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#"Zerstörung macht sehr viel mit den Menschen": Albrecht Schuch über die Netflix-Oscar-Hoffnung Im Westen nichts Neues

„"Zerstörung macht sehr viel mit den Menschen": Albrecht Schuch über die Netflix-Oscar-Hoffnung Im Westen nichts Neues“

In Netflix‘ Neuverfilmung von Im Westen nichts Neues spielt Albrecht Schuch den Soldaten Stanislaus Katczinsky. Zum Kinostart des deutschen Oscar-Anwärters haben wir uns mit ihm zum Interview getroffen.

Die Netflix-Großproduktion Im Westen nichts Neues entführt in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs. Sie erzählt von deutschen Soldaten, die in jungen Jahren an die Westfront geschickt werden, um Paris einzunehmen. Wo anfangs aufgrund der Propaganda große Begeisterung für das Kriegstreiben herrscht, offenbart sich bald ein Bild des Schreckens und Verzweiflung breitet sich in den Augen aus.

Einer dieser Soldaten ist Stanislaus Katczinsky. Gespielt wird er von Albrecht Schuch, der sich in den vergangenen Jahren als einer der aufregendsten deutschen Schauspieler erwiesen hat. Nach seinem Schauspieltriumph in Systemsprenger beeindruckte er in gefeierten Filmen wie Berlin Alexanderplatz, Schachnovelle und Fabian oder Der Gang vor die Hunde. Jetzt steht er in Im Westen nichts Neues vor der Kamera.

Hier könnt ihr den Trailer zu Im Westen nichts Neues schauen:

Im Westen nichts Neues – Trailer (Deutsch) HD

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Die Neuverfilmung des gleichnamigen Literaturklassikers von Erich Maria Remarque entstand unter der Regie von Edward Berger (The Terror, Patrick Melrose) und wurde als deutscher Kandidat für die Oscars 2023 auserkoren. Bevor der Film bei Netflix erscheint, kommt er in die Kinos. Im Interview verrät Albrecht Schuch, wie es war, ein Teil dieses herausfordernden wie ehrgeizigen Projekts zu sein.

Moviepilot: Mit Im Westen nichts Neues verbinde ich viele Erinnerungen an den Schulunterricht. Was war deine erste Begegnung mit dem Buch?

Albrecht Schuch: Tatsächlich hat die erst bei diesem Projekt stattgefunden.

Du hast es davor nie gelesen?

Ne, obwohl ich sogar Deutsch Leistungskurs bis zum Abi hatte. Im Westen nichts Neues war aber nicht dabei. Bei uns war das eher Deutschstunde, vorher Momo und Homo faber. Das sind zumindest die drei Lektüren, an die ich mich erinnere. Und dann kam ein lieber Brief von Edward [Berger], ob ich mit ihm beim Film zusammenarbeiten will. Ich habe zuerst das Drehbuch und dann den Roman gelesen. Danach haben wir uns getroffen und zwei Stunden lang über alles geredet.

Ging es dabei von Anfang an um die Rolle von
Katczinsky?

Ja, von Anfang an war es Kat. Edward [Berger] hat schon relativ früh beim Schreiben an mich gedacht. Und ich habe Kat von der ersten Sekunde an geliebt. Was mich total beeindruckt hat, war die Wortkargheit von diesem Menschen, der trotzdem ein genauso großes inneres Alphabet besitzt wie du und ich. Ich finde das beim Filmischen immer spannender, wenn mir der Gedanke oder das Gefühl des Charakters nicht zu Ende erklärt wird, sondern ich als Zuschauer mit meinen Gedanken das Ende entdecken darf. Ein Gefühl einfach zeigen, ohne dass man erklären muss, was eigentlich passiert – das schafft nur ein Film.

Eigentlich ist Kat ein Kindergärtner, weil die Soldaten, die an die Front geschickt wurden, meistens Kinder, Kanonenfutter waren. Kids, die sich denken, wir machen eine geile Klassenfahrt und kriegen danach ein richtig großes Foto in der Zeitung und alle lieben uns. Da schlägt die Propagandamaschine zu, die heute wahrscheinlich sehr ähnlich funktioniert. Kat versucht, diesen Kids das Leben zu verlängern. Aber er ist realistisch genug, um zu wissen, dass die meisten nicht davonkommen werden.

Nachdem du das Drehbuch und den Roman gelesen hast, wie hast du deine eigene Version von Kat gefunden?

Da laufen viele Prozesse ab, die jetzt verschwommen sind.
Ich wollte mir für meinen Kat aber unbedingt einen Moment von Paul Bäumer [dem Protagonisten der Geschichte] ausleihen, der nicht direkt im Film vorkam. Das ist der Moment, wenn Paul Fronturlaub bekommt. In Im Westen nichts Neues geht es permanent um die Frage, wie man mit der Heimat, den Emotionen und den Verbindungen zu seinen Liebsten umgeht, wenn man an der Front ist. Kat sagt immer, man darf darüber nicht nachdenken, weil es einen weich macht. Wenn man nicht hart bleibt, wird man leichter zum Ziel.

Albrecht Schuch in Im Westen nichts Neues

Dem steht der Moment im Roman gegenüber, wo Paul nach Hause kommt, auf der Treppe sitzt und, ich glaube, nur seine Schwester ist da. Die ruft nach der Mutter: „Mama, Mama, der Paul ist da!“ Remarque beschreibt, wie die Stimme Paul in die Knochen fährt. Das hat mich komplett umgehauen. Das konnte ich sofort verstehen. Wenn man selbst in so einer aufgelösten Situation ist, dann braucht es nicht einmal ein ganzes Wort. Ein warmer Ton von einer nahestehenden Person, der man sich öffnen kann, reicht dann, um einen kompletten Dammbruch auszulösen. Diese Beobachtung habe ich als emotionales Kernerlebnis für Kat im Film übernommen.

