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#Umzug von West nach Ost oder umgekehrt: Das haben wir über Deutschland gelernt

Umzug von West nach Ost oder umgekehrt: Das haben wir über Deutschland gelernt

Vier Studierende berichten von ihrem Umzug aus einem ostdeutschen in ein westdeutsches Bundesland oder andersherum. Ihre Erfahrungen sagen viel über Einheit, Vorurteile und Gemeinsamkeiten aus.

Ein geteiltes Deutschland – für die meisten Studierenden heute ein Kapitel aus den Geschichtsbüchern. An einer Uni auf der anderen Seite der ehemaligen Grenze zu studieren, ist ein wachsender Trend: Noch 2005 stammte nur jede*r sechste Studierende an Universitäten im Osten aus einem westdeutschen Bundesland. Bis 2015 stieg der Anteil auf ein Drittel. Andersherum gingen für drei Studierende aus dem Westen, die in ostdeutsche Bundesländer zogen, zwei Ostdeutsche an westdeutsche Universitäten.

Klingt nach regem Austausch. Also: Wiedervereinigung geglückt, Freundschaften geknüpft, Vorurteile vergessen? Vier Studierende, die für die Uni aus einem ostdeutschen Bundesland in ein westdeutsches oder andersherum gezogen sind, erzählen.

Victoria Neubert, 22, von Neuzelle nach München

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Foto: © privat

„Ich bin in einer kleinen Gemeinde an der Grenze zu Polen aufgewachsen: Neuzelle hat knapp 2.000 Einwohner*innen. Nach der Schule wollte ich vor allem weg, weil es bei uns wenige Arbeitsplätze und wenige Möglichkeiten zur Weiterbildung gibt. Heute studiere ich in München. Meine Familie hatte zuerst Angst, das zu unterstützen: Es hieß immer, es sei zu teuer und zu weit weg. Die Generation meiner Eltern durfte ja zu DDR-Zeiten nur innerhalb des Ostblocks reisen – und selbst das waren meist Klassen- oder Kursfahrten. Da wurde wenig Neugier auf andere Orte vermittelt. Bei uns ist es eher üblich, sich mit dem abzugeben, was man schon hat.

Ich würde mir wünschen, dass wir nicht mehr über Ost und West sprechen müssten.

Victoria

Von Bekannten bekomme ich oft skeptische Rückfragen, wie ich mir das Leben in Bayern zutrauen und leisten kann. Wo ich herkomme, sind die meisten Durchschnittsverdiener*innen. Bei uns gibt es so eine Angst, dass alles, was im Westen ist, unbezahlbar für uns sein muss. Klar, München ist teuer. Es gibt aber auch besser bezahlte Jobs. Ich arbeite neben dem Studium in Restaurants, bekomme gutes Trinkgeld und lebe total angenehm davon.

Ich würde mir wünschen, dass wir nicht mehr über Ost und West sprechen müssten. Es gibt aber eben viele Probleme, die sich im Osten überschneiden: Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit zum Beispiel. In anderen Bereichen sehe ich aber Gemeinsamkeiten zwischen Bundesländern auf beiden Seiten: Bei Brandenburg und Niedersachsen zum Beispiel, dass sie von der Landwirtschaft geprägt sind. Und auf dem Land in Bayern wird die AfD in manchen Wahlkreisen so stark gewählt wie bei mir zu Hause. Da ist es gar nicht die Unterteilung in Osten und Westen, die den Unterschied macht.

Um den Problemen bei uns zu begegnen, braucht es mehr Arbeitsplätze. Als Unternehmerin würde ich aber auch nicht in die Nähe von Neuzelle gehen. Da macht ein Laden nach dem nächsten zu, die Leuten ziehen weg. Ehemalige Mitschüler*innen von mir wohnen mit dem Auto eine halbe Stunde entfernt. Mit dem Bus dauert es aber mehr als zwei Stunden. Als Jugendliche denkt man dann: Ich will hier weg. Da müssen Anreize zum Bleiben geschaffen werden. Ich suche gerne Herausforderungen an Orten, wo ich noch nicht war. Für die Menschen in Brandenburg, die in ihrer Heimat bleiben möchten, wünsche ich mir trotzdem mehr Möglichkeiten, um sich auszuprobieren und neue Dinge zu erleben.“

Christoph Schröder, 26, von Bonn nach Jena

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Foto: © privat

„Mein Studiengang heißt Bildung, Kultur und Anthropologie: Unter Freund*innen stellen wir oft die Theorie auf, dass die Studiengänge im Osten immer etwas abgefahrener als woanders klingen, um die Leute anzulocken. Städte wie Berlin und Köln haben das halt nicht nötig, da wollen eh alle hin.

