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Adolescence überwältigt mit einem der besten Schauspieler unserer Zeit, der sich nochmal selbst übertroffen hat

Im Netflix-Hit Adolescence brilliert Stephen Graham als Vater, der innerlich zerrissen wird. Es ist eine weitere Meisterleistung eines Schauspielers, der endgültig über sich hinauswächst.

In der erfolgreichen Netflix-Serie Adolescence dreht sich zunächst alles um die Frage, ob der 13-jährige Jamie (Owen Cooper) seine Mitschülerin Katie ermordet hat. Genauso wichtig wie die Schuldfrage wird in der ersten Episode das Verhalten der Eltern des Jungen. Vor allem Vater Eddie, über den noch nicht klar ist, wie sein Verhalten das Kind beeinflusst und geformt hat, rückt immer wieder ins Zentrum von Adolescence.

Spätestens in der letzten Folge liefert Darsteller Stephen Graham dann eine schauspielerische Meisterleistung ab, die sich tief unter die Haut gräbt. Das beeindruckt zusätzlich zum ununterbrochenen One Take-Dreh umso mehr, wenn man daran denkt, wo die Wurzeln des britischen Stars liegen und wie er sich in den letzten Jahren nochmal weiterentwickelt hat.

Achtung, weiter unten folgen Spoiler zur Story von Adolescence!

Stephen Graham machte sich durch die Darstellung beängstigender Gangster einen Namen

Der Schauspieler begann seine Karriere in den 90ern und hatte eine erste bemerkenswerte Rolle in Guy Ritchies Snatch – Schweine und Diamanten. Hier hat Graham als grimmiger Sidekick Tommy Eindruck hinterlassen. Noch intensiver und wuchtiger blieb er anschließend durch Performances in Filmen wie Martin Scorseses Gangs of New York und dem rauen Skinhead-Drama This is England in Erinnerung.

Von hier an stand der Engländer für moralisch komplizierte, eher finstere oder abgründige Charakterrollen. Grahams Beteiligung an Gangs of New York, wo er den Gang-Anführer Shang spielte, führte den Star tiefer in Scorseses typischen Verbrecherkosmos, wo er sich mühelos in die Riege großer Namen wie Robert De Niro und Joe Pesci einreihen konnte.

Wer zum Beispiel die herausragende HBO-Serie Boardwalk Empire gesehen hat, die von Scorsese mitproduziert wurde, wird sofort an Grahams Darstellung von Al Capone denken. Wie er den legendären Gangster als brodelndes Pulverfass spielt, das immer wieder in purer Gewalt explodiert, ist ein Ereignis für sich. In einem Moment ist er noch der verschmitzt grinsende Kleinganove, um im nächsten Moment zum kaltblütigen Killer zu werden, der jemanden tot tritt oder durchlöchert.

Fast schien es, als würde Graham das Image des beängstigenden Gangsters kaum noch loswerden. Da half es auch wenig, dass er in den letzten Jahren ruhigere, dramatischere Charakterrollen in Serien wie Time spielte. Mit der Zusammenarbeit zwischen Graham und Regisseur Philip Barantini gelang es ihm zuletzt jedoch, neue Facetten seines riesigen Schauspieltalents offenzulegen.

Mit Adolescence zeigt Stephen Graham eine extrem emotionale Verletzlichkeit

2021 veröffentlichten der Regisseur und der Hauptdarsteller das schweißtreibende Thriller-Drama Yes, Chef!, auch bekannt als Boiling Point. Der Spielfilm, der auf Barantinis eigenem Kurzfilm basiert, wurde wie später Adolescence in einer Einstellung ohne Schnitte gefilmt. Graham spielt darin den Chefkoch Andy, der den Betrieb eines Londoner Edelrestaurants unter Kontrolle halten muss.

Schnell wird klar, dass dieser Andy vor allem sein eigenes Leben kaum im Griff hat. Zwischen Drogen- und Alkoholabhängigkeit sowie dem zerrütteten Verhältnis zu Ex-Frau und Sohn muss der Protagonist den drohenden Untergang seines Geschäfts abwenden.

Graham spielt Andy inmitten all der Hektik und dem auslaugenden Stress mit einer Anspannung, unter der wieder einmal aggressive Wut brodelt. Barantinis Film zeigt den Star trotzdem in einer besonneneren Verfassung, die immer wieder mit Andys hitzigem Temperament und Hang zur (Selbst-)Zerstörung zu kollidieren droht.

Auch wenn Boiling Point mit dem One Take-Ansatz besticht, ist es erneut Stephen Graham, der den chaotischen Fluss des Films beherrscht. Seine Schauspielleistung in dem Werk ist ein Vorzeichen für Adolescence, Netflix‘ Miniserie, mit der Graham sich nahezu neu erfindet.

  • Auch interessant: Dieser Trick macht das Adolescence-Ende so ergreifend

Die Serie, die der Schauspieler mitentwickelt und für die er am Drehbuch beteiligt war, löst schon am Ende von Folge 1 auf, dass der 13-jährige Jamie seine Mitschülerin getötet hat. Graham ist als Vater des Jungen in der Szene anwesend, in der das Video der Überwachungskamera abgespielt wird. Er reagiert entsetzt und hält trotzdem zu seinem Sohn.

Erst in der finalen Folge von Adolescene, wenn über ein Jahr Zeit seit Jamies Verhaftung vergangen ist, kehren wir zu Eddie, seiner Frau und seiner Tochter zurück. Als Zuschauende ist uns zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht klar, inwiefern der Vater an Jamies Entwicklung beteiligt war.

Graham tritt in der Rolle von Eddie ab Beginn der Serie wie ein sanfter Riese auf, sichtlich aufgepumpt für seine andere aktuelle Rolle als Profiboxer in der neuen Serie A Thousand Blows von Peaky Blinders-Schöpfer Steven Knight. Schicht für Schicht legt der Star im Adolescence-Finale die Schuldgefühle seines Charakters offen, zeigt das Ringen mit fehlender Zuwendung und stellt sich der Frage, ob Eddie die Tat von Jamie irgendwie hätte verhindern können.

Am Ende bleibt nicht der übliche Wutausbruch von Stephen Graham und seiner Performance zurück. Stattdessen ist es der abgedämpfte Heulkrampf, wenn Eddie im Bett seines Sohnes zusammenbricht und in dessen Decke weint. Der Engländer durchbricht die harte Fassade seiner typischen Figuren endgültig und spielt sich mit einer neuen, unglaublich bewegenden Emotionalität in die Liga der besten Schauspielstars unserer Zeit.

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