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#Schmetterlinge im Nationalsozialismus

„Schmetterlinge im Nationalsozialismus“

Im Deutschunterricht der Siebziger waren die Werke Ernst Wilhelm Nays beliebte Vorlagen für Bildbeschreibungen. Einerseits war auf ihnen Gegenständliches er­kennbar – Fischerboote, Blumen, Schmetterlinge –, andererseits waren sie abstrakt genug, um die Aufmerksamkeit der Schüler auf formale Eigenschaften des Bildes, seinen Aufbau und seine Farbgebung zu lenken. Heute ist das Werk Nays, der nach dem Zweiten Weltkrieg ein führender Repräsentant der westdeutschen Moderne in der internationalen Kunstwelt war, fast nur noch Kennern geläufig. Das ist schade, denn die farbgewaltigen Gemälde gehören zum Schönsten, was die klassische Moderne auf dem Weg in die Abstraktion her­vor­gebracht hat. Eine ausgezeichnete Schau in der Hamburger Kunsthalle bietet nun die Möglichkeit, Nay wiederzuentdecken.

Mit ihren rund 120 Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen – davon zwanzig Werke aus eigenem Bestand – überspannt die Retrospektive alle Phasen des Schaffens vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zu Nays Tod 1968. Die Schau ist chronologisch aufgebaut, aber die Kuratorin Karin Schick hatte die gute Idee, „Zeitsprünge“ einzubauen: einzelne Bilder, die zeitliche Abfolgen durchbrechen und als Vor- oder Rückgriffe die Fäden zeigen, die Bilder aus unterschiedlichen Perioden miteinander verknüpfen. Nays Werk, das die Kunstströmungen vor und nach dem Zweiten Weltkrieg verklammert, nimmt mit auf eine lange und wechselvolle Reise von der Gegenständlichkeit in die Abstraktion. Es setzt ein mit Bildern, von denen einige mit ihren gedeckten Farben und der erdigen Anmutung an seinen Lehrer Carl Hofer erinnern, andere den Einfluss von Henri Matisse verraten. In dieser Phase entstehen die einzigen Porträts, die Nay je gemalt hat.

Buttje, Buttje inne Farbsee: Ernst Wilhelm Nays „Tanz der Fischerinnen“ von 1950.


Buttje, Buttje inne Farbsee: Ernst Wilhelm Nays „Tanz der Fischerinnen“ von 1950.
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Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Die ersten Bilder, die heute als typisch für sein Werk erscheinen, sind Fischfang-Motive, die Nay in den Dreißigern an der deutschen Ostseeküste malte: Das Auf und Ab der Brandung ist hier übersetzt in wild gezackte Farbflächen, zwischen deren die schablonenhaften Figuren der Fischer sich behaupten müssen. Auf den kurze Zeit später gemalten Lofoten-Bildern – Edvard Munch hatte Nay die Reise auf die norwegischen Inseln spendiert – verschwinden die Menschen noch stärker in einer scharfkantig-abstrahiert gemalten Natur. Als diese Bilder entstanden, war Nay als „entarteter“ Künstler stigmatisiert, erhielt aber als Mitglied in der Reichskammer der Bildenden Künste Malmaterialien und Beihilfen. 1939 wurde er von der Reichskammer re­habilitiert. Im Zweiten Weltkrieg kam er nach Fronteinsätzen durch Vermittlung eines Sammlers als Kartenzeichner zu einem Stab in Le Mans, wo ihn Ernst Jünger und Carl Schmitt besuchten.

