einen Satz Eugène Io­nescos: „Ich bin voller Energien, Feuer und Lava. Ich bin ein Vulkan.“

Alles natürlich eine Metapher. „Wir sind alle Vulkane“, davon ist Therese Hilbert überzeugt, „manche brechen aus, andere schlummern ihr ganzes Leben.“ So wie die Seismologen nur bedingt vorhersagen könnten, wie sich ein Vulkan verhält, so verhalte es sich auch mit Menschen. Zweifellos ist im Fall dieser zierlichen Frau je­derzeit mit einem künstlerischer Ausbruch zu rechnen.

Therese Hilbert – „Rot“. Schmuck 1966 bis 2020. Pinakothek der Moderne, München; bis 30. Juli. Der Katalog (Arnoldsche Art Publishers) kostet 38 Euro.

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