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#Warum die Ampel den Kohleausstieg nur vielleicht auf 2030 vorzieht

Warum die Ampel den Kohleausstieg nur vielleicht auf 2030 vorzieht

Idealerweise – dieses Wort ist die Zauberformel, die die Ampelparteien zur Lösung ihres Kohlekonflikts gefunden haben. Schon lange trommeln die Grünen dafür, die Kohleverstromung spätestens 2030 zu beenden. Auch im Bundestagswahlkampf zählte das zu ihren Kernversprechen. SPD und FDP dagegen plädierten dafür, am nach langem Ringen erst kürzlich Vereinbarten festzuhalten. Laut dem im Sommer 2020 von Bundestag und Bundesrat verabschiedeten „Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung“ ist mit der Kohleverfeuerung und damit auch mit Ausbeutung der Tagebaue in den west- und ostdeutschen Braunkohlerevieren spätestens 2038 Schluss.

Eine Revisionsklausel macht den Ausstieg sogar schon 2035 möglich und wahrscheinlich; 2026, 2029 und 2032 muss geprüft werden, wie viel Braunkohle wirklich noch gebraucht wird. Aber einen Koalitionsvertragsentwurf, in dem sich 2030 nicht irgendwo findet, hätte die Führung der Grünen ihrer Basis gar nicht erst zur Abstimmung vorzulegen brauchen.

Auf Seite 58 scheinen die Ampelparteien tatsächlich geradewegs auf die magische Jahreszahl zuzusteuern: „Zur Einhaltung der Klimaschutzziele ist auch ein beschleunigter Ausstieg aus der Kohleverstromung nötig“, heißt es zum Auftakt des entsprechenden Unterkapitels. Sogleich folgt die Einschränkung: „Idealerweise gelingt das schon 2030.“ Im Klartext: Es wird wohl länger dauern.

Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen

Warum das so ist, beschreiben die drei Partner in einer für Koalitionsverträge ungewöhnlichen Tiefe. Detailreich legen sie dar, welche Voraussetzungen erfüllt werden müssen, damit der (frühere) Kohleausstieg gelingen kann: Um den Anteil von erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 „drastisch“ auf 80 Prozent zu erhöhen, müssen Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigt werden, andere Schutzgüter wie der Artenschutz sollen zurückstehen – schon jetzt kommt es gerade bei Windparkprojekten immer wieder zu erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Natur- und Umweltschützern.

Die Konflikte dürften sich vervielfachen, denn nach dem Willen der Ampelpartner sollen für die Windenergie zwei Prozent der Fläche Deutschlands ausgewiesen werden. In Rekordtempo ausgebaut werden müssen zudem die Netze. Weil im kommenden Jahr das letzte Atomkraftwerk in Deutschland abgeschaltet wird und parallel schon bisher zahlreiche Kohlekraftwerke vom Netz gegangen sind, braucht es auch eine neue „Brückentechnologie“. Der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister An­dreas Pinkwart (FDP), der zum Koalitionsverhandlungsteam seiner Partei gehörte, sagte der F.A.Z., dass allein in seinem Bundesland Gaskraftwerke mit einer Kapazität von vier bis fünf Gigawatt gebaut werden müssen. All das macht deutlich: Die Energiewende ist ein hochkomplexer Prozess, der sich – selbst wenn vieles idealer läuft als erwartet – über mehr als ein Jahrzehnt hinziehen wird.

Bisher darf das Energieunternehmen RWE für den Tagebau Garzweiler II im Rheinischen Braunkohlerevier noch die fünf zu Erkelenz zählenden Orte Kuckum, Beverath, Unter- und Oberwestrich sowie Keyenberg abbaggern. Diese Dörfer „wollen wir erhalten“, heißt es im Koalitionsvertrag – diesmal ohne die Einschränkung „idealerweise“. Das ist möglich, weil die Dörfer auch mit der bestehenden Revisionsklausel erhalten werden können. Den ersten Revisionstermin will die Ampel von 2026 auf 2022 vorziehen, um zu prüfen, ob die Versorgungssicherheit bei einem forcierten Kohleausstieg trotz stei­gender Stromnachfrage gewährleistet bleibt.

Den Kampf um die Heimat aufgegeben

Große Begeisterungsstürme haben die Versprechen der Ampel im Rheinischen Revier nicht hervorgerufen. Selbst wenn das Ampel-Idealszenario 2030 eintreffen sollte, brächte das der großen Mehrheit der Bewohner der fünf Orte nichts mehr. Den teilweise jahrzehntelangen Kampf um ihre Heimat haben sie mittlerweile zermürbt aufgegeben – auch wenn einige lautstarke Klimaaktivisten versuchen, einen anderen Eindruck zu erwecken. Mit mehr als 88 Prozent der Grundstückseigentümer ist RWE inzwischen einig geworden. In Keyenberg sind es sogar schon mehr als 90 Prozent. Rund 70 Prozent der Gebäude hat RWE bereits gekauft. „Mit den meisten weiteren Eigentümern stehen wir aktuell in konkreten Erwerbsgesprächen, teilweise kurz vor deren Abschluss“, sagte ein Sprecher des Unternehmens der F.A.Z.

Manch einer fürchtet, dass sich seine Verhandlungsposition durch die neuen Entwicklungen verschlechtert haben könnte. Spricht man mit den Leuten in der Gegend, hört man dennoch oft die Forderung, die Umsiedlung müsse unbedingt abgeschlossen werden. Der Gedanke, dass andere in ihre Häuser einziehen, sei kaum zu ertragen. Ein Rückkehrrecht gibt es in den Verträgen nicht.

Während am Umsiedlungsstandort Erkelenz-Nord in Siedlungen mit Namen wie Keyenberg (neu) oder Beverath (neu) schon 200 Häuser fertiggestellt und derzeit weitere 120 gebaut oder geplant werden, sind die fünf Orte zu Geisterdörfern geworden. Am Sonntag fand ein für viele Einheimische besonders schmerzlicher Schlussakt statt: In Keyenberg, Kuckum und Beverath wurden die katholischen Gotteshäuser entwidmet. Wenn die Dörfer nun doch nicht für den Braunkohletagebau abgerissen werden, sollen sie als Begegnungsstätten erhalten bleiben. Was aber aus den Orten wird, steht in den Sternen.

In Wege, Kanäle und Gebäude wurde seit Langem nichts mehr investiert. Viele Häuser sind unbewohnbar, wenn sie noch zu retten sein sollten, müssten sie kernsaniert werden. Auch idealerweise wird es kaum zwei Keyenbergs, Beveraths und Kuckums geben.

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