#Adaptive Mode sollte mehr sein als ein PR-Trick
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„Adaptive Mode sollte mehr sein als ein PR-Trick“
Als Hülya Marquardt 2019 mit ihrer Schwiegermutter die Fashion Week besuchte, wurde ihr wieder klar: „Mode und eine Behinderung, das passt für viele Menschen einfach nicht zusammen.“ Sie kam mit einer Dysmelie zur Welt, also Fehlbildungen an Händen und Füßen. Mit 18 Jahren wurden ihr beide Beine amputiert. Auf Instagram nimmt sie (ihr Mann fotografiert) ihre fast 65.000 Follower mit durch ihren Alltag. „Am Anfang dachte ich, das seien einfach nur Fotos und Videos“, sagt Marquardt, „aber ich habe gemerkt, wie positiv die Wirkung auf Menschen sein kann.“
Neben dem Account und ihrem Hauptberuf in der Handwerkskammer der Region Stuttgart leitet sie mit ihrer Schwiegermutter eine Boutique. „Auf der Fashion Week dachten die Leute oft, ich wäre nur die Begleitung. Dass ich tatsächlich involviert bin, überraschte die meisten.“ Menschen mit Behinderung finden häufig keine passende Kleidung. Daher berücksichtigt adaptive Mode nun deren Bedürfnisse.
Marquardt trägt manchmal Beinprothesen, manchmal sitzt sie im Rollstuhl, und manchmal ist sie „auf dem Boden unterwegs“ – daran passt sie ihr Outfit an. „Im Rollstuhl achte ich darauf, dass die Hosen einen höheren Bund haben, und wenn ich Prothesen trage, mag ich es, diese auch zu zeigen. Ich habe schon mal Mode für Menschen im Rollstuhl gekauft – die ist praktisch, aber einfach nicht modisch.“ Sie kauft lieber Kleidung aus der üblichen Abteilung – auch wenn sie dann noch zum Schneider muss, um sie ändern zu lassen.
Modisch und bedürfnisorientiert – es geht beides
„Praktisch, aber nicht modisch“, so beschreibt auch Josefine Thom das Angebot an Reha-Mode. Sie wurde durch ihre Schwester, die behindert ist, auf das Thema aufmerksam. Frustriert von der geringen Auswahl an passender Kleidung, gründete sie 2019 das Label MOB – Mode ohne Barrieren. „Wir wollen unsere Mode mit Rollstuhlnutzern, Designern, Angehörigen und Pflegepersonal entwickeln.“ Statt von einer stehenden Person auszugehen, werden die Bedürfnisse einer sitzenden berücksichtigt. Längen und Schnitte werden für die Rollstuhlnutzung optimiert. Hemden haben Magnetknöpfe, Hosen keine Gesäßtaschen, Oberteile sind hinten länger als vorne.
Auch das Label Auf Augenhöhe entstand 2017 aus persönlicher Erfahrung. Sema Gedik bekam früh mit, dass ihre kleinwüchsige Cousine sich modisch nicht entfalten konnte. Hosen und Ärmel waren zu lang, durch andere Proportionen sitzt auch sonst vieles nicht richtig. Viele Menschen mit Kleinwuchs bestätigten ihr das Problem: Es gibt kein einheitliches Konfektionsgrößen-System für Personen mit Kleinwuchs. Also recherchierte sie während ihres Modedesign-Studiums: „Ich habe weltweit mehr als 800 Menschen mit Kleinwuchs vermessen.“ Nun entwickelt Auf Augenhöhe angepasste Kleidung für Personen mit Kleinwuchs.
Donnerstags um 14.00 Uhr
Beide Marken wünschen sich einen offeneren Umgang mit dem Thema Behinderung und eine Zusammenarbeit mit der Zielgruppe. Vereinzelt lancieren auch große Marken adaptive Kleidungsstücke. Tommy Hilfiger führt in Europa seit 2020 eine Adaptive-Fashion-Linie, und Nike hat den „Go FlyEase“, einen „Hands-Free-Sneaker“, herausgebracht. Sema Gedik sagt aber: „Nike bringt diesen Schuh heraus, ohne die Geschichte dahinter zu erzählen.“ Ursprünglich sei es darum gegangen, Menschen mit Behinderung das selbständige An- und Ausziehen zu erleichtern, in dem Werbevideo sind allerdings fast nur Menschen ohne Behinderung zu sehen. Zudem war der Schuh limitiert, nur für Mitglieder erhältlich – und somit schnell ausverkauft.
Erweiterte Normen?
Auf dem Laufsteg oder in Kampagnen zeigen immer mehr große Modemarken auch Models außerhalb des normierten Schönheitsideals. Diversität wird mittlerweile großgeschrieben. Es sei „enorm wichtig“, sagt Gedik, dass Menschen gezeigt werden, die nicht dem konventionellen Schönheitsideal entsprechen. So würden Minderheiten repräsentiert und sichtbar gemacht.
Aaron Philip wurde 2018 als erste schwarze Transfrau mit Behinderung in einer großen Modelagentur aufgenommen und hat seitdem für einige Marken gearbeitet. Auch Madeline Stuart, ein australisches Model mit Down-Syndrom, gehört zu den wenigen Menschen mit einer sichtbaren körperlichen Behinderung, die schon auf Modewochen gelaufen sind. „Gerade die großen Marken hätten die Kapazitäten und die Power, um etwas in Gang zu setzen“, sagt MOB-Gründerin Josefine Thom. „Schon seit mehreren Jahren sind Models mit Prothesen auf dem Laufsteg, trotzdem ändert sich nicht viel.“ Für viele Marken sei es eben nur ein PR-Trick.
Auch Gedik sieht wenige Modelabels, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. „Gut, wenn ein Bewusstsein und Sichtbarkeit geschaffen werden. Aber wenn ein Unternehmen sich wirklich divers und inklusiv präsentieren will, dann muss man weiterdenken.“ Was hindert die Marken daran?
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