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#Es wird voll im Genpool der Pandemie

Es wird voll im Genpool der Pandemie

Hängt das Ende der Pandemie trotz Impfung inzwischen am seidenen Faden? Diese Frage darf man sich stellen, wenn man den schnell anschwellenden Nachrichtenstrom über neu entstandene und sich schnell ausbreitende Varianten des Sars-CoV-2 genau verfolgt. Dabei ist eigentlich noch gar nichts entschieden.

Joachim Müller-Jung

Joachim Müller-Jung

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das Ressort „Natur und Wissenschaft“.

Sicher ist nur: Die Risiken steigen, darin sind sich Virologen und Epidemiologen einig. Denn die genetische Wandlung des Erregers läuft angesichts der über die Wintermonate gestiegenen Infektionszahlen auf Hochtouren. Doch wie groß die Gefahr etwa einer schweren dritten Corona-Welle in Deutschland wirklich ist, lässt sich wohl erst im März sicher sagen, wenn die bisher noch flickenteppichartig erhobenen Verbreitungsdaten eine solidere empirische Grundlage bekommen – wenn allerdings längst auch über Lockerungen von Corona-Maßnahmen entschieden sein wird.

Ziemlich eindeutig fällt bereits jetzt die Einschätzung der Fachleute aus, wenn es um das evolutionäre Potential dieses hochansteckenden Coronavirus geht: Es ist enorm. Sars-CoV-2 erweist sich geradezu als genetische Wundertüte. Der Erreger passt sich immer erfolgreicher an seinen Hauptwirt Mensch an. Und mit jedem weiteren Fortschritt bei den Genomanalysen wird das Staunen der Experten immer größer.

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Die Crux dabei ist, dass die Informationsbasis weiter zu wünschen übriglässt. In den Vereinigten Staaten, auf die allein mehr als ein Viertel der weltweit inzwischen über 110 Millionen Infizierten fallen, wurden bisher weniger als ein Prozent der Corona-positiven Proben genetisch entziffert, ebenso in Frankreich, Spanien oder Brasilien. Deutschland liegt mit seinen Genom-Sequenzierkapazitäten zwar darüber, ist aber noch weit entfernt von den fünf bis fünfzig Prozent sequenzierter Virusgenome, die Neuseeland, Australien und vor allem Dänemark oder Großbritannien vorweisen können. Wie sich das Virus dabei unter dem analytischen Radar verändert, lässt sich nur grob abschätzen.

Sensible Stelle am Spike-Protein

In einer bemerkenswerten, wenn auch noch ungeprüften Vorveröffentlichung, die nun auf dem Preprint-Server „medRxiv“ erschienen ist, haben Emma Hodcroft von der Universität Bern und acht amerikanische Evolutionsgenetiker ein durchaus beunruhigendes Beispiel für das Anpassungspotential des Pandemieerregers geliefert. Basis für ihre Untersuchung waren Virenanalysen an zwei Zentren, der University of New Mexico in Albuquerque und an der Louisiana State University in Shreveport, sowie die in der Gendatenbank „Gisaid“ hinterlegten Sequenzdaten.

Das Augenmerk der Forscher lag dabei auf Mutationen, die eine besonders sensible Stelle des Spike-Virusproteins betreffen: ganz nahe an der sogenannten Furin-Bindungsstelle, wo zwei Untereinheiten des Spike-Proteins unmittelbar vor dem Eintritt des Virus in die menschliche Zelle gespalten werden, wodurch der Vermehrungszyklus des eindringenden Virus gestartet wird.

An Position 677 der Proteinkette sitzt dort normalerweise die Aminosäure Glutamin (Q). Durch einzelne Mutationen in der RNA des Virus ist es nun an dieser Stelle zum Austausch des Glutamins gekommen: Bei sechs Virusvarianten, die zusätzlich andere Mutationen angehäuft haben, sitzt da nun die Aminosäure Prolin (P), bei einer siebten Variante ein Histamin (H).

Anfang eines evolutionären Siegeszuges?

Diese Aminosäuren-Austausche bewirken, dass der Eintritt des Virus leichter möglich wird – das zumindest ist die Interpretation der Wissenschaftler. Und allein die Tatsache, dass sich diese Q677P- und Q677H-haltigen Varianten an sehr verschiedenen Orten im Land unabhängig voneinander gebildet und sich dann weiter mit steigender Frequenz ausgebreitet haben, ist für die Genetiker ein klares Indiz für eine konvergente Evolution – oder eine Parallelevolution.

Im August war noch keine der Q677-Mutanten bekannt gewesen, Anfang Februar trugen sie bereits 2327 von insgesamt 102.000 „amerikanischen“ Virusgenomen. Sogar eine schwächelnde, alte D614-Variante, die fast weltweit längst verdrängt ist, taucht nun plötzlich wieder mit der Q677H-Mutation auf. Auch in Proben aus Ägypten und Dänemark wurden die 677-Mutationen gefunden.

Ob am Ende die lückenhafte Genomsequenzierung das wahre Ausmaß ihrer Verbreitung verdeckt oder ob die Q677-Subvarianten (die der besseren Unterscheidung wegen Vogelnamen erhalten haben) erst am Anfang eines evolutionären Siegeszuges stehen, bleibt unklar. Auch dazu, wie viel leichter man sich mit diesen Varianten anstecken kann, sagen die Genomdaten nichts aus. Damit verbieten sich vorerst Spekulationen über die Gefährlichkeit dieser Varianten. Klar ist nur: Der – großteils noch unentdeckte – Genpool mit anpassungsfähigen Erregern wächst. Weniger Infektionen würden da ganz sicher helfen.

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