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#Wo die Gewalt beginnt

Inhaltsverzeichnis

Es gibt keine Schonfrist – weder in D Hunters Buch noch in seinem Leben. Das Schlimmste kommt am Anfang, im Buch mit Triggerwarnung. Im ersten Text geht es um Hunters Großvater. Dessen Vater habe ihm die Knochen gebrochen, seine Frau habe der Urgroßvater ausgepeitscht. Bis der Großvater, da war er 15 Jahre, seinen Vater erschlagen und sich zum Oberhaupt der Familie gemacht habe, die zum fahrenden Volk der Irish Travellers gehörte und sich schließlich im Norden Englands niederließ. Später habe dieser Großvater die eigene Tochter, Hunters Mutter, vergewaltigt. Und ihn, Hunter, als der ein Kind war, in Hunderten von Nächten, allein und mit anderen Männern. Der Text ist mehrfach unterbrochen von den Listen, die Hunter in diesen Nächten in seinem Kopf abspulte. „Arsenal: John Lukic, Lee Dixon, Nigel Winterburn . . .“ – Spieler der Fußballklubs der First Division, so hieß damals, in den Achtzigern, die Premier League.

Novina Göhlsdorf

Redakteurin im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Die meisten der Texte in Hunters „Auf uns gestellt“ erzählen von einer Person aus seiner Vergangenheit und seinem Verhältnis zu ihr. Aus ihnen ergibt sich, nach und nach, ein Bild seiner Geschichte. Hunter wird 1979 oder 1980 in Nordengland geboren, von einer dreizehnjährigen Mutter, die, als er zehn ist, mit ihren Kindern nach Nottingham zieht, um Hunters Großvater zu entkommen. Bald aber verkauft sie, selbst Prostituierte, den Körper ihres Sohns. Er versorgt die drogenabhängige Mutter und seine Schwestern durch Sexarbeit und als Drogenkurier. Er lebt in Heimen und auf der Straße, ist drogensüchtig und kriminell, erfährt immer wieder krasse Gewalt, übt sie aus, kommt ins Gefängnis und mit 25 Jahren in die Psychiatrie. Dort beginnt er eine Beziehung mit einem Pfleger, der ihn sexuell ausbeutet – und ihn, auch nach seiner Entlassung aus der Klinik, darin unterstützt, clean zu werden, einen neuen Job zu finden, zu studieren. Hunter baut Verbindungen zu Menschen auf, die ihm beistehen, wenn ihn Flashbacks einholen oder er rückfällig wird. Heute wohnt er mit seiner Partnerin und seinem Kind in Manchester. Er ist Autor und Pädagoge und promoviert über die Solidarität der Arbeiterklasse und die Frage, was sie erschwert.

Klassenanalyse und Klassenkampf

Auch sein Buch dreht sich um den Zusammenhalt in der Arbeiterklasse – in deren ärmstem Teil –, darum, wie der oft schmerzhaft fehlt, aber auch groß sein kann. Hunter erschließt in seinen Texten Biographisches theoretisch und lässt Theorien biographisch konkret werden. In einer fußnotengeladenen, trotzdem sehr lesbaren Einleitung bezeichnet er sein Vorgehen als „Autoethnografie“. Er mache seine persönlichen Erfahrungen zum „Sprungbrett“, um allgemeinere Zustände und Dynamiken in der britischen Gesellschaft und besonders der Armutsklasse zu analysieren. Dabei sei er beeinflusst von Ansätzen der Queer Theory, der Kritischen Weißseinsforschung und der soziologischen Klassenanalyse Pierre Bourdieus.

Allerdings, das wird im Lauf des Buchs immer klarer, sind Hunters Texte auch akademisch gerüstete Mittel des Klassenkampfs und des politischen Aktivismus, unter anderem für die Abschaffung von staatlichen Institutionen wie der Polizei, der Gefängnisse und Strafjustiz und für Verfahren „transformativer Gerechtigkeit“ im Umgang mit Gewalttaten. Bei solchen Verfahren unterstützt eine selbstorganisierte Gruppe einen Täter darin, sich mit seinem Verhalten und dessen Folgen für das Opfer auseinanderzusetzen. Dessen Perspektive ist leitend für den Prozess, der zu Einsicht und Wiedergutmachung führen soll und zu langfristigen Veränderungen, individuell und gesellschaftlich.

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