Wenn ich zu Hause bin, merke ich, wie oft ich Jena verteidige. Mich nervt das gängige Klischee, dass es im Osten nur Nazis gäbe. Klar, hier gibt es rechte Strukturen wie überall anders auch. Meist sind sie auch offensiver und offensichtlicher als woanders, deshalb muss über sie berichtet werden. In den Medien kommt aber kaum vor, dass es zu jeder rechten Veranstaltung immer auch ein starkes zivilgesellschaftliches Bündnis dagegen gibt. Wenn hier eine Neonazi-Demo oder ein Konzert von Rechtsradikalen stattfindet, braucht es eine ganze Menge Mut, um eine Gegendemo aufzuziehen. Dem Mut sollten wir mehr Raum geben und mehr Anerkennung schenken.

Ich würde allen dazu raten, sich in den Zug zu setzen und in eine ganz andere Ecke von Deutschland zu fahren.

Christoph

Nach dem Abi bin ich für den Bachelor erstmal nach Magdeburg gezogen. Bei Sachsen-Anhalt gibt es dieses Phänomen, dass das Bundesland von vielen einfach vergessen wird. Magdeburg selbst wird ständig mit Marburg verwechselt: Im Bewusstsein vieler meiner Freund*innen in Bonn existierte die Stadt gar nicht. Am Anfang habe ich an der Entscheidung gezweifelt, letztendlich bereut habe ich sie nie.

Damals ist mir zum ersten Mal wirklich bewusst geworden, dass Deutschland einmal ein geteiltes Land war. Das hat seine Nachwirkungen. Im Westen wird meist schlecht über die DDR geredet: Sie war ja auch ein autoritäres Regime. Ich glaube, man darf nicht vergessen, dass sie für viele Deutsche trotzdem ein Zuhause war. Damit kommt auch eine emotionale Bindung.

Ich würde allen dazu raten, sich in den Zug zu setzen und in eine ganz andere Ecke von Deutschland zu fahren. Um die Nachwirkungen der Teilung zu überwinden, brauchen wir mehr Austausch, vermutlich aber auch mehr Zeit. Uns kommt 1989 oft total lange her vor, dabei ist es das eigentlich gar nicht. Da muss noch viel zusammenwachsen.“

Julius Brosig, 22, von Wismar nach Bonn

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Foto: © privat

„Wismar liegt an der Ostsee, mit dem Auto knapp 20 Minuten von der ehemaligen Grenze entfernt. Mich selbst sehe ich eher als Norddeutschen, nicht so sehr als Ostdeutschen. Als ich nach Bonn gezogen bin, waren da aber kaum Leute aus ostdeutschen Bundesländern. Da hat man dann doch gemerkt, wer auch aus dem Osten kam: Ein gewisses Verbundenheitsgefühl gab es schon. Letztendlich haben aber Osten und Westen beide richtig geile Seiten an sich. Da sollte es viel mehr Austausch geben.

Wenn ich von Bonn aus nach Hause fahre, komme ich bis Hamburg ganz angenehm mit dem ICE. Danach dauert alles ewig, weil es fast nur Regionalzüge gibt. Da fehlt die Infrastruktur. Wenn ich in Wismar bin, fällt mir auch auf, dass der Rechtsradikalismus offensichtlicher als woanders ist: Da sehe ich viel öfter Menschen, die Marken aus dem rechten Spektrum tragen. Ich glaube, nicht alle, die so etwas tragen, reflektieren wirklich, was sie damit ausdrücken. Trotzdem sieht man diese Marken in Wismar leider zu oft.

Ich glaube, damit die Wiedervereinigung wirklich erfolgreich sein kann, müssen sich die Lebensverhältnisse angleichen.

