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#Risikokommunikation, Irreführung und die informierte Entscheidung – Gesundheits-Check

Risikokommunikation, Irreführung und die informierte Entscheidung – Gesundheits-Check

Vor ein paar Tagen war hier die relative Risikoreduktion als Basis der vielzitierten 95 % Wirksamkeit der BioNTech-Impfung Thema. In der Diskussion ging es dann u.a. auch darum, was Gerd Gigerenzer, der sich in vielen Publikationen um das Thema Risikokommunikation verdient gemacht hat, mit seiner Kritik an den 95 % in der Reihe „Unstatistik des Monats“ wohl gemeint haben könnte.

Es ging ihm, soweit sein Gedankengang zu entschlüsseln war, vermutlich um den Unterschied zwischen relativer und absoluter Risikoreduktion. Das ist in vielen Fällen eine sehr wichtige Unterscheidung, weil ein Behandlungserfolg mit einer großen relativen Risikoreduktion von z.B. 95 % unter Public Health-Gesichtspunkten völlig irrelevant ist, wenn es um sehr seltene Erkrankungen geht. Die Pharmaindustrie liebt solche Relativangaben, weil sie beeindruckende Heilungseffekte suggerieren.

Auf das Thema Impfen kann man diese Logik aber nicht ohne Weiteres übertragen. Hier geht es gerade darum, die Erkrankung selten zu halten. Eine möglichst kleine absolute Risikoreduktion ist gewissermaßen die ideale Situation. Die relative Risikoreduktion soll beim Impfen eine kontrafaktische Aussage darüber ermöglichen, wie viele Menschen nach der Impfung mutmaßlich vor COVID-19 geschützt sind, falls sie tatsächlich einmal auf das Virus treffen.

Dass in den Zulassungsstudien viele Probanden gar nicht mit dem Virus in Kontakt kamen, also nicht 95 % der Probanden in der Verumgruppe immunologisch durch die Impfung geschützt auf das Virus reagiert haben, stimmt natürlich. Dazu hätte man alle Probanden aktiv infizieren müssen. Die einzige Frage, die sich in dem Zusammenhang stellt, ist, ob man die Immunreaktionen derer, die mit dem Virus in Kontakt kamen, auf den Rest der Probanden übertragen kann oder ob es gute Gründe gibt, anzunehmen, dass sich die Probanden, die dem Virus tatsächlich ausgesetzt waren, vom Rest unterscheiden, und das auch noch differentiell zwischen den Studienarmen Verum und Placebo. Damit es dafür keine guten Gründe gibt, wird randomisiert.

Wenn Gerd Gigerenzer jetzt der ermittelten 95 % relativen Risikoreduktion die absolute Risikoreduktion von weniger als 1 % entgegensetzt, weil de facto doch nur ein kleiner Teil dem Virus wirklich ausgesetzt war, wird daraus eine paradoxe Risikokommunikation. Sehr leicht wird das so gelesen, dass die einzelnen Geimpften praktisch nichts von der Impfung haben. Das stimmt – solange die Durchseuchung der Bevölkerung verhältnismäßig gering ist und man noch vergleichsweise selten mit dem Virus in Berührung kommt, also die meisten noch durch Nichtkontakt geschützt sind. Genau in dieser Situation aber macht die Impfung Sinn. Wenn alle schon infiziert sind und so mutmaßlich auf natürlichem Wege immunisiert wären, bräuchte man keine Impfung mehr.

Gigerenzers „Unstatistik des Monats“ war kein Beitrag zur Verbesserung der „Risikokompetenz“, sondern rabulistische Publikumsverwirrung. Erwartungsgemäß führt die Missverständlichkeit seiner Ausführungen nun auch dazu, dass die einschlägigen Kreise die Botschaft verbreiten, die Impfung nütze nichts. Das ist Irreführung.

Die Impfung ist freiwillig und das soll sie auch bleiben. Zum einen ist derzeit noch offen, welche Impfstoffe in welchem Umfang auch vor Infektiosität schützen (und nicht „nur“ vor Erkrankung), so dass zumindest aktuell der Individualschutz im Vordergrund steht, zum anderen gibt es eine Reihe offener Fragen zu den Langzeitwirkungen und den Nebenwirkungen. Ziel muss daher die Unterstützung einer informierten Entscheidung sein, wie es z.B. die Seite „gesundheitsinformation.de“ des IQWIG versucht (das vor kurzem von Wodarg übrigens noch hochgelobt wurde). Desinformierte Entscheidungen braucht niemand.

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Kleiner Nachtrag am Rande: Wen meint Wolfgang Wodarg eigentlich mit der “Chefin” von BioNTech?

Noch ein Nachtrag, 26.12.2020: Auf der Internetseite von Wolfgang Wodarg ist der obere Teil des hier abgebildeten Auszugs verschwunden, zudem die roten Schriftzüge “Die 95%-Lüge” und “Diese Lüge ist amtlich!” Auch die Bildmarke “gesundheitsinformation.de” des IQWIG ist weg.

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