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#„Wir sind in einem Logistikrennen“

„„Wir sind in einem Logistikrennen““

Vor fast einem Jahr trat NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf die Bremse. Die Ukraine hatte die Allianz aufge­fordert, eine Flugverbotszone über dem Land durchzusetzen; der russische Überfall hatte gerade erst begonnen. Mindestens aber wollte Kiew Kampfflugzeuge haben. Sowohl die polnische Regierung als auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatten sich dafür offen gezeigt. „Die NATO wird nicht Truppen in die Ukraine schicken oder Flugzeuge in den ukrainischen Luftraum bewegen“, erklärte Stoltenberg daraufhin beim Besuch eines polnischen Luftwaffenstützpunkts.

Thomas Gutschker

Politischer Korrespondent für die Europäische Union, die Nato und die Benelux-Länder mit Sitz in Brüssel.

Der polnische Präsident Andrzej Duda pflichtete ihm bei: „Wir senden keine Kampfflugzeuge in die Ukraine, weil das zu einer militärischen Einmischung in den Ukrainekonflikt führen würde.“ Die Debatte flammte danach noch einmal kurz auf, war aber endgültig vorüber, als die Vereinigten Staaten klar machten, dass sie MiG-29 aus polnischen Beständen nicht über ihren Stützpunkt Ramstein an die Ukraine liefern würden.

Als Stoltenberg am Montag gefragt wurde, ob seine damaligen Bedenken immer noch gälten, klang das freilich anders. Damals sei es nur darum gegangen, ob die Allianz Kampfflugzeuge senden solle, um eine Flugverbotszone in der Ukraine zu errichten, behauptete der Generalsekretär. „Das ist etwas ganz anderes als jetzt diskutiert wird, nämlich ob NATO-Verbündete Kampfflugzeuge an die Ukraine schicken könnten, damit sie die selbst benutzen kann.“ Das werde „uns nicht zur Konfliktpartei machen“. Es fällt der NATO und besonders Stoltenberg immer schwer, Positionen zu ändern und dies einzugestehen. Umso mehr fiel auf, dass er keinerlei prinzipielle Einwände mehr hat.

„Geschwindigkeit wird Leben retten“

Seine einzige Einschränkung war pragmatisch: Die Lieferung von Kampfflugzeugen benötige Zeit, jetzt aber müsse der Fokus auf Schnelligkeit und Dringlichkeit liegen. „Meine oberste Priorität ist sicherzustellen, dass die Zusagen, die die Verbündeten für Schützenpanzer, für Panzerung, für Kampfpanzer gemacht haben, so schnell wie möglich geliefert werden“, sagte Stoltenberg. Entscheidende Fähigkeiten müssten in der Ukraine eintreffen, bevor Russland die Initiative auf dem Schlachtfeld ergreifen könne. „Geschwindigkeit wird Leben retten“, sagte Stoltenberg – und klang wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.

Darum wird es gehen, wenn sich die Verteidigungsminister der Allianz an diesem Dienstag in Brüssel treffen – erst im sogenannten Ramstein-Format, dann als regulärer Ministerrat. An beiden Treffen will der ukrainische Kollege Oleksij Resnikow persönlich teilnehmen, beide finden im Hauptquartier der Allianz statt. Das macht es noch schwerer als sonst, darzulegen, dass die NATO als Institution mit Waffenlieferungen nichts zu tun habe. Der größte Unterschied ist formal: Während Stoltenberg den Ministerrat selbst leitet, nimmt er im Ramstein-Format nur als Gast teil, neben bis zu zwanzig Ländern, die nicht dem Bündnis angehören.

Wie sehr das eine mit dem anderen zusammenhängt, zeigten auch seine Ausführungen zu den schwindenden Munitionsvorräten der Allianz. Die hat gerade ihre Bestände überprüft. Der gegenwärtige Munitionsverbrauch der Ukraine sei „um ein Vielfaches höher als unsere gegenwärtige Produktionsrate“. Die Wartezeit für großkalibrige Munition betrage nunmehr 12 bis 28 Monate. Eine Bestellung heute wird also erst in zweieinhalb Jahren ausgeliefert. Dass Stoltenberg diese Zahlen und damit eine Schwäche der NATO offenlegte, ließ erkennen, wie groß der Druck auf die Staaten ist. Als positive Beispiele nannte er Amerika und Frankreich, die langfristige Lieferverträge mit der Verteidigungsindustrie geschlossen hätten. Ende Januar taten sich etwa Frankreich und Australien zusammen, um 155-Millimeter-Munition zu produzieren, die Kiew für schwere westliche Artillerie benötigt.

Ein anderer Ton als bei früheren Auftritten

„Es ist klar, dass wir in einem Logistikrennen sind“, sagte Stoltenberg. Das sei die Folge eines Abnutzungskrieges, wie ihn Russland und die Ukraine nunmehr führten. An der Front erlebe man nun den Beginn einer russischen Offensive. Russland schicke Tausende Soldaten in den Kampf und sei bereit, hohe Verluste hinzunehmen. „Was Russland an Qualität fehlt, versucht es durch Quantität auszugleichen“. Das war ein anderer Ton als bei früheren Auftritten. Offenbar nimmt man die russische Frühjahrsoffensive, die seit Monaten erwartet wurde, nun doch ernster bei der NATO, als es noch vor einigen Wochen schien.

So rückte bei der Pressekonferenz des Generalsekretärs in den Hintergrund, dass sich die Minister auch mit der längerfristigen strategischen Anpassung der Allianz an die neue Bedrohungslage beschäftigen werden. Am Mittwoch werden sie eine neue „Political Guidance“ annehmen. Dieses geheime Dokument beschreibt das Anspruchsniveau („Level of Ambition“) des Militärbündnisses, abgeleitet aus dem Strategischen Konzept, das voriges Jahr beim Gipfeltreffen in Madrid beschlossen wurde. Nach Informationen der F.A.Z. will die Allianz künftig in der Lage sein, einen großen Krieg gegen einen nuklear bewaffneten Angreifer zu führen – sprich: Russland. Daneben soll es nur noch Kapazitäten für einen Krisenreaktionseinsatz außerhalb des Bündnisgebiets geben.

Aus dem Anspruchsniveau werden die militärischen Mindestfähigkeiten abgeleitet und im Verteidigungsplanungsprozess auf die Schultern der Verbündeten verteilt. Für die Bundeswehr heißt das etwa, dass sie die Panzerbrigade, die sie der NATO für den Schutz der Ostflanke stellt, voll ausstatten und in so hoher Bereitschaft halten muss, dass sie binnen 10 bis 30 Tagen ins Einsatzgebiet verlegt werden kann.

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