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#Schön allein: Es ist alles okay, ich bin nur introvertiert

„Du bist ja so ruhig! Ist alles okay?“ Würde ich jedes Mal einen Euro bekommen, wenn ich das gefragt werde, könnte ich schon längst eine Villa am Wannsee kaufen, bar auf die Hand. Einen Großteil meines Lebens habe ich jedoch genau das als Defizit wahrgenommen: Ruhig, still und unaufgeregt zu sein. Mit einer Komfortzone, die ungefähr zwei Kilometer jenseits von dort ist, wo „im Mittelpunkt stehen“ liegt.

Schon als Kind hatte ich wenig Bock auf die Dezibelhölle namens Spielplatz und richtete lieber im stillen Kämmerlein eine Geburtstagsfeier für meinen Teddy aus – mit lauter plüschigen und vor allem stummen Gästen. Und nach einem stressigen Tag in der wuseligen Marienkäfergruppe im Kindergarten musste ich zu Hause erstmal eine Runde runterkommen und mir Der Regenbogenfisch vorlesen lassen.
Daran hat sich wenig geändert. Nur wurde der Spielplatz gegen After-Work-Events und das Bilderbuch gegen True-Crime-Podcasts ausgetauscht.

Introvertiert sein bedeutet, Energie aus dem Alleinsein zu tanken

Früher kannte ich für das, was ich bin, jedoch nur das verhasste Wort „schüchtern“. Klingt ebenso verstaubt und unsexy wie „Frauenzimmer“ oder „Quetschkommode“. Es beschreibt eigentlich auch mehr Ängste in sozialen Situationen, was auf mich nicht wirklich zutrifft. Bis mir endlich das Wort „introvertiert“ in die Hände fiel. Hört sich doch gleich viel mondäner und verspielter an!
Introversion bedeutet letztendlich, dass man Energie aus dem Alleinsein schöpft, in einer Umgebung ohne große Stimulierungen, wo man seinen Gedanken nachhängen kann. Intensives Socializen mit Anderen (selbst mit Freund*innen) erschöpft einen jedoch. Introvertierte Menschen sind oftmals kreativ, gute Zuhörer*innen und detailverliebt. Und sie ziehen meist ein tiefes Gespräch mit Vertrauten Small Talk in großer Runde vor.

It’s a match!

Sobald die Gruppengröße jedoch eine kritische Zahl übersteigt, meist schon drei Personen, fühle ich mich sofort verloren und verfalle in stabilen Stummfisch-Modus.

Es ist nämlich keinesfalls so, dass ich Menschen nicht mag. Ich mag sie sogar sehr gerne – in wohldosierten Portionen. Ich funktioniere wunderbar im Zweiergespräch, brilliere mit interessierten Zwischenfragen, lasse mich gerne ganz und gar auf mein Gegenüber ein. Sobald die Gruppengröße jedoch eine kritische Zahl übersteigt, meist schon drei Personen, fühle ich mich sofort verloren und verfalle in stabilen Stummfisch-Modus. Als würde ich in einem Meer aus Menschen ertrinken, wenn ich mich nicht an einer Person als rettende Boje festhalten kann.

Noch während ich versuche, in meinem Kopf Gedankenfragmente zu einem hübschen Bouquet zusammenzustellen, geschmückt mit Wortwitz und schlauen Einwürfen, läuft das Gespräch einfach weiter zum nächsten Thema. Und ich stehe da mit meinem nunmehr welken Wortblumenstrauß, den jetzt keiner mehr braucht. Aber bevor ich etwas Nichtiges sage, sage ich lieber gar nichts.

Trotzdem zwang ich mich, bei allem mit dabei zu sein – was nicht selten damit endete, dass ich mich heulend auf dem Klo versteckte, während Lachen und Bässe durch die Tür drangen.

Meine größte Horrorvorstellung, noch vor Folterkammer oder Steuererklärung, sind tatsächlich Homepartys. Ein großer Raum voller mir größtenteils unbekannter, lärmender Menschen, mit denen man ungezwungen plaudern soll und es gibt nur eine einzige Ausgangstür für den gepflegt-unauffälligen Abgang. Aaargh! Die Lösung ist so simpel wie genial: einfach gar nicht erst hingehen. Ich wünschte, da wäre ich schon früher drauf gekommen. Doch vor allem zu Schul- und Unizeiten haderte ich sehr mit dem Image des stillen Wassers. „Du bist ja so ruhig! Ist alles okay?“

Nichts wünschte ich mir mehr als Teil der coolen Kids zu sein, die so mühelos Raum einnehmen. Und ich eher so Teil der Raufasertapete statt „Life of the party“. Trotzdem zwang ich mich, bei allem mit dabei zu sein, aus Angst etwas zu verpassen oder zur Außenseiterin zu werden. Was nicht selten damit endete, dass ich mich heulend auf dem Klo versteckte, während Lachen und Bässe durch die Tür drangen. Mit der bittersüßen Erkenntnis, dass gerade alle ohne mich Spaß haben, aber ich beim besten Willen keine Kraft mehr habe, da nochmal rauszugehen.

Einfach nur Reserven wieder aufladen

Der Plan, mich zum neuen Schuljahr oder zum neuen Semester komplett neu zu erfinden, war dabei natürlich jedes Mal zum Scheitern verurteilt. Denn man kann zwar in neue Klamotten schlüpfen, aber nicht aus der eigenen Haut.

Das will ich aber auch gar nicht mehr. Mit steigendem Alter schwindet zum Glück auch notorische Gefallsucht. Die Menschen, die mir wirklich wichtig sind, kennen mich ohnehin so gut, dass sie es mir nicht übel nehmen, wenn ich mich mal abkapsele. Ist ja auch nicht persönlich gemeint. Ich brauche nur einfach viel Zeit für mich und zum Reserven aufladen.
Da ich es wahnsinnig liebe, Freund*innen zu treffen, Dinge zu unternehmen und unterwegs zu sein, baue ich mir inzwischen zum Ausgleich immer feste Me-Time-Inseln in den Kalender. Diese verteidige ich auch mit Zähnen und Klauen gegen Energie-Dementoren alias Mitmenschen. Ich gehe bewusst alleine spazieren, alleine an den See, alleine in den Urlaub und verbringe Zeit mit dem einzigen Menschen, der mich nicht irgendwann auslaugt: mir selber.

Ja, ich bin ruhig. Und ja, es ist alles okay.

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