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#Spaziergang um das KZ Sachsenhausen: Umgang mit einem schweren Erbe

Spaziergang um das KZ Sachsenhausen: Umgang mit einem schweren Erbe

Vielen Berliner*innen ist das Konzentrationslager Sachsenhausen ein Begriff, doch wird noch an weiteren Orten in Oranienburg der Opfer gedacht. Hier wandelt man nicht nur auf den Spuren vom Krieg und der Schreckensherrschaft der Nazis, sondern erlebt auch den Umgang einer Stadt mit ihrem schwierigen geschichtlichen Erbe.

Die Aufschrift auf dem Tor zum KZ Sachsenhausen erinnert an die Schreckensherrschaft der Nazis. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Von Berlin-Gesundbrunnen aus geht es mit der S1 nach Oranienburg. Nach 36 Minuten Fahrt erreicht man den Bahnhof, von dem aus die letzten Deportierten vor 74 Jahren in das Konzentrationslager Sachsenhausen und somit in den Tod geführt wurden. Zehntausende Häftlinge des Konzentrationslager Sachsenhausen starben an Hunger, Krankheiten, Zwangsarbeit und Misshandlungen oder fielen systematischen Vernichtungsaktionen der SS zum Opfer.

In den letzten Wochen vor der Befreiung im Frühling 1945 ermordete die SS Tausende von Juden: in den Außenlagern, den Vernichtungsanlagen des „Industriehofes“ von Sachsenhausen und auf den Todesmärschen.

Der Weg ins KZ Sachsenhausen

Vom Bahnhof Oranienburg führte der Weg der Häftlinge über die Straße der Einheit hin zur Straße der Nationen. An der Kreuzung erinnert heute eine Gedenkstätte an den Todesmarsch, auf den sich die 33.000 Häftlinge am 20. und 21. April 1945 begeben musste. Zu Fuß wurden sich Richtung Nordwestern durch Nordbrandenburg und Mecklenburg getrieben – unzureichend gekleidet, unterernährt und von der Zwangsarbeit im KZ Sachsenhausen geschwächt. Bis zu 40 Kilometer mussten sie täglich marschieren und in überfüllten Scheunen oder aber unter freiem Himmel schlafen. Wessen Beine vor Erschöpfung nicht weitermarschieren konnten, der wurde von der SS erschossen oder erschlagen. 

Vom KZ Sachsenhausen aus begann der Marsch, auf dem über 6000 Häftlinge ermordet wurden - die Stadt Oranienburg gedenkt derer.
Vom KZ Sachsenhausen aus begann der Marsch, auf dem über 6000 Häftlinge ermordet wurden – die Stadt Oranienburg gedenkt derer. Foto: Imago/Schöning

Die Straße der Nationen führt durch ein Wohngebiet – noch heute beschleicht einen das Gefühl, hinter Gardienen beim Gang ins Konzentrationslager beobachtet zu werden. So wurden die Häftlinge auf jener Straße unter den Augen der Bevölkerung zum stählernen Tor der Anlage in der Lagerstraße getrieben. Hinter diesem kann auch in Zeiten der Pandemie den Opfern des Holocaust gedacht werden.

Das Außengelände der Gedenkstätte Sachsenhausen ist für Besucher*innen offen, die Ausstellungen und Museen bleiben weiterhin geschlossen. Zum 75. Jahrestag der Befreiung des KZ Sachsenhausen äußerten sich namenhafte Persönlichkeiten zum Andenken und der eigenen Geschichte, ihre Videos sind auf der Website der Gedenkstätte zu finden.

Doch ist die Gedenkstätte Sachsenhausen nicht der einzige Ort, an dem die Grausamkeiten der Deutschen an den Juden noch heute spürbar sind. Zurück auf der Straße der Einheit nach Norden kreuzt einige hundert Meter weiter die Hans-von-Dohnanyi-Straße. Anwohnern zufolge seien die meisten Häftlinge über jene Parallelstraße zur Straße der Nationen und selbst vom Nordbahnhof Sachsenhausen ins Lager geführt worden.

Neuer Anstrich kalter Gebäude

Das südwestliche Tor, von der Gedenkstätte selbst angebracht, im Blick geht es gen Süden auf die Bachstraße. Die wiederum mündet in die Ernst-Schneller-Straße und führt östlich auf den Heinrich-Grüber-Platz. Heinrich Grüber, Pastor und Gegner des Nationalsozialismus, war Anfang 1933 selbst der NSDAP beigetreten. Er wandte sich aber im Laufe des Jahres gegen die offenkundige nationalsozialistische Diktatur.

Grüber selbst wurde am 19. Dezember 1940 verhaftet und zwei Tage später ins KZ Sachsenhausen verschleppt. Im sogenannten T-Gebäude der nördlichen Seite des Heinrich-Grüber-Platz haben heute das Finanzamt und die Gedenkstättenstiftung ihren Sitz. Vor gut 75 Jahren saß dort noch die zentrale Verwaltungs- und Führungsbehörde aller Konzentrationslager. Anfang 2018 wurde das Gebäude um einen gläsernen Neubau erweitert.

