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#„Alles steht Kopf 2“ von Pixar: Ein Plädoyer für mehr Zweifel

Freude und Zweifel in
Foto: 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

Pixar erzählt in „Alles steht Kopf 2“ auf prüde und entpolitisierte Weise von der Pubertät. Ein gescheitertes Experiment.

Emotionen sind in „Alles steht Kopf“ fragile Geschöpfe. Ein Streicheln über ihre Oberfläche scheint zu genügen, um sie davonzutragen und ihre äußeren Schichten abzutragen. Ihre Hülle gleicht einer pulsierenden Gänsehaut. Mal sieht sie aus wie Sandpapier, mal wie Krepp, mal wie eine Ansammlung digitaler Pixel. Gerade Freude ist ein zerbrechliches und poröses Wesen. Kleine Punkte umschwirren sie, als würde sie entweder mit Sporen den Raum erobern oder sich permanent in Auflösung befinden. Und in der Tat: Sie muss um ihre Existenz bangen. Riley, die junge Protagonistin des ersten Teils, ist jetzt ein Teenager und mit dem Erwachsenwerden schwindet die Freude, so eine bittere Erkenntnis im Laufe der Geschichte.

Wie schon im Vorgängerfilm (2015) treten hier Alltagsbeobachtungen und Szenen aus dem Innern der Gedanken- und Gefühlswelt in Dialog. Die schon bekannten Gefühlswesen Freude, Kummer, Ekel, Wut und Angst tummeln sich noch immer in einer Schaltzentrale inmitten der Gehirn- und (Unter)Bewusstseinsareale. Nun bekommen sie Konkurrenz. Mit dem Eintritt in die Pubertät erscheinen Zweifel, Langeweile, Peinlichkeit und Neid und übernehmen die Kontrolle. Emotionen werden komplexer, sie müssen mit dem Altern komplexer werden, kann man erfahren. Nur wird „Alles steht Kopf 2“ als Kunstwerk damit nicht komplexer. Es ist der einfallslosere der beiden Teile und einer der schwächeren Pixar-Filme. Er folgt einer flachen Dramaturgie, einem kaum vorhandenen Spannungsbogen und banalisiert den ohnehin schon fragwürdigen Ich-Entwurf dieses Disney/Pixar-Erfolgs zunehmend.

Roter Alarmknopf in Roter Alarmknopf in
Alarm: Die Pubertät setzt ein! Foto: 2023 Disney/Pixar. All Rights Reserved.

„Alles steht Kopf 2“ bleibt im Kindesalter stecken

Der Trugschluss beginnt schon mit dem Identitätsverständnis, das der Film propagiert. Eine Persönlichkeit setzt sich hier allein aus eindimensionalen Emotionen, gefilterten Erinnerungen und Beziehungen zu Freunden und Familie zusammen. Dass sich Persönlichkeit aber erst im Agieren, Inszenieren – das meint auch das bewusste und unbewusste Einnehmen von Rollen – offenbart, spielt dabei nur marginal eine Rolle. Es blitzt hier und da in Akten des Nacheiferns und Anpassens an bestimmte soziale Gruppen auf, wird aber nicht nennenswert reflektiert oder mitverhandelt.

Der Blick ist allein nach innen auf vermeintliche Essenzen gerichtet, statt am Austausch mit der Außenwelt und der permanenten Neuformung zu feilen. Davon abgesehen, dass die differenzierten Emotionen und Affekte nur mäßig Grautöne oder weitere, vielleicht auch mit sich selbst konkurrierende Facetten erhalten. Nun mag man einwenden, es sei nur ein Kinderfilm, man könne die Zielgruppe nicht mit solchen abstrakten Diskussionen überfordern. Aber für wen soll dieser Film überhaupt gedacht sein?

Wer ist die Zielgruppe dieses Pixar-Films?

Es ist einerseits mühsam und unnötig, solche Überlegungen anzustellen, doch vielleicht liegt hier in der Tat ein fundamentales Problem, an dem dieser Animationsfilm scheitert. Er will von der Pubertät und dem Erwachsenwerden erzählen, scheut aber die Reife. Junge und ältere Zuschauer des ersten Films sind inzwischen fast zehn Jahre gealtert. Man hat jedoch keineswegs das Werk mitaltern lassen, sondern erzählt, was Humor, Tonfall und Handlung angeht, einfach wieder für ein Publikum, das entweder noch Kleinkind ist oder es gern wieder sein möchte. Man setzt bei Null an.

Dazu gehört auch, dass dies ein durchweg prüdes Werk geworden ist. Schließlich gleicht es fast einem Kunststück, das Thema Pubertät zu behandeln, ohne auch nur Sexualität, Körperlichkeit, Geschlechtlichkeit, Begehren in den Blick zu nehmen – von einer flüchtigen Bemerkung über Körpergeruch und den Ansatz eines Pickels abgesehen. Selbst erste Teenager-Schwärmereien tauchen dort nur am Rande auf.

Neue Gefühle übernehmen die Kontrolle. Foto: 2024 Disney/ Pixar. All Rights Reserved.

