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#Ich sehe was, was du nicht siehst

Ich sehe was, was du nicht siehst

Wenn beim Spaziergang im Park neben einem ein wurmartiges Wesen riesenhaft aus dem Boden wächst, Ballerinen im Unterholz tanzen und über den Wipfeln, wie mit Helium-Ballons in den Himmel geschrieben, die Frage „Is this real?“ aufscheint, befindet man sich nicht am Rande einer Nervenkrise – sondern im Düsseldorfer Hof­garten. Dort schweben metallische For­men, streckt ein Avatar seine Arme meterlang aus oder sprießen Kunstblumen neben ahnungslos vor sich hin pickenden Tauben. Keine der Interventionen in die Natur ist real im Sinne von physisch ge­genwärtig. Es sind virtuelle Kunstwerke für den öffentlichen Raum, Beispiele von Augmented Reality (AR), in der die Umgebung um Objekte aus dem Computer erweitert wird – so man sie durch sein Smartphone oder Tablet betrachtet.

Was mit der digitalen Schnitzeljagd „Pokémon Go“ vor ein paar Jahren eine Massengaudi war, hat als Gestaltungsprinzip in der Kunst Fuß gefasst. Das NRW-Forum Düsseldorf präsentiert neueste Ansätze in einer – wie das Haus verkündet – „weltweit“ ersten AR Biennale. Arbeiten von neunzehn Künstlerinnen, Künstlern und Kollektiven sind zu sehen. Arrangiert in einem Teil der Parkanlage, der vom Ehrenhof aus das NRW-Forum mit dem Kunstpalast verbindet, versinnbildlicht die Schau ganz nebenbei auch das Zusammenwachsen der Anfang 2020 vereinten Institutionen, dem einiges Knarzen im Gebälk vor­ausgegangen war. Bevor das digital ausgerichtete NRW-Forum unter das Dach des Kunstpalasts rückte, war sein Leiter Alain Bieber, mangelnde Rückendeckung aus der Politik beklagend, kurz vor dem Hinschmeißen. Einen Relaunch samt „Cute“-Ausstellung und eine Pandemie später scheint man im Idyll angekommen: Bei der Biennale-Eröffnung loben Bieber, nun künstlerischer Leiter des NRW-Forums unter der Generaldirektion des Kunstpalast-Chefs Felix Krämer, und dieser die fruchtbare Zusammenarbeit.

Auf jeden Fall leicht handhabbar: Jeremy Baileys Werk, wie es sich in der App auf dem Smartphone darstellt.


Auf jeden Fall leicht handhabbar: Jeremy Baileys Werk, wie es sich in der App auf dem Smartphone darstellt.
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Bild: dpa

Interaktivität gehört bei den Ausstellungsobjekten, von denen einzelne ergänzend in Essen und Köln positioniert sind, ebenfalls zum Programm. Da spielt Musik auf, wenn ein schwarzer Kubus, auf dem Bildschirm angetippt, sich öffnet, auf dass der Quader sogleich wieder von einer vertikal eingreifenden Hand Gottes geschlossen wird. „Algorithmus in der Höhle“ heißt das Werk von Damjanski, der sich auf seiner Homepage als „artist living in a browser“ vorstellt, physisch aber in New York lebt. In den Gehirnen der Betrachter will er offensichtlich Assoziationen mit Platons Gleichnis über die Erkenntnismöglichkeiten des Menschen mit dem Mysterium digitaler Black Boxes verschalten. Seine Arbeit lässt sich aber auch als unterhaltsames Fort-da-Spiel konsumieren: klick auf, klapp zu.

Da tanzt doch wer: eine Ballerina des Balletts am Rhein in der erweiterten Realität.


Da tanzt doch wer: eine Ballerina des Balletts am Rhein in der erweiterten Realität.
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Bild: dpa

Will man etwas Verbindendes in der Werkauswahl erkennen, ist genau das die konzeptionelle Klammer. Die AR Biennale lockt mit Spaß auf Augenhöhe auch jene, denen der Aufstieg in altehrwürdige Mu­sentempel zu steil erscheinen mag. Das können Digital Natives ebenso sein wie Senioren. Wer ein Smartphone besitzt, was Statistiken aus dem vorigen Jahr zufolge auf 86 Prozent aller Deutschen zutrifft, hat die Eintrittskarte für den Biennale-Besuch in der Hand – vorausgesetzt, man befindet sich an Ort und Stelle. Mit der entsprechenden App können dann QR-Codes von entlang der Wege aufgestellten Tafeln ge­scannt werden. Dann erfasst die Handykamera keine leere Wiese mehr, sondern eine geduckte Gestalt, die eine monströse bohnenförmige Skulptur trägt. So sieht Jeremy Baileys AR-Hommage an das Edelstahl-Monument „Cloud Gate“ von Anish Ka­poor aus. Als Internet-Meme würde sie so­fort funktionieren. Im musealen Kontext provoziert sie Fragen: Stemmt die digitale Kunst die physische wie Pippi Langstrumpf den Kleinen Onkel? Macht AR das U zum E? Verschiebt sie Gewichte?

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