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#Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn sie selber liest, worüber sie schreibt

Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn sie selber liest, worüber sie schreibt

Die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, hat ein Buch mit dem Titel „Jetzt – Wie wir unser Land erneuern“ vorgelegt. Es war in den vergangenen Wochen Gegenstand einer Debatte über Plagiate. Unabhängig davon lohnt jedoch auch ein Blick auf die inhaltlichen Positionen. Baerbock äußert sich vor allem zu Themen, die sie auch im Bundestag beschäftigt haben, etwa Familienpolitik, Sterbehilfe, Energiewende oder die Europäische Einigung. Dafür fehlen Ausführungen etwa zur Rentenpolitik.

Um die von ihr ausführlicher behandelten Themen lebendig zu beschreiben, verwendet sie oft Dreiklänge. Zunächst schildert sie eine persönliche Erfahrung, leitet dann zu konkreten politischen Forderungen über und entwickelt daraus innere Grundsätze und allgemeine Überzeugungen.

Wenig überzeugend

Allerdings scheitert der Dreiklang oft, etwa, wenn sie zur Gesundheitspolitik schreibt. Sie erzählt, dass sie während des Studiums in London eine Nierenbeckenentzündung bekommt. Der Krankenwagen erscheint erst nach sechs Stunden. Im Krankenhaus werden die Laken nicht gewechselt. Grund ist für Baerbock ein zusammengesparter National Health Service. Sodann folgt der Blick nach Deutschland, wo in den vergangenen dreißig Jahren rund 25 Prozent der Krankenhausbetten abgebaut wurden. Schließlich folgt die Philosophie: „Ein Staat, der seiner Verantwortung gerecht werden will, muss jedoch vorsorgen, und das geht nicht, wenn die Daseinsvorsorge unterfinanziert und dem Primat der Ökonomie unterworfen ist.“

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Ihr Dreiklang lautet also: Nierenbeckenentzündung in London, zu wenig Krankenhausbetten in Deutschland, Primat der Ökonomie beenden! Doch so einfach ist die Welt nicht. Jeder Gesundheitsökonom kennt das Problem zu vieler Krankenhausbetten, die falsche Anreize setzen und dazu geführt haben, dass Patienten manchmal sogar schlechter behandelt werden. Experten wissen, dass jede dritte Klinik für die medizinische Versorgung überflüssig ist. Das bestätigte jüngst der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses von Krankenkassen, Ärzten und Kliniken, Josef Hecken, der Sonntagszeitung. Um den zu erwartenden weiteren Anstieg der Kosten zu bremsen, sei eine umfassende Strukturreform nötig, sagte Hecken. Baerbock dagegen will mehr Geld ins System werfen.

Auch die juristischen Passagen ihres Buches überzeugen nicht; etwa, wenn sie von ihrem Abschluss in „Public International Law“ berichtet. Über das, was sie in London akademisch geprägt hat, formuliert Baerbock einen einzigen Satz. Das Studium lehrte sie, „wie sehr Gesetzestexte lebende Dokumente sind und sich Antworten auf Fragen des Rechts mit der Zeit weiterentwickeln.“ Gesetzestexte verbindet man indes wenig mit dem Völkerrecht. Dessen Rechtsquellen sind Verträge, Gewohnheitsrecht und allgemeine Grundsätze. Ihre Aussage, dass sich Antworten weiterentwickeln, ist banal. Damit der Dreiklang passt, ergänzt Baerbock: „Darauf basiert das Grundverständnis der Vereinten Nationen.“ Nein, tut es nicht.

Nicht ausreichend recherchiert?

Das Kapitel zum Klimaschutz leitet Baerbock unter anderem mit diesem Satz ein: „Schon 1987 warnte die Deutsche Meteorologische Gesellschaft in einem Memorandum vor weltweiten Klimaänderungen durch den Menschen.“ Das Papier von 1987 wird als Urschrei der Klimaschutzbewegung präsentiert; so bedeutsam, dass der Leser denkt, es liegt von Klarsichtfolie geschützt in Baerbocks privater Schreibtischschublade.

Aber sicher tut es das nicht. Eine Nachfrage bei der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) ergibt, dass das Papier gar nicht als „Memorandum“ erschienen ist. Zudem handelt es sich um eine gemeinsame Erklärung mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Von dort kam der Anstoß, dort war 1986 eine Vorversion erarbeitet worden. Diese findet sich bis heute im Internet. In späteren Publikationen Dritter wird aus dem gemeinsamen Papier fälschlicherweise „ein Memorandum der DMG“. Hätte Baerbock das Originalpapier vorliegen, hätte sie es richtig bezeichnet. So wächst der Eindruck, dass Baerbock aus Sekundärquellen zitiert. Einige Sätze später schreibt sie: „Es gehe nicht darum, auf Wissenschaftler*innen zu hören, sondern ihnen zuzuhören“. Vielleicht wäre es ein Anfang, wenn sie selber liest, worüber sie schreibt.

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An anderer Stelle beschäftigt sich Baerbock mit den Schengener Abkommen. Es wurde 1985 im luxemburgischen Grenzort Schengen geschlossen. Baerbock meint fälschlicherweise, dass Spanien und Portugal bei den ersten Ländern dabei gewesen sind und verlegt das historische Treffen ein Jahrzehnt nach hinten. Zugleich schreibt sie, dass dadurch die Grenzkontrollen in der „EU“ wegfielen. Die EU gab es aber im Jahr 1985 noch nicht, damals waren es die „Europäischen Gemeinschaften“. Sie meint, George Bush senior habe Deutschland 1991 ein „Partners in Leadership“ angeboten, das war aber schon 1989, und zwar vor dem Mauerfall. Das Ermächtigungsgesetz wurde auch nicht im Reichstagsgebäude beschlossen, wie Baerbock suggeriert, sondern in der Krolloper, da das Reichstagsgebäude nach dem Reichstagsbrand nicht benutzt werden konnte. Im Werbetext des Buches heißt es, dass Baerbock für „Veränderungen mit Leidenschaft und Sachverstand“ kämpft. Leidenschaft kann man ihr nicht absprechen. Beim Sachverstand muss sie noch nachlegen.

Baerbock, Annalena; in Zusammenarbeit mit Michael Ebmeyer: Jetzt. Wie wir unser Land erneuern. Ullstein, Berlin 2021. 240 Seiten. 24 Euro.

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