Nachrichten

#In was sind wir da bloß reingeraten?

In was sind wir da bloß reingeraten?

Irgendwann kommt man mit dem Zählen der Toten nicht mehr hinterher. Sieben sind es mindestens schon, als der Kommissariatsleiter seinen Ermittlern entnervt die Leviten liest: „Jetzt müssen Sie sich aber wirklich mal was Schlaues einfallen lassen. Ist wichtig!“, brüllt er die beiden an, die er eigentlich schon längst hätte aus dem Rennen nehmen müssen. Denn Lona Mendt und Frank Elling, gespielt von Petra Schmidt-Schaller und Sascha Gersak, brechen bei ihren Ermittlungen fortwährend das Gesetz, und es ist eine Lust, ihnen dabei zuzuschauen. „Sie sind der beste Chef, den ich je hatte“, sagt Elling beim Hinausgehen. „Du hattest doch nie einen anderen!“, erwidert dieser in Richtung der schon zufallenden Tür. Das klingt nach Klamauk, aber eine von vielen Stärken dieser Serie ist es, dass sie hart an viele Grenzen geht, aber nie abgleitet, sondern stets – bisweilen gerade noch – die Fassung wahrt.

Stefan Locke

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

Der erste Tote in dem fiktiven mecklenburgischen Städtchen Marnow sitzt schon mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Sofa in einer Plattenbauwohnung, als der eigentliche Auftragsmörder, maliziös-mafiös gespielt von Jörg Schüttauf, eintrifft. Ihm bleibt noch, eine falsche Spur zu legen, weshalb die Kommissare das Opfer dann kopfüber in der Dusche hängend vorfinden. „61 Jahre, alleinstehend, ehemaliger DDR-Staatsbürger, nach der Wende Security, arbeitslos und Hartz IV“, lautet das Kurzreferat zur Person, das noch durch die Begriffe NVA und Stasi vervollständigt wird. Das ist dann auch nur einer von zwei Momenten, in denen man wegen höchsten Klischeealarms abbrechen möchte. Der zweite folgt, als sich herauskristallisiert, dass die Mordserie von Ereignissen herrührt, die sich gut dreißig Jahre zuvor zutrugen, als westdeutsche Pharmaunternehmen in der DDR neue Medikamente an Menschen ausprobierten und der SED willkommene Devisen bescherten.

Schnell gerät sehr viel außer Kontrolle

Ein bisschen zu oft hat man Geschichten wie diese gehört und in der sonntagabendlichen Tatort-Ödnis verwurstet gesehen. Doch glücklicherweise moralisiert Autor Holger Karsten Schmidt („Gladbeck“, „Das weiße Kaninchen“), der auch die Romanvorlage lieferte, nicht herum, sondern folgt vor allem dem sehr unkonventionellen Ermittlerduo auf eine ebenso unkonventionelle Weise. Frank Elling ist ein Mann in den besten Jahren mit Eigenheim, Pool und Garten, der um seine Frau kämpft, seiner Tochter etwas bieten und seine demente Mutter nicht verlieren will. Für all das aber reicht sein Beamtengehalt nicht, was ihn in einem entscheidenden Moment schwach werden lässt. Er nimmt Geld, um die Ermittlungen einzustellen. Seine Single-Kollegin Lona Mendt dagegen lebt im Wohnmobil und fährt Motorrad, sie nimmt ihre Arbeit ernst, aber das Leben scheinbar leicht. Als Elling ihr gesteht, bestochen und erpresst zu werden, deckt sie ihn kurzerhand. Schon bald darauf stecken beide in einem Strudel gegenseitiger Abhängigkeiten, und der anfängliche Krimi wächst sich zum Thriller aus, in dem bald alle Beteiligten um ihr Leben fürchten.

Schnell gerät den Ermittlern sehr viel außer Kontrolle, zum Glück jedoch nicht die Handlung, denn der Zuschauer behält den Überblick, was auch an den reduzierten Nebensträngen und wenigen, nüchternen Schauplätzen liegt. Im Büro wird praktisch nicht ermittelt, fast alles findet auf einem Campingplatz statt, auf dem das erste Mordopfer jährlich urlaubte. Die zunehmende Zahl an Opfern und die zahlreichen Actionszenen kontrastieren so immer wieder mit der Stille am See inklusive Drohnenflügen über die saftig-grünen Wälder und klar-silbrig funkelnden Seen Mecklenburgs. „In was sind wir hier bloß reingeraten?“, fragt Elling in einem der ruhigen Momente seine Kollegin, die allmählich an ihrem Beruf zu zweifeln beginnt: Ein Ermittler des Landeskriminalamts würde den Fall gern schnell beenden, er greift sie brutal an und mit nicht minder robusten Methoden in das Geschehen ein. Sie rächt sich, und neben den Mordopfern wächst so auch schnell die Zahl an Kollateral-Toten. Die Schlussfolge mit dem Titel „Erlösung“ ist dann Bedürfnis und Prophezeiung zugleich. Der Fall wird zwar geklärt, aber am Ende ist nichts gut.

Auch deshalb ist dieser Mehrteiler richtig gutes Fernsehen. Zuallererst liegt es aber an dem großartigen Ensemble: Besonders Petra Schmidt-Schaller liefert mit ihrem Spiel zwischen Coolness und Zerrissenheit eine überragende Leistung. Aber auch Nebendarsteller wie Anton Rubtsov als Jungermittler und Christine Schorn als Ellings Mutter verleihen der Serie Tiefe, Witz und Halt. Die knappen, auf das Wesentliche reduzierten Dialoge mögen der Mentalität im Norden wie der über allem flirrenden Sommerhitze geschuldet sein. Auf jeden Fall ist es wohltuend, einfach mal still und unkommentiert dem Kamerablick folgen zu können und nicht jedes Detail angesagt und erklärt zu bekommen. Schön wäre es freilich, wenn die knappe Kommunikation dann auch immer zu verstehen wäre, doch die bisweilen miserable Akustik ist ein Dauerärgernis bei deutschen Fernsehfilmen.

Das aber trübt den Gesamteindruck nur am Rande. Größter Vorteil dieser Serie ist die Zeit, die sich das Team lässt oder vielmehr lassen darf, die Handlung zu entwickeln. Viermal neunzig Minuten sind eine lange Strecke, aber erst so gelingen ein differenzierter Blick und ein Perspektivwechsel, der die Beweggründe der Ermittler, aber auch der Täter für ihr Handeln nachvollziehbar offenbart. Einer der früheren Klinikärzte etwa hoffte im Gegenzug für die Durchführung der Tests an rettende Medikamente für seine eigene, schwerkranke Tochter zu gelangen. Eine Szene, die, lässt man mal die Systemgegensätze außer Acht, auch heutzutage nichts an Aktualität verloren haben dürfte.

Die Toten von Marnow läuft heute (zwei Folgen), am kommenden Mittwoch und Donnerstag jeweils um 20.15 Uhr im Ersten sowie von sofort an in der ARD-Mediathek.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!