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#Wenn der Bass dem Nachbarn in den Magen fährt

„Wenn der Bass dem Nachbarn in den Magen fährt“

Der Mann ihrer Träume muss ein Bassmann sein – egal ob er Herbert Grönemeyer heißt oder Rod Stewart. Im Fall des britischen Rocksängers ist das sogar belegt. Lärmgutachter Jörn Latz hat auf zwei Rod-Stewart-Konzerten am gleichen Ort den Schall gemessen, 1998 und 2018. Bei fast identischem Programm lag die Basisfrequenz der Musik während des zweiten Auftritts ungefähr eine Oktave tiefer. Kurz gesagt: Der Sound ist basslastiger geworden.

Was die Fans freut, kann für die Anlieger von Stadien und Live-Clubs zur Qual werden. Das rhythmische Bum-Bum-Bum strapaziere die Nerven stärker als gleichmäßiger Straßenlärm, meint Benjamin Bernschütz. Der Professor für Elektroakustik an der Technischen Hochschule Mittelhessen hat tieffrequenten Lärm von Freizeitveranstaltungen zum Thema seiner Forschungen gemacht. Zusammen mit Jörn Latz, Geschäftsführer der Kramer Schalltechnik GmbH in Sankt Augustin, entwickelt er Methoden, um solche Immissionen zu erfassen und zu bewerten. An dem Projekt sind auch das Institut für Nachrichtentechnik der TH Köln sowie das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen beteiligt. Das Bundesforschungsministerium fördert das Vorhaben mit 655.000 Euro.

Immer mehr Live-Konzerte und Straßenfeste

Nicht nur die Lust der Musikfreunde auf satte Bässe führt dazu, dass sich Be­hörden immer öfter mit Klagen von Anwohnern befassen müssen. Weil sich im Streaming-Zeitalter mit Aufnahmen nicht mehr so viel verdienen lasse, seien Live-Auftritte für Musiker inzwischen die Haupteinnahmequelle, sagt Lukas Roskosch, Doktorand an der TH Mittelhessen. Entsprechend steigt die Zahl der Konzerte, wenn nicht gerade Corona-Lockdown herrscht. Und anders als noch vor 20 Jahren kann heute fast jedes Straßenfest mit einer guten Anlage aufwarten, wie Akustik-Experte Latz feststellt: „Leistungsstarke Technik gibt es für relativ wenig Geld.“

Nicht schrittgehalten haben die Schutzvorschriften für unfreiwillige Mithörer. Die Länderrichtlinien für Freizeitlärm schreiben vor, ihn nach der Indus­trienorm 45680 zu beurteilen. Die ist aber auf gewerblichen Lärm zugeschnitten. Sollen etwa die Immissionen eines Rockkonzerts in der Umgebung erfasst werden, müsste laut Bernschütz während der Veranstaltung in den Wohnungen der Nachbarn gemessen werden – in der Praxis sei das kaum machbar. Gebraucht werde ein Verfahren, das man auch im Freien anwenden könne.

Messgeräte für Behörden und Veranstalter

Die ersten Schritte hat das Projektteam schon getan. Die Forscher haben ein Messsystem entwickelt, das zuverlässige Werte liefert und in kleinen Koffern transportiert werden kann. Eine marktreife Version davon könnten Behörden nutzen, um während eines Konzerts in der Umgebung den Schallpegel zu kon­trollieren und bei Überschreitungen sofort einzugreifen. Veranstalter wiederum hätten die Möglichkeit, mit der Lautstärke bis an die Grenze des Erlaubten zu gehen, so Bernschütz. Derzeit werde meist ein Sicherheitsabstand eingehalten. Mit einem Preis von bis zu 10.000 Euro dürfte das Gerät aber nur für professionelle Anwender erschwinglich sein. Der Professor und seine Mitarbeiter planen daher eine „Light-Version“, die sich zum Beispiel auch Gaststättenbetreiber leisten könnten.

Mit ihrer Technik wollen die Gießener Forscher in den nächsten vier Jahren den Bass-Lärm in der Umgebung von mindestens 200 Musikveranstaltungen messen. Gleichzeitig werden Sachverständige an Ort und Stelle ihre Höreindrücke schriftlich festhalten. Auch sind psychoakustische Experimente geplant, bei de­nen Probanden unter tieffrequenter Be­schallung zum Beispiel Aufgaben lösen. So ließe sich feststellen, wie sehr ihre Konzentration leidet. Überdies werden die Wissenschaftler Hausfassaden da­raufhin untersuchen, wie gut sie die Bässe passieren lassen. Doktorand Roskosch hat solche Messungen schon für seine Bachelorarbeit vorgenommen. Besonders durchlässig für tiefe Töne sind große Fensterfronten, wie er festgestellt hat. Andere Fassadentypen hätten teils überraschende Eigenschaften: Sie könnten die tiefen Frequenzen sogar verstärkt in den Innenraum abstrahlen. Genaueres dazu können die Forscher erst nach weiteren Messungen sagen.

Experimente mit Gegenschall denkbar

Wenn alle Daten vorliegen, wollen der Professor und seine Kollegen ein Regelwerk formulieren, mit dem sich tieffrequenter Freizeitlärm rechtssicher beurteilen lässt. Ein Normierungsgremium müsste dann entscheiden, ob diese Kriterien zu amtlichen Vorschriften werden.

Unterdessen denkt Bernschütz schon über sein nächstes Forschungsprojekt nach. Es soll zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, unerwünschte Schallwellen jenseits der Konzert-Arenen abzufangen. Eine Idee: Gegenschall aus eigens dafür aufgestellten Subwoofern könnte die Bässe neutralisieren. Experimente dazu gebe es schon, sagt der Akustiker, „aber das steckt noch in den Kinderschuhen“. Einstweilen bleibt geplagten Nachbarn nur der Anruf beim Ordnungsamt, wenn ihnen die Musik in den Magen fährt.

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