Neubau des Finanzamt neben dem T-Gebäude, damals saß dort die Verwaltungs- und Führungsbehörde aller Konzentrationslager. Foto: Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg

Einmal um den Heinrich-Grübe-Platz herum kommt man wieder auf die Bernauer Straße. Nach 600 Meter Fußmarsch auf der Flaniermeile blickt man auf der linken Seite in eine Querstraße, die zu früheren SS-Kasernen führt. Heute ist hier die Polizeifachhochschule untergebracht.

Die Häftlinge mussten das damals weltgrößte Ziegelwerk errichten

Weiter auf der Bernauer Straße führt die Kanalbrücke über einen Zulauf des Lehnitzsees. Jene stählerne Brücke betraten täglich 2.000 Häftlinge damals auf dem Weg zum Außenlager Klinkerwerk des KZ Sachsenhausen. Seit dem Spätsommer 1938 mussten sie unweit der Lehnitzschleuse das weltweit größte Ziegelwerk errichten, um Baustoffe für gigantische Bauvorhaben der NS-Führung in der Reichshauptstadt Berlin zu liefern. Zum selbstständigen Außenlager wurde das Klinkerwerk mit der Einrichtung eines Barackenlagers 1941. Ab 1943 nutzte die SS das Gelände für die Rüstungsproduktion.

Hier entstand 2011 ein weiterer Ort des stillen Gedenkens. Auf 16 Glastafeln entlang eines erhöhten Steges erzählt die Freiluft-Ausstellung die Geschichte des SS-eigenen „Großziegelwerks Oranienburg“, in dem tausende Häftlinge des KZ Sachsenhausen Zwangsarbeit leisten mussten. Vier Informationsstelen berichten an den jeweiligen Ereignisorten über die SS-Brotfabrik, das Häftlingslager, den Hafen und das Steinbearbeitungswerk.

Die weitgehend zerstörten Anlagen des Außenlager Klinkerwerk des KZ Sachsenhausen zeigt ein Modell als Teil der Ausstellung auf dem Gelände des ehemaligen SS-Schießstandes.
Die weitgehend zerstörten Anlagen des Außenlager Klinkerwerk des KZ Sachsenhausen zeigt ein Modell als Teil der Ausstellung auf dem Gelände des ehemaligen SS-Schießstandes.
Foto: Imago/Jürgen Ritter

Von Sachsenhausen zum ersten KZ in Preußen

Auf dem Rückweg ins KZ Sachsenhausen führten die Häftlinge vor 1941 noch einen beladenden Karren mit den Todesopfern des Tages mit sich. Von der Bernauer Straße aus gabelt sich gen Westen die Carl-Gustav-Hempel-Straße ab, auf der man innerhalb von einer guten halben Stunde zum Nordbahnhof Sachsenhausen läuft. Auf zweidrittel der Strecke schimmert links durch die Bäume das Massengrab am Kommandantenhof.

Die Busse der Linie 801, 802 sowie 804 bringen einen von der Chausseestraße aus bis zur Haltestelle Bernauer Straße. Wer jedoch in diesen Tagen die Mundschutzpflicht in den Öffentlichen umgehen will, der kann die Strecke vorbei am ehemaligen Milchinstitut heute MLUA – das zu NS-Zeiten instrumentalisiert wurde. Von dort ist es ein Fußweg von einem Kilometer, den kalten Asphalt hinunter, über die Hafen hinüber und dann links in die Berliner Straße, zum letzten denkwürdigen Ort der Tour – dem Mahnmal zum KZ Oranienburg.

„Die Anklagende“ mahnt an die Zeit des Dritten Reichs

Direkt an der Hafen ist das Oranienburger Schloss gelegen, zuvor mahnt die Skulptur „Die Anklagende“ mit der Inschrift „Schmerz gebäre Tat“ an die Zeit des Dritten Reichs. Mitten in der Stadt funktionierte die SA eine ehemalige Brauerei am 21. März 1933 zum ersten Konzentrationslager in Preußen um. Mehr als 3000 Häftlinge, vor allem politische Gegner der Nationalsozialisten, wurden dort gedemütigt und misshandelt, einige sogar ermordet – eine Infotafel erinnert heute daran.

Zusätzlich wurde ein Gedenkstein für Erich Mühsam aufgestellt, der Antimilitarist wurde am 10. Juli 1934 im KZ Oranienburg ermordet. Ein gemeinsamer Antrag zur Neugestaltung des Gedenkorts der Fraktionen SPD, Linke und Grüne wurde im November letzten Jahres im Bauausschuss der Stadt Oranienburg diskutiert.

Die Berliner Straße wieder hoch kreuzt links die Erich-Müsam-Straße, die über die Fußgängerbrücke „Blaues Wunder“ und bis zur Lehnitzstraße führt. Jene Hauptstraße überquert man und von der Krebstraße ist es dann nicht mehr weit bis zur Stralsunder Straße im Osten, die wiederum zum Bahnhof Oranienburg führt. Die Tour ist somit 12,7 Kilometer lang und dauert circa zweieinhalb Stunden.

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