Im Westen nichts Neues wartet mit vielen intensiven Szenen auf, besonders auf dem Schlachtfeld und in den Schützengräben. Mitunter verschwinden die Figuren unter einer Kruste aus Matsch und Schlamm, die sie nie wieder aufbrechen können. Wie hast du das am Set erlebt?

Das, was du im Kino erlebst, ist eine ganz physische, nahe, atmende Erfahrung. Genau so etwas versuchen wir als filmmachende Menschen bestenfalls zu erzeugen. Trotzdem bleibt es bei uns Spiel. Unmittelbar neben dem Kameraausschnitt, den du als Zuschauer siehst, ist eine Armada von meist sehr netten Menschen, die Wärmedecken haben und mit Kaffee, Tee und Essen aufwarten. Wenn es regnet und du durchnässt bist, gibt es Wäsche, die dich warm hält. Der Dreh war trotzdem eine große körperliche Herausforderung. Allein die ganzen Sprint-Szenen!

War es für dich leicht, am Ende des Tages diese Kruste aus Schlamm und Matsch abzulegen oder hat dich das länger verfolgt?

Durch die ganzen Gewerke, also Kostüm und Maske, fällt es einem leichter, sich da komplett reinzuschmeißen.

Weil der Schauspielprozess dadurch abstrakter wird?

Ja, abstrakter –
und es hilft der eigenen Imagination auf die Sprünge. Plötzlich entsteht ein sichtbarer Realismus, wenn du dich im Spiegel anschaust oder deine verdreckten Hände siehst. Das ist sehr hilfreich beim Spiel. Bei sehr emotionalen Zuständen, die man über drei Monate hinweg bedient, passiert es dennoch, dass sie ein Echo hinterlassen, mit dem ich mich in der Nachbereitung beschäftigen muss. Schauspiel hinterlässt immer einen gewissen Ernst, egal, wie viel Spaß es macht.

Im Westen nichts Neues kommt zu einer Zeit ins Kino, in der ein echter Krieg stattfindet, von dem wir in Deutschland viele Auswirkungen mitkriegen. Welche Rolle nimmt da der Film für dich ein?

Ich habe mich beim Dreh mit den Kriegen beschäftigt, die zur damaligen Zeit herrschten und zum Teil auch noch heute herrschen. Ich glaube, die Auswirkungen sind immer spürbar. Remarque schreibt auf den ersten Seiten seines Romans: „Ob man überlebt hat oder nicht im Krieg
– man ist zerstört.“ Diese Zerstörung macht sehr viel mit den Menschen. Sie werden traurig, verkümmern emotional oder empfinden Hass. Das überträgt sich auf nachfolgende Generationen und landet irgendwann auch bei dir und mir. Solange es diese Wiederholung von Krieg gibt, wird dieser Geist von Zerstörung, von Hass, von Wut leider gefüttert.

Albrecht Schuch in Im Westen nichts Neues

Gibt es bei all den niederschmetternden Dingen, von denen Im Westen nichts Neues erzählt, auch einen Hoffnungsschimmer? Etwas, das wir aus dem Film mitnehmen können, um aus dieser Wiederholung auszubrechen?

Im besten Fall schafft ein solcher Film, dass man ein tieferes Verständnis für sich selbst im Bezug auf Krieg und das bekommt, was mit anderen Menschen im Krieg passiert. Vielleicht führt dieses Verständnis zu Veränderung. Ich hoffe zum Beispiel –
um bei der Filmlandschaft zu bleiben –, dass man durch diesen Film versteht, dass es auch heute noch zu viele Kriegsfilme gibt, die einen enormen Sensationscharakter haben. Die sind technisch groß aufgezogen und bringen zum Staunen. Ob man will oder nicht: Das führt zu einer Legitimierung dessen, was da passiert. Auch wenn es nur um dieses Abenteuergefühl geht, muss man sich fragen, ob man das heute wirklich noch so darstellen will. Ich weiß nicht, ob dieses entstehende Abenteuergefühl
das Richtige für solch ein Thema ist.

Hast du 1917 von Sam Mendes gesehen, der ebenfalls während dem Ersten Weltkrieg spielt?

Da passiert meiner Meinung nach genau das. Filmisch ist 1917 mit einer wahnsinnig guten Kamera von einem Großmeister umgesetzt. Die Bilder sind beeindruckend, aber es geht nur um die Frage, wie sie es geschafft haben, dass der ganze Film so wirkt, als wäre er eine einzige Kamerafahrt. Man ist angeblich ganz dicht am Geschehen, aber es berührt mich längst nicht so sehr, wie es Im Westen nichts Neues oder Remarques Roman gelingt. Bei 1917 bleibt ein heroisches Etwas übrig.

Was nimmst du als Erfahrung von der Arbeit an diesem Film mit?

Das sind viele verschiedene und zum Teil auch ganz banale Sachen. Um im Kontext des Drängendsten zu antworten, würde ich sagen, dass es immer wichtig ist, nicht damit aufhören, sich in die Lage anderer zu versetzen. Was würde ich machen? Wie würde es mir gehen? Nur die wirklich empathische Sicht auf etwas kann dazu führen, dass es uns berührt. Und diese Berührung braucht es, um eine Haltung zu haben.

Im Westen nichts Neues läuft seit dem 29. September 2022 in den deutschen Kinos. Am 28. September 2022 erscheint die Neuverfilmung bei Netflix.

Werdet ihr euch Im Westen nichts Neues im Kino anschauen?

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