Wissenschaft

#Urbanismus am Amazonas schon vor 2500 Jahren

Schon lange bevor die Spanier nach Südamerika kamen, gab es weit entwickelte Kulturen im Amazonasgebiet, die die Landschaft nachhaltig veränderten. Im oberen Amazonasgebiet im heutigen Ecuador haben Forschende jetzt die Überreste eines weitreichenden Netzwerks aus Dörfern und zeremoniellen Zentren entdeckt, die durch aufwendig angelegte Straßen miteinander verbunden waren. Den Forschenden zufolge ist der Entwicklungsstand der entdeckten Anlagen vergleichbar mit städtischen Systemen der Maya in Mittelamerika.

Als der spanische Entdecker Francisco de Orellana nach seiner Amazonas-Expedition in den Jahren 1541 und 1542 davon berichtete, große Städte an den Ufern dieses Regenwald-Flusses gesehen zu haben, hielten ihn seine Zeitgenossen für einen Lügner. Erst mehr als 400 Jahre später, in den 1980er Jahren, entdeckten Archäologen erste Hinweise darauf, dass Orellana die Wahrheit gesagt haben könnte: Sie fanden die Überreste ausgedehnter Siedlungen entlang des Flusslaufs. Seit Mitte der 1990er Jahre haben Forschende aus verschiedenen Fachrichtungen wie Archäologie und Geowissenschaften zusammengearbeitet, um die Geschichte der Region aufzudecken.

Ergebnisse aus mehr als 20 Jahren Forschung

Ein Team um Stéphen Rostain vom französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in Paris präsentiert nun die überraschenden Ergebnisse aus mehr als 20 Jahren Feldforschung. Ergänzt wurden die Ergebnisse der Feldforschung mit moderner LIDAR-Kartierung. Bei diesem Verfahren wird die Erdoberfläche aus der Luft mit Lasern gescannt. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Unebenheiten des Bodens genau kartieren und auf Muster analysieren. Für die aktuelle Studie werteten die Forschenden LIDAR-Daten von einem 300 Quadratkilometer großen Areal im heutigen Ecuador aus, das im oberen Amazonasgebiet an den östlichen Ausläufern der Anden liegt.

„Unsere Forschungen brachten das größte in Amazonien bekannte urbane Netzwerk aus errichteten und ausgegrabenen Bauwerken zutage, dessen Anfänge bis vor 2500 Jahren zurückreichen“, berichtet das Team. Ein bis heute erhaltenes Element der damaligen Bauten sind rechteckige Erdplattformen, die sich noch heute etwa drei Meter über ihre Umgebung erheben und im Schnitt etwa zehn mal zwanzig Meter groß sind. Einzelne Plattformen sind deutlich größer – bis zu 40 mal 40 Meter – und stammen den Forschenden zufolge wahrscheinlich von zeremoniellen Bauten. Insgesamt mehr als 6000 dieser Erdplattformen entdeckte das Team in der Region, oft angeordnet um einen zentralen Platz. Mindestens 15 verschiedene Siedlungsplätze unterschiedlicher Größe identifizierten die Forschenden.

Jahrtausende altes Straßennetz

Die Untersuchungen der Bodenstrukturen enthüllten eine überraschende Besonderheit: „Das auffälligste Landschaftsmerkmal ist ein komplexes, sich über Dutzende von Kilometern erstreckendes Straßensystem, das die verschiedenen städtischen Zentren miteinander verband und so ein regionales Netz schuf“, berichten die Forschenden. „Dabei handelte es sich um gerade Straßen, die sich in nahezu rechten Winkeln kreuzen, ohne bei Hügeln oder Schluchten abzubiegen.“ Offenbar haben die damaligen Bewohner der Region die größten Straßen unter enormem Arbeitsaufwand in den Boden des Regenwaldes gegraben und an den Seiten mit Erdwällen befestigt.

„Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Straßen auch eine ausgeprägte symbolische und rituelle Funktion hatten und am Aufbau der damaligen Kulturlandschaft beteiligt waren“, schreibt das Team. Zwischen den einzelnen Siedlungen befanden sich landwirtschaftliche Flächen. Diese waren ebenfalls an Straßen angebunden. Zudem lassen sich bis heute die Reste eines ausgedehnten Be- und Entwässerungssystems für die Felder erkennen. „Eine derart umfangreiche frühe Entwicklung im oberen Amazonasgebiet ist vergleichbar mit Stadtsystemen der Maya, die in Mexiko und Guatemala entdeckt wurden“, schreibt das Team.

Unterschätze Kultur

Die früheste nachweisbare Besiedlung der Region fand Datierungen zufolge bereits etwa 500 vor Christus statt und hielt bis etwa 300 bis 600 nach Christus an. Später folgten weitere Besiedlungswellen. „Unsere Datierungen deuten auf die Abfolge von mindestens fünf verschiedenen kulturellen Gemeinschaften hin“, so das Team. „Bei den ersten Bewohnern aus der Kultur der Kilamope und Upano handelte es sich um sesshafte Agrargesellschaften, die das Tal dicht besiedelten. Dabei profitierten sie von den fruchtbaren vulkanischen Böden, die nach Angaben der heute in dem Gebiet lebenden Bauern bis zu drei Ernten pro Jahr ermöglichen.“

Aus Sicht der Forschenden liefert die Entdeckung des präkolumbischen urbanen Netzwerks am oberen Amazonas einen Beleg dafür, dass das kulturelle und damit indigene Erbe Amazoniens weithin unterschätzt wird. „Wie viele andere sind wir der Meinung, dass es von entscheidender Bedeutung ist, unsere Vorurteile über die amazonische Welt gründlich zu revidieren und dabei Kontexte und Konzepte im Lichte einer integrativen und partizipativen Wissenschaft neu zu interpretieren“, so die Forschenden.

Quelle: Stéphen Rostain (French National Center for Scientific Research, CNRS, Paris) et al., Science, doi: 10.1126/science.adi6317

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