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#Islamismus: Gesucht: Junge Männer für Terror

Nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau, bei dem mehr als 130 Menschen getötet und mindestens 180 weitere verletzt wurden, wurden vier mutmaßliche Täter festgenommen – alle vier stammen aus Tadschikistan. Der Islamische Staat hat die Tat für sich reklamiert. Es gibt Hinweise darauf, dass hinter dem Anschlag der IS-Ableger namens Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) steckt. Dieser rekrutiert gezielt junge Männer aus Zentralasien für seinen Terror. Die Gewalt wirft ein Licht auf eine Entwicklung, die schon seit Jahren zu beobachten ist: Perspektivlosigkeit, Armut und Unterdrückung führen in Tadschikistan und weiteren Ländern Zentralasiens gerade unter jungen Männern zu einer rasenden Radikalisierung.

In der öffentlichen Wahrnehmung ist das bisher wenig bekannt. Viele assoziieren mit islamistischem Terror eher Länder wie Afghanistan, Syrien oder den Irak. Das täuscht jedoch: Hinter einigen Terroranschlägen in den vergangenen Jahren – zum Beispiel in Istanbul, Stockholm und New York – standen zentralasiatische Attentäter. In Deutschland wurden im März 2023 fünf junge Tadschiken verurteilt, weil sie Mitglieder des Islamischen Staats waren und Anschläge planten. Im Sommer 2023 wurden in Nordrhein-Westfalen weitere sieben Mitglieder des Islamischen Staat Provinz Khorasan festgenommen, darunter fünf tadschikische Staatsbürger und jeweils ein Kirgise und Turkmene.

Die Länder Zentralasiens (Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan, Kasachstan und Turkmenistan) stehen als arme, autoritäre Entwicklungsländer meist im Schatten ihrer Nachbarn Russland und China. Um zu verstehen, warum ausgerechnet hier islamistische Gruppen rekrutieren, muss man auf die sowjetische Geschichte der Region blicken. Die sowjetische Grenzpolitik bildete willkürliche und künstliche Staatengebilde, die darauf abzielten, die zentralasiatischen Völker zu spalten. Allein im Ferghanatal grenzen die drei Länder Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan auf unnatürliche Weise aneinander. Deshalb kommt es bis heute zu Konflikten zwischen den Staaten. 

Nach dem Zerfall der Sowjetunion stand die Region vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch. Wer im Zentralasien der Neunzigerjahre gerade die Schule beendete, konnte sich auf ein Leben in Arbeitslosigkeit einstellen. 

Das hat sich bis heute kaum geändert. Viele junge Menschen ziehen zum Arbeiten ins Ausland. Die lokale Wirtschaft ist von ihnen abhängig. In Tadschikistan machten Rücküberweisungen von Arbeitsmigrant:innen aus dem Ausland in den vergangenen Jahren bis zu 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, das ist weltweiter Spitzenwert

Abwertung und Rassismus

Sehr viele gehen nach Russland: Um die zehn Millionen Zentralasiat:innen arbeiten hier, die Dunkelziffer könnte höher liegen. Obwohl einige mit einer Berufsausbildung kommen und fließend Russisch sprechen, landen die allermeisten im Niedriglohnsektor. Sie arbeiten auf Baustellen oder als Lkw-Fahrer und leben unter prekären Bedingungen abgeschottet vom Rest der russischen Gesellschaft. Menschenrechtsorganisationen berichten von Racial Profiling durch die russische Polizei, regelmäßig finden gewalttätige Razzien in Unterkünften für zentralasiatische Gastarbeiter statt. Zuletzt wurden an Silvester etwa dreitausend zentralasiatische Migranten von der Polizei aus Wohnblöcken geholt und dazu gedrängt, Militärverträge zu unterschreiben, für den Militärdienst im Einsatz gegen die Ukraine. Infolge des Anschlags in Moskau verschärft sich diese Situation weiter – es gibt mehrere Berichte aus den vergangenen Tagen über rassistische Übergriffe.

Besonders viele junge Männer beschreiben ein Gefühl der Ungerechtigkeit: Sie fühlen sich abgewertet, um ihre Zukunft betrogen, zurückgelassen und machen immer wieder die Erfahrung, zu scheitern. Ihre Eltern wuchsen noch zu Sowjetzeiten auf und können ihnen in dieser neuen Welt, von der sie sich selbst erschlagen fühlen, kaum Orientierung geben. Es ist ein Zustand der permanenten subtilen Gewalt und Frustration.

Religiöser Backlash

Diesen Zustand nutzen islamistische Gruppen gezielt aus. Schon seit den Neunzigerjahren eröffneten sie nach dem Ende der Sowjetunion Glaubensschulen in Zentralasien, die junge Männer zum Islam zurückführen sollten. Ihre radikalen Lehren fallen auf fruchtbaren Boden: Durch die jahrzehntelange Unterdrückung des Islam zu Zeiten der Sowjetunion ist das Verständnis für die eigene Religion unter vielen Menschen sehr unausgebildet. Sie identifizieren sich zwar immer schon als Muslim:innen, haben dies aber lange Zeit nicht normal ausleben können und keine älteren Bezugspersonen, die sie ohne eigene Interessen an die Religion heranführen.

Deshalb kommt es jetzt immer mehr zu einem religiösen Backlash: Die Unterdrückungserfahrungen zu Zeiten der Sowjetunion werden durch eine radikale Rückbesinnung auf den Islam versucht zu kompensieren. Die lokalen Regierungen nehmen dabei eine merkwürdige Doppelrolle ein. Auf der einen Seite fördern sie die Stärkung der islamischen Identität. So lässt der usbekische Präsidenten Shavkat Mirziyoyev in der usbekischen Hauptstadt Taschkent ein „Zentrum der islamischen Zivilisation“ errichten, das zu einem der größten Gebäude in der gesamten Stadt werden soll. Andererseits begegnen die Staaten religiösen Fundamentalist:innen aus Angst vor Terror mit starken Repressionen. Deshalb ziehen einige Gläubige in islamische Nachbarländer und radikalisieren sich dort weiter religiös. Zum Beispiel in Afghanistan – der Geburtsstätte des Islamischen Staat Provinz Khorasan.

In den vergangenen Jahren haben sich Tausende junge Männer aus Zentralasien auf diese Weise islamistischen Gruppen wie dem Islamischen Staat Provinz Khorasan oder anderen lokalen Bewegungen angeschlossen. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht in Sicht: Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Situation für Arbeitsmigrant:innen verschärft. Sie waren von dem Einbruch der russischen Wirtschaft direkt betroffen und werden jetzt gezielt für die russische Armee angeworben. Ein Großteil der Bevölkerung befindet sich in einer politischen Apathie und hat keinen Bezug zu Demokratie oder Menschenrechten. Manche Männer, die das Gefühl haben, im weltlichen Leben nur scheitern zu können, wollen wenigstens im Glauben siegen.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Textes stand, dass sich die IS-Filiale ISPK zu der Tat bekannt habe. Tatsächlich war es der IS. Wir haben die Stelle korrigiert und bitten den Fehler zu entschuldigen.

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