Eine Erlaubnis für die Abgeschlagenheit

„Alles steht Kopf 2“ ist somit ein Film, über dem der Schleier des Schweigens und Wegsehens liegt. Was dort brisant werden könnte, gerade da es um das Aufwachsen einer jungen Frau geht, wird gedeckt von Aversionen gegen alles, was heute wieder mit alten und neuen Tabus behaftet und antiaufklärerisch behandelt wird. Auch in anderen Bereichen, die den Weg zum Politischen öffnen könnten, scheut Pixars Film den Vorstoß. Obwohl die Pubertät nun einmal ein Stadium ist, in dem ein bestimmtes Reflektieren über das Umfeld und der Welt einsetzt – durch die Schule, Medienkonsum, das Elternhaus und alle anderen sozialen Kontakte. Man hätte das sicherlich kindgerecht anpacken können.

Immerhin: Er setzt einer rationalisierenden Arbeitswelt das Bekenntnis zum Gefühl entgegen. Und das Eingestehen von Schwächen, Krisen und Momenten des Zweifelns, zumindest vorübergehend. Nur werden damit offene Türen eingerannt. Das Sprechen über Gefühle ist heute allgegenwärtig. Gefühle werden instrumentalisiert, Gefühle entscheiden über Konsum. Mit Gefühlen werden Filme und andere Kunstwerke legitimiert und angepriesen, werden Produkte verkauft. Sie sind mit dem Markt und dem Kapitalismus, der solche Disziplinierungen und Rationalisierungen verlangt, längst verflochten. Darüber schreibt die Soziologin Eva Illouz beispielsweise seit Jahren in ihren Sachbüchern und davon berichtet etwa ein Film wie Challengers.

Zweifel erscheint im KontrollzentrumZweifel erscheint im Kontrollzentrum
Zweifel sucht die Gruppe heim. Foto: 2023 Disney/ Pixar. All Rights Reserved.

Fantasievolle Bilder aus dem Unterbewusstsein

„Alles steht Kopf 2“ besticht immer noch mit der Fantasie seiner Ästhetik. Wenn er Gedankenblitze als Gewitter inszeniert, Bewusstseinsströme durchschwimmt, Erinnerungsbällchen in das Gedächtnis schießt oder seine Gefühlsmännlein auf rosaroten Hirnbühnen streiten lässt, sind das verblüffende, mitreißende Bilder. Nur können die fadenscheinigen Binsen, in denen er sich auflöst, mit dem Einfallsreichtum der visuellen Eindrücke nicht mithalten. Glaube an dich; sei nicht so streng mit dir selbst; du bist gut, wie du bist; du bist ein guter Mensch; manchmal darf man traurig sein. Solche Lehren und Affirmationen kann das Publikum aus „Alles steht Kopf 2“ mitnehmen.

Dabei ist es noch nicht einmal so, als würde der Film einer verlangten Diktatur des Glücks und des guten Gefühl etwas wahrhaftig entgegensetzen. Schließlich führt er in nunmehr zwei Teilen immer wieder vor, wie sich diese Emotionen, geraten sie einmal außer Kontrolle, selbst zähmen und einhegen. Das Zügellose, Unproduktive und Ekstatische hat dort keinen Platz. Zwänge und Zuschreibungen werden in einen inneren psychischen Antrieb und Automatismus verlagert und als natürlich gegeben und regelbar vorausgesetzt. Das bürgerliche Subjektverständnis, das aus diesen zwei Filmen spricht, hat einen jahrhundertealten Bart.

Unterbewusstsein in Unterbewusstsein in
Faszinierend Bilder aus dem Unterbewusstsein. Foto: 2024 Disney/ Pixar. All Rights Reserved.

„Alles steht Kopf“ fehlt der Mut zur schlechten Laune

Zwar sind Zweifel hin und wieder erlaubt und notwendig, doch schlussendlich gruppiert sich alles wieder um die Macht der Freude. „Alles steht Kopf 2“ beschließt mit dem perfekt austarierten, leistungsstarken, beliebten, optimierten Nachwuchs und einer Aufsteigerfantasie. Das Innerste handelt trotz aller Niederschläge und Fehlgriffe wieder nach Maß und Mitte. Jungen Menschen wird damit ein naiver Optimismus und Frohmut im Kino vorgegaukelt. Inwiefern er zu ihrer tatsächlich Realität passt, konnte man in Europa jüngst an Wahlergebnissen ablesen. Aber vielleicht sind Kinder andernorts ja zufriedener.

Solche künstlerischen Realitätsverweigerungen und Verlogenheiten nisten sich im kindlichen Unterbewusstsein ebenso ein wie alte Videospiel-Figuren und TV-Shows, die in „Alles steht Kopf“ im Kerker der Geheimnisse eingeschlossen werden. Sie sind also keineswegs nur harmlose Unterhaltung. An dieser Stelle ist das Pixar-Werk ehrlich.

In einer Zeit von Klimakrise, Wohnungsnot, maroden Infrastrukturen, Armut, Spar-Ideologie und Aufrüstung wären andere künstlerische Gesten wahrscheinlich angebrachter, um jugendlichen, pubertierenden Lebensumständen, Wahrnehmungen und Welten entgegenzukommen, anstatt nur auf betuliche Augenwischerei zu setzen. Vielleicht sollten Zweifel und Kummer tatsächlich einmal für längere Zeit die Schalthebel und Knöpfe an sich reißen, um das Kind vor einem so spießigen Kino-Happyend zu retten. „Alles steht Kopf 2“ sieht es lediglich durch Erwachsenenaugen.

„Alles steht Kopf 2“ läuft seit dem 12. Juni 2024 im Vertrieb der Walt Disney Company in den deutschen Kinos.

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Von

Janick Nolting

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