Julius

Unter Freund*innen in Bonn höre ich immer mal wieder Witze über Ostdeutschland. Die sind lustig gemeint, immer kann ich aber nicht darüber lachen. Letztendlich wird Ostdeutschland nicht ernst genug genommen – weder in der Gesellschaft noch in der Politik. Auch wenn es viele Fortschritte gibt, fehlt es doch an allen Ecken und Enden: Im Osten gibt es Gegenden, in denen kommt einmal pro Woche der Supermarkt auf Rädern, weil sich ein richtiger Supermarkt nicht halten kann. Da ist das Internet schlecht, die Zeitung kommt nicht an, immer mehr Leute ziehen weg. Klar, auch der Westen hat Regionen, wo das Internet fehlt oder die Infrastruktur schlecht ist. Da ist es aber nicht so flächendeckend wie im Osten.

Und ich kenne Studierende in Bonn, die neben der Uni jobben und dabei einen höheren Netto-Stundenlohn bekommen als einige mit vielen Dienstjahren hinter sich im Osten. Man kann argumentieren, dass dafür im Osten die Lebenshaltungskosten billiger sind: Allein die Mieten sind ja viel niedriger. Letztendlich muss aber den Bürger*innen das Gefühl gegeben werden, dass sie gleich viel wert sind. Ich glaube, damit die Wiedervereinigung wirklich erfolgreich sein kann, müssen sich die Lebensverhältnisse angleichen.“

Arnisa Halili, 23, von Ravensburg nach Magdeburg

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Foto: © privat

„Im Sommer vor meinem ersten Semester habe ich gekellnert: Da wurde ich immer wieder neugierig gefragt, wo ich studieren will. Über die Reaktionen war ich echt erschrocken: ‚Die sind da schon anders‘, hieß es über den dunklen Osten. Wenn ich gefragt habe, ob der*diejenige schon einmal in Magdeburg war, war die Antwort meist Nein. Vor allem mein Papa hat mich aber bestärkt: Er war sich sicher, dass es überall in Deutschland gut ist. Der Anfang in Magdeburg war schwierig, und der Studiengang hat mir zuerst nicht gefallen. Durchgehalten habe ich auch, weil ich allen kritischen Stimmen zu Hause beweisen wollte, dass ich nicht am Osten scheitern würde. Heute bin ich froh darüber, geblieben zu sein.

Mich begeistert, wie politisch mein Umfeld hier ist: Im öffentlichen Raum wird einfach super viel über Politik diskutiert.

Arnisa

Vieles war erstmal neu. So etwas wie einen Naziaufmarsch hatte ich in Ravensburg noch nie erlebt. So etwas Riesiges wie die Gegendemos in Magdeburg kannte ich aber auch nicht: Da gibt es DJs und Kunstaktionen, da bleibt niemand zu Hause! Mich begeistert, wie politisch mein Umfeld hier ist: Im öffentlichen Raum wird einfach super viel über Politik diskutiert. Zu Hause wurde unter meinen Freund*innen nie darüber gesprochen, welche Parteien wir wählen. Hier beziehen Menschen aller Generationen viel stärker Position.

Nach dem Umzug hat ein Freund aus Magdeburg zu mir gesagt, ich sei die schickste Person, die er kenne. Ich fand das witzig: Als schick hätte ich mich selbst nie bezeichnet. Einige Klamotten habe ich dann zur Seite gelegt. Ich wollte nur nicht als Spießerin aus Süddeutschland wahrgenommen werden. Über die Jahre hab ich auch gemerkt, dass ich direkter geworden bin. In Restaurants in Magdeburg wird man oft mit „Na, was wollt ihr haben?“ begrüßt. Beim Kellnern zu Hause hätte ich das so direkt nie gesagt. Das ist aber überhaupt nicht unfreundlich gemeint, nur lockerer.

Schwierig ist, dass viele von uns nach dem Studium nicht bleiben. Sie ziehen nach Berlin oder zurück nach Hause: Es gibt hier einfach zu wenige Jobs. Für den Master gehe ich nach Weimar, bleibe also im Osten. Berlin wäre eine Option gewesen. Ich will aber nirgendwohin, wo ich nur eine Nummer bin. Hier habe ich das Gefühl, dass alles persönlicher ist und ich gemeinsam mit anderen die Stadt mitgestalten kann.“


ze.tt erzählt Geschichten über Ostdeutschland – abseits von Stasi und Neonazis. Mehr dazu findest du auf unserer Themenseite.

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