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#200 Jahre alt und noch immer unübertroffen präzise

„200 Jahre alt und noch immer unübertroffen präzise“

Markus Lambertz kann sein Glück noch immer kaum fassen. „Stundenlang habe ich das Internet durchforstet, bis mich ein Hinweis nach Darmstadt führte“, berichtet der 38 Jahre alte Biologe und Mitarbeiter am Institut für Zoologie der Uni Bonn. Der bibliomanischen Leidenschaft und dem Forschergeist Lambertz’ ist es zu verdanken, dass die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt nun um einen Schatz mehr in ihrem Bestand weiß. Nämlich die mehr als 200 Jahre alte handkolorierte Ausgabe von Ludwig Heinrich von Bojanus’ Werk zur Schildkrötenanatomie, von dem auf der ganzen Welt nur zwei Exemplare bekannt sind. Dass „Anatome testudinis Europaeae: indagavit, depinxit, commentatus est“ als großformatiges Druckwerk in den historischen Sammlungen der Bibliothek lag, war dort zwar bekannt, nicht aber sein Wert.

„Es ist eines der seltensten zoolo­gischen Bücher weltweit“, sagt Lambertz. Und es ist zugleich – im Nachdruck – ein von Wissenschaftlern viel genutztes Standardwerk über die Anatomie der Schildkröten, „das in seiner Genauigkeit bis heute unübertroffen ist“, so der Wissenschaftler. Ludwig Heinrich Bojanus, ein deutscher Zoologe, der in Darmstadt und Jena studierte, unterrichtete im 19. Jahrhundert als Hochschullehrer an der Universität Vilnius. Dort ließ er in einer bekannten litauischen Druckerei von 1819 bis 1821 sein zweibändiges Werk „Anatome testudinis Europaeae“ drucken, das für seine detaillierten, grafisch anspruchsvollen Ansichten und Kupferstiche berühmt ist. „Ein Meilenstein“, sagt Lambertz, der selbst unter anderem zu den gepanzerten Reptilien forscht. Bojanus, so der Bonner Zoologe, hatte damals in der Gegend von Vilnius Zugang zu sehr vielen Schildkröten, rund 500 soll er für seine Forschung und sein Buch seziert haben.

Weltweit nur zwei handkolorierte Exemplare

Lambertz hat akribisch zu den vielen Fragen recherchiert, die sich um das Buch ranken. Etwa zur Auflage. Bojanus hat sein Werk demnach aus eigener Tasche finanziert. Das war teuer, weshalb der künstlerisch begabte Zoologe die Vorlagen für die Kupferstiche selbst anfertigte und, so Lambertz, vermutlich auch die Ansichten von eigener Hand kolorierte. Der Forscher entdeckte eine Verkaufsanzeige von 1819, in der Bojanus sein Buch in drei Qualitäten anpries: auf preiswerterem oder hochwertigerem Papier und mit Kolorationen. Angeblich seien nur 80 Exemplare gedruckt worden, schrieb der Berliner Verleger und Antiquar Wilhelm Junk, der 1902 einen Nachdruck herausgab. Lambertz ist da skeptisch. Bisher nachgewiesen sind 57 bis 59 Exemplare. Zusammen mit einem pol­nischen und einem französischen Forscher will der Bonner der Frage nun auf den Grund gehen.

Die Auflage war also extrem niedrig, weltweit sind nur zwei handkolorierte Exemplare bekannt. „Vor allem die haben mich gereizt“, sagt der Forscher. Er kontaktierte einen Privatsammler in Hessen, der eines der von Hand gemalten Bücher besitzt. Der Weg führte schließlich in die Uni- und Landesbibliothek, nicht nur weil Bojanus in Darmstadt starb, sondern weil einer seiner Schüler in einem Aufsatz berichtete, dass der Zoologe Großherzog Ludwig I. ein Exemplar gewidmet und persönlich übersandt habe – in dankbarer Anerkennung für das, was der Großherzog von Hessen-Darmstadt in seiner Jugend für ihn getan habe. Nachdem sich eine Ausgabe tatsächlich im Katalog der Bibliothek fand, reiste Lambertz gemeinsam mit dem Sammler nach Darmstadt, um das Werk in Augenschein zu nehmen und die Kolorationen zu vergleichen. „Sie sind identisch. Das war schon Wahnsinn, das zu sehen. Ich war unfassbar glücklich.“

Der schönste und teuerste Druck

So geht es auch Silvia Uhlemann, Abteilungsleiterin der historischen Sammlungen. Die Darmstädter Bibliothek verfügt über rund vier Millionen Bücher und andere Medien. Dass solche Schätze im Bestand gehoben werden, „das passiert immer durch Forscheranfragen“, sagt sie. Natürlich stünden die Titel im Katalog, aber welchen Seltenheitswert sie unter Umständen haben, das erkennen nur Wissenschaftler mit dem entsprechenden fachlichen Hintergrund. Spektakuläres kam zuletzt 2014 zum Vorschein, als durch eine Anfrage die Flora Graeca entdeckt wurde. Die Prachtsammlung aus dem 19. Jahrhundert gilt als das schönste und teuerste botanische Werk, das jemals gedruckt wurde. Die Uni- und Landesbibliothek besitzt den einzigen Erstdruck, den es in Deutschland von den fast tausend Pflanzenzeichnungen gibt.

Als eine Folge von Lambertz’ Entdeckung hat die Bibliothek das Schildkröten-Werk von Bojanus nun digitalisiert und online gestellt, „um es der Forschung allgemein zugänglich zu machen“, wie Uhlemann sagt. Sie ist zudem neugierig geworden, was es mit der Widmung an den Großherzog auf sich hat. Die wurde nämlich bisher nicht gefunden. Sie will danach suchen lassen. Auch Entdecker Lambertz hat weitere Pläne: Er plant einen Neudruck des kolorierten Buches samt Übersetzung ins Englische. „Das Werk wird in der Zoologie viel genutzt, und die Farben machen es noch sehr viel zugänglicher als in Schwarz-Weiß.“

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