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#„Die Situation für Frauen muss kontinuierlich überwacht werden“

„Die Situation für Frauen muss kontinuierlich überwacht werden“

Herr Jones, Sie arbeiten für eine Nichtregierungsorganisation und haben bis vor kurzem in Afghanistans Hauptstadt Kabul gelebt. Wann haben Sie das Land verlassen? 

Am vergangenen Freitag. Ich bin von Kabul über Dubai nach Bangladesch abgereist, als die Sicherheitslage in Afghanistan immer prekärer wurde. 

Waren Sie überrascht über den schnellen Vormarsch der Taliban? 

Die Geschwindigkeit, mit der die Bezirke im ganzen Land und die Provinzhauptstädte gefallen sind, war für mich sehr überraschend. Die Eskalation des Konflikts und die Verschlechterung der Sicherheit haben zu einer erheblichen Anzahl von Binnenvertriebenen im Land geführt, wobei allein in diesem Jahr mehr als 500.000 Menschen aus ihren Heimatregionen vertrieben wurden oder geflüchtet sind. Das alles hat zu einer katastrophalen humanitären Situation in Städten und Gemeinden im ganzen Land geführt, zumal Afghanistan mit bereits bestehenden humanitären Erfordernissen wie der Dürre, Corona und der Ernährungsunsicherheit zu kämpfen hat. 

Wann haben Sie die Aufforderung bekommen, Afghanistan zu verlassen? Und von wem? 

Ich wurde Anfang letzter Woche gebeten, das Land zu verlassen. Es gab also ein paar Tage Zeit, alles vorzubereiten. Die Ansage kam von meinem Arbeitgeber. Mit zunehmender Unsicherheit und Instabilität sowie Warnungen mehrerer Botschaften, die ihre Bürger aufforderten, sofort zu gehen, bestand die Gefahr, im Land zu stranden und nicht mehr ausreisen zu können. Gepaart mit der möglichen Aussetzung kommerzieller Flüge nach Kabul war die Entscheidung klar, Afghanistan vorerst zu verlassen.

Der Australier Evan Jones arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Asia Displacement Solutions Platform.


Der Australier Evan Jones arbeitet für die Nichtregierungsorganisation Asia Displacement Solutions Platform.
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Bild: Privat

Können Sie Ihre letzten Tage im Land beschreiben? Die Atmosphäre in Kabul? Und Ihre persönlichen Eindrücke? 

Die Atmosphäre in Kabul war eine Mischung aus Unsicherheit, Angst und Verwirrung. Vor meiner Abreise waren die Straßen relativ ruhig, obwohl es einen Anschein von Normalität gab, da die Geschäfte und die Straßenhändler weiter geöffnet hatten. Ein auffälliger Unterschied war, dass es in den Tagen unmittelbar vor meiner Abreise einen riesigen Zustrom von Binnenvertriebenen nach Kabul gegeben hatte. Mehr als 10.000 Familien waren infolge von Konflikten in Städten wie Mazar-i-Sharif und Kundus angekommen. Aufgrund des Mangels an Unterstützung schliefen und versammelten sich viele an öffentlichen Orten wie Parks. Humanitäre Organisationen hatten begonnen, diese Gruppen mit Lebensmitteln, Unterkünften und auch Bargeld zu versorgen.

Sie arbeiten als Entwicklungshelfer. Wie viele Afghanen arbeiten für Ihre Projekte – und was wissen Sie über deren Schicksal?

Die überwiegende Mehrheit der humanitären Helfer in Afghanistan sind nationale Mitarbeiter, nur wenige sind ausgewandert. Gemäß dem Motto vieler humanitärer Organisationen „Bleiben und Helfen“ haben die nationalen Mitarbeiter große Hartnäckigkeit, Stärke und Bereitschaft gezeigt, weiterhin lebensrettende Projekte im ganzen Land umzusetzen. Einige Mitarbeiter haben sich dafür entschieden, entweder durch spezielle Visaprogramme in Länder wie die USA oder in Nachbarländer wie Pakistan oder Iran auszureisen. Einige NGOs sind in der Lage, diese Prozesse zu unterstützen, aber die Anforderungen für jedes Land sind unterschiedlich und die Situation und Politik der Länder entwickelt sich ständig weiter. 

Haben Sie persönliche Beziehungen zu einigen von ihnen? Können Sie beschreiben, wie sie mit der Situation umgehen? 

Viele Afghanen, die ich kenne, gehen mit einer bemerkenswerten Stärke, Widerstandsfähigkeit und Freundlichkeit mit der Situation um. Trotz der Ungewissheiten, die vor ihnen liegen, leben viele ihr Leben so gut wie möglich weiter und engagieren sich weiterhin für andere, die weniger Glück haben als sie selbst. Natürlich bleibt ein gewisses Maß an Verwirrung, Angst und Unsicherheit bestehen – Gefühle, die zweifellos in den kommenden Tagen und Wochen bleiben werden, wenn die Menschen über die nächsten Schritte in ihrem Leben entscheiden.

Haben Sie Kontakt zu Frauen und Mädchen in Kabul? Was halten Sie von Mutmaßungen, die Taliban könnten moderater sein als vor 20 Jahren?   

Frauen spielen in vielen Teilen der afghanischen Gesellschaft eine entscheidende Rolle, sei es im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, in der Privatwirtschaft oder im humanitären Sektor. Die Situation für Frauen in Afghanistan muss jetzt kontinuierlich überwacht werden, um sicherzustellen, dass viele der in den letzten zwei Jahrzehnten erzielten Verbesserungen für sie nicht verloren gehen. Es obliegt den Gebern und der internationalen Gemeinschaft, weiterhin NGO- und humanitäre Programme für Frauen zu unterstützen, um sicherzustellen, dass Probleme wie Früh- oder Zwangsheirat und häusliche Gewalt abgemildert werden und sie den Zugang zu ihren Grundrechten aufrechterhalten können.

Was müssen die westlichen Staaten wie die USA und auch Deutschland tun?

Das Engagement vieler Länder in den letzten 20 Jahren hat der Entwicklung und dem Wachstum Afghanistans erhebliche Fortschritte gebracht. In Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter, Bildung, Gesundheitsversorgung und die Entwicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft hat Afghanistan von der humanitären und Entwicklungshilfe der internationalen Geber profitiert. Daher ist es wichtig, dass sich die Länder an diesem entscheidenden Punkt nicht von Afghanistan entfernen, sondern sich weiterhin engagieren und fortlaufende und flexible Mittel bereitstellen, um die humanitären Bedürfnisse des Landes zu decken.

Glauben Sie, dass Sie bald zurückkehren können?

Im Moment lässt sich das noch nicht sagen. Es wird einige Zeit dauern, bis humanitäre Organisationen ihre Programme wieder aufnehmen können, da Genehmigungen eingeholt und die Sicherheit und der Zugang ausgehandelt werden müssen. Ich würde sehr gerne nach Afghanistan zurückkehren. Das Land bietet so viel Schönheit, eine reiche Kultur, faszinierende Geschichte und freundliche Menschen. Ich hoffe, so schnell wie möglich wieder einen Fuß nach Kabul zu setzen.

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