Nachrichten

#Strategisches Konzept der NATO: Atomwaffen in den Osten?

„Strategisches Konzept der NATO: Atomwaffen in den Osten?“

Bei der NATO geht die Arbeit an einem neuen strategischen Konzept in die entscheidende Phase. Generalsekretär Stoltenberg hat den Mitgliedstaaten einen ersten Entwurf zugeleitet, die Außenminister haben kürzlich darüber beraten. Der Text blieb einstweilen vertraulich; bis zum Treffen der Staats- und Regierungschefs Ende Juni in Madrid wird er sich noch einige Male ändern. Dann aber soll das neue Konzept stehen und die Richtung für die nächsten zehn Jahre vorgeben. Klar ist: Es wird eine radikal veränderte Sicherheitslage beschreiben müssen, insbesondere mit Blick auf Russland.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Das alte, offiziell noch gültige Konzept von 2010 liest sich inzwischen wie das Dokument einer untergegangenen Welt. „Heute herrscht im euro-atlantischen Raum Frieden“, heißt es darin, „die Bedrohung durch einen konventionellen Angriff auf das NATO-Gebiet ist gering.“ Man betrachte „kein Land als seinen Feind“. Schon gar nicht Russland, mit dem man sich eine „echte strategische Partnerschaft“ wünsche. Diese Passagen erinnern daran, wie kurz die Halbwertszeit solcher Papiere sein kann. Hier war es schon nach vier Jahren obsolet, als Russland die Krim annektierte und damit die Grenzen in Europa gewaltsam verschob. Für die NATO leitete das eine Trendwende ein: weg von Einsätzen zur Stabilisierung außerhalb des Bündnisgebiets, zurück zur Verteidigung der eigenen Mitglieder.

Gehört die Grundakte „in den Müll“?

Das neue Konzept entsteht nun unter dem Eindruck des strategischen Wettbewerbs der Großmächte und des größten konventionellen Krieges in Europa seit 1945. Außerdem hat Russland die Ukraine überfallen, ein Partnerland, dem die Allianz die Mitgliedschaft in Aussicht gestellt hatte. Darauf müssen die Mitgliedstaaten eine Antwort finden.

Auf jeden Fall werden sie Russland als Gefahr für die internationale Ordnung und für ihre eigene Sicherheit darstellen; das war schon die Richtung der Abschlusserklärung des NATO-Gipfels im Juni 2021. Seinerzeit hielt die Allianz aber noch an den drei D fest: Deterrence, Defense, Dialogue – zu Deutsch: Abschreckung, Verteidigung und Dialog. Der Rahmen für den Dialog wurde durch die 1997 geschlossene NATO-Russland-Grundakte gesetzt. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine hat sich das Bündnis in zwei Schritten von diesem politischen Dokument entfernt. Es erklärte, dass Moskau sich davon verabschiedet habe und dass es der notwendigen Verstärkung der östlichen Flanke nicht im Weg stehen werde. Folgt nun der dritte Schritt: dass auch die NATO die Vereinbarung aufkündigt?




Danach sieht es nicht aus. Zwar hat die britische Außenministerin Liz Truss schon erklärt, dass die Grundakte „in den Müll“ gehört; auch in Paris sieht man das ähnlich. Doch werben Deutschland und einige weitere westeuropäische Staaten beharrlich dafür, den Text als „leere Hülle“ zu bewahren. Man dürfe die Beziehungen nicht allein aus der jetzigen Kriegslage heraus denken, heißt es zur Begründung; es könne ja sein, dass sich auch in Russland die Lage ändere. Außerdem wolle man sich nicht auf eine Stufe mit dem Kreml stellen, sondern „moralisch überlegen“ bleiben. Die ostmitteleuropäischen Staaten haben darauf zunächst allergisch reagiert. Jetzt heißt es, sie könnten damit leben. Deutschland habe glaubhaft versichert, dass es sich nicht auf die Grundakte berufen werde, um eine deutlich größere Truppenpräsenz dort zu konterkarieren. Nur ein Land sei noch skeptisch – Polen.

Schon die Entkernung der Grundakte hat gravierende Folgen. Die NATO entbindet sich damit selbst von ihrer Zusage, nicht dauerhaft substanzielle Kampftruppen zu stationieren. Was „substanziell“ heißt, was „dauerhaft“ bedeutet, darüber haben die Allianz und Russland ohnehin nie verbindliche Absprachen getroffen. Nun wird zusätzlich noch auf die veränderte Lage verwiesen. Die Zusage von 1997 sei an das „gegenwärtige und vorhersehbare Sicherheitsumfeld“ geknüpft gewesen – also an jene Welt, die sich noch im strategischen Konzept von 2010 spiegelt, nun aber Geschichte ist.

Biden in Nuklearfragen vorsichtig

Das wirft noch eine zweite, durchaus heikle Frage auf: Was bedeutet das für die nukleare Abschreckung? In der Grundakte haben sich die Mitgliedstaaten auch dazu bekannt, „dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nu­kleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren“, und dass sie nicht die Notwendigkeit sehen, „das Nukleardispositiv oder die Nuklearpolitik der NATO in irgendeinem Punkt zu verändern“. Bemerkenswerterweise warnte Generalsekretär Jens Stoltenberg die sich bildende Ampelkoalition schon im November 2021 davor, die Stationierung dieser Waffen in Deutschland infrage zu stellen. Die Alternative sei nämlich, dass sie sonst in „anderen Ländern Europas“ wieder auftauchen könnten, „auch östlich von Deutschland“. Ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Die Koalition bekannte sich dann tatsächlich zur „nuklearen Teilhabe“; sie will sogar moderne, nuklearfähige F-35-Kampfflugzeuge anschaffen. Im Rahmen des strategischen Konzepts will die Bundesregierung das Thema nicht anrühren. Auch Amerika hält sich bislang zurück; Joe Biden ist in Nuklearfragen äußerst vorsichtig. Und doch hat Putin die Allianz mit seinen nuklearen Drohungen zu Kriegsbeginn in eine schwierige Lage gebracht. Die polnische Regierung zeigte sich Anfang April demonstrativ „offen“ für amerikanische Atomwaffen. Wenn Putin weiter zündelt, wird man diesen Geist kaum zurück in die Flasche zwingen können.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!