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#Ich habe es satt, vernünftig zu sein!

Ich habe es satt, vernünftig zu sein!

Als ich ein Kind war, so etwa acht, neun Jahre alt, war das tollste Ereignis des Jahres für mich ein Besuch auf dem Wurstmarkt. Das ist ein Volksfest in der Pfalz, die Einheimischen nennen es „das größte Weinfest der Welt“. Geisterbahnen, Achterbahnen, Schießstände, dort gibt es alles, was das Kinderherz begehrt. Ich bekam damals dreißig Mark und durfte einen Tag lang tun, was ich wollte.

Allerdings, und jetzt kommt der Punkt, bestand meine Oma zu Beginn immer darauf, dass wir erst eine komplette Runde über das Gelände drehen und uns alles anschauen. Objektiv betrachtet, erscheint das vernünftig. Sonst hätte ich wohl mein Budget bei den ersten beiden Fahrgeschäften verpulvert, um dann enttäuscht festzustellen, dass es noch viel tollere Sachen gibt, für die ich kein Geld mehr habe.

Vernunft kann sadistisch sein

Diese Vernunft war mir verhasst. Auf diffuse Art spürte ich ihre unwiderlegbare Macht. Ich wusste, es war letztlich nur zu meinem eigenen Besten. Und trotzdem: Durch das Paradies zu wandeln, all die köstlichen Früchte zu betrachten, aber nichts davon kosten zu dürfen, war eine Qual. Wäre mir das Wort schon bekannt gewesen, ich hätte die Erziehungsmethode meiner Oma als sadistisch bezeichnet. Heute, knapp dreißig Jahre später, und mit meiner Lebenserfahrung würde ich sagen: Mann, war das sadistisch!

Und irgendwie kommt mir die aktuelle Situation so ähnlich vor. Während der öffentliche Diskurs bestimmt wird von so ulkigen Phänomenen wie „Impfscham“ und „Impfneid“, quält mich meine Ungeduld. So nah scheint das Ende der Maßnahmen, die Restauration unserer Freiheiten. Und doch reiht sich Verzögerung an Verzögerung.

Das Theater mit der Impfung

Erst war nicht genug Impfstoff da. Warum das so war, sei dahingestellt. Ich muss meinen Senf nicht auch noch dazugeben. Dann ging das Theater los, welcher Impfstoff wohl der beste sei. Impfberechtigte ließen Termine verstreichen, weil sie lieber BioNTech als AstraZeneca wollten. Dann wurde AstraZeneca ganz gestoppt. Jetzt dürfen Hausärzte und Hausärztinnen endlich impfen, und schon wieder warten viele Menschen lieber länger, damit sie BioNTech bekommen.

Mir war das von Anfang an zu blöd. Ich hab gleich gesagt: Quatsch mich nicht voll, wenn irgendwas da ist, hau’s mir rein und gib Gas, die Else! Deshalb gehöre ich zu den Glücklichen, die ihre erste Dosis Astra schon im Kanal haben. Meine Freiheiten sind zum Greifen nahe. Bald darf ich wieder in mein geliebtes Wien fahren, ohne danach in Quarantäne zu müssen. Hach, wird das schön!

Quatsch mich nicht voll, wenn irgendwas da ist, hau’s mir rein und gib Gas, die Else!

Aber nein, zu früh gefreut. Denn jetzt heißt es plötzlich, die zweite Impfung soll nicht schon nach vier Wochen verabreicht werden. Weil das nur zu etwa 50% gegen das Virus schützt. Kriege ich die zweite aber nach zwölf Wochen, wäre ich schon bei 70% Schutz. Zwölf Wochen? Da fange ich ja schon an, mit den Hufen zu scharren. Und danach muss ich dann nochmal zwei Wochen warten, bis der Impfschutz aktiv ist? Bis dahin bin ich doch längst zu Staub zerfallen. Den könnt ihr dann untersuchen, ob ich AN oder MIT Altersschwäche gestorben bin.

Ja, ich weiß. Es ist nur zum Besten. Zu meinem eigenen und zu dem der Allgemeinheit. Schließlich trage ich mit meiner wirksamen Impfung dazu bei, dass weniger Menschen angesteckt werden. Aber es ist eben wie auf dem Wurstmarkt. Ich habe die Freiheiten vor der Nase, aufreizend bieten sie sich meiner Sehnsucht dar. Aber noch nicht, noch nicht. Ich bin schließlich vernünftig.

Geduld, Geduld, Geduld

Deshalb werde ich natürlich auch nach meiner vollständigen Impfung weiter meine FFP2-Maske tragen. Ohne die fühle ich mich sowieso schon ganz nackt. Ich werde sie weiter tragen, weil… warum nochmal? Ach ja, damit die Disziplin der anderen nicht nachlässt, genau. Der ungeimpften Keimschleudern. Erst wenn alle geimpft sind, ziehe ich die Maske ab. Zwölf Wochen nachdem alle geimpft sind. Sicher ist sicher.

Aber eins kann ich euch sagen. Wenn es dann soweit ist, dann will ich nichts mehr hören. Dann will ich wieder in grölenden Gruppen durchs Wohngebiet ziehen, zu Fuß oder per Bierbike. Ich will in Hauseingänge pissen und auf abgestellte Fahrräder kotzen.

Und vor allem: Wenn ich mit meiner Tochter auf einen Rummel gehe, zum Beispiel auf den Prater in Wien, werden wir ERST RECHT unser ganzes Geld am erstbesten Fahrgeschäft verpulvern. Was kost‘ die Welt? Und wenn wir dann was Tolleres finden, dann hole ich eben noch mehr Kohle. Scheiß drauf. An so einem Tag soll alles erlaubt sein. Der Vernunft bleiben schließlich die 364 anderen, an denen sie uns mit ihrer Besserwisserei terrorisieren kann.

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