Auf diesem Posten fand er mitten im Krieg Zeit für sein Werk; französische Kunstfreunde stellten dem malenden Besatzungssoldaten ein Atelier, Farbe und Leinwände zur Verfügung. Seine Bilder versendete er per Feldpost. Diese Ambivalenzen einer Künstlerexistenz zwischen Verfemung und Anpassung leuchtet ein lesenswerter Essay im Katalog aus. In Le Mans entstand 1943 die „Komposition mit vier Frauen“, eine verträumt wirkende, kaleidoskopartige Komposition weiblicher Gesichter und Körper, die er später als „künstlerische Manifestation meines We­sens und das erste großtönende und umfassende Werk“ bezeichnete. Trotz der Kontakte und seiner engen Verbundenheit mit französischer Kunst blieb Nay gerade in Frankreich nahezu unbekannt, während er nach 1945 in anderen europäischen Ländern und den USA große Erfolge feierte.

Auf den Betrachter mit großen Augen zurückschauende Bilder kennt man von ihm: Ernst Wilhelm Nays „Astral“ von 1964.


Auf den Betrachter mit großen Augen zurückschauende Bilder kennt man von ihm: Ernst Wilhelm Nays „Astral“ von 1964.
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Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Swingende Bilder in den Fünfzigern

Einen Höhepunkt bildet der Raum „Melodik der Farben“, wo großformatige Bilder aus den Fünfzigerjahren mit Titeln wie „Swing“, „Serenade“ oder „Instrumentation“ Rhythmen und Tanz durch dynamische Formen und leuchtende Farben auf mitreißende Weise visualisieren. Nays tiefes Interesse an zeitgenössischer Musik, die in Köln, seinem damaligen Wohnort, ein Zentrum hatte, wird hier augenfällig. Die Spuren von Gegenständlichkeit, die sich in einigen dieser Werke noch finden, sind in den „Scheibenbildern“, die an Sternenkonstellationen oder auch Blütenteppiche erinnern, verschwunden. Doch sie kehrt in der Spätphase seines Werks rudimentär zurück als eine Chiffre des Sehens: Aus den Scheiben werden Augen – das angeschaute Bild schaut den Betrachter an. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren, als diese Bilder entstanden, war Nay auf den großen Ausstellungen Europas und Amerikas präsent, er wurde zu einer Leitfigur der abstrakten Malerei, der den An­schluss Westdeutschlands an die inter­nationale Moderne verkörperte.

Phänotypisch und maltechnisch mit der abgespannten und auf dem Atelierboden bearbeiteten Leinwand Jackson Pollock ähnlich: Nay bei der Arbeit, 1964 von Barbara Deller-Leppert fotografiert.


Phänotypisch und maltechnisch mit der abgespannten und auf dem Atelierboden bearbeiteten Leinwand Jackson Pollock ähnlich: Nay bei der Arbeit, 1964 von Barbara Deller-Leppert fotografiert.
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Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2022

In seinen letzten Lebensjahren geriet sein Status als Maler-Star ins Wanken. Die nachfolgende Generation mit Joseph Beuys oder Konrad Klapheck stand seinem Werk distanziert gegenüber. Drei großformatige Gemälde, die Nay für die Documenta III 1963 schuf und die dort an der Decke hingen, lösten eine öffent­liche Diskussion über ihn als repräsentativer Künstler aus. Seiner Malerei wurde jetzt inhaltsleere Dekorativität vorgeworfen. Dahinter stand Missgunst, aber auch ein sich formierender Zeitgeist: Die Achtundsechziger-Bewegung, die sich die „gesellschaftliche Relevanz“ der Kunst auf die Fahnen schreiben sollte, warf ihre Schatten voraus. Diese Auseinandersetzungen sind Geschichte, aber die Politisierung der Kunst ist unter den Vorzeichen von „kultureller Identität“ und Postkolonialismus zurückgekehrt. Der Zauber, der von Bildern ausgeht, wie sie Ernst Wilhelm Nay gemalt hat, bleibt davon unberührt.

Ernst Wilhelm Nay. Retrospektive. In der Kunsthalle Hamburg; bis zum 7. August. Danach in Wiesbaden und Duisburg. Der Katalog kostet im Museum 29, im Buchhandel 34 